Die Sammlung Brandhorst mag nicht altern – Jubel-Schau „Forever Young“ zieht im Herbst von München nach Nürnberg

Da steht einer vor Ed Ruschas Wurmlöcherbuch und findet es leer

Elf Jahre ist`s her. Keine lange Zeit. 2009 passierte in München etwas ganz Außerordentliches: Ein „großer Unbekannter“ schenkte seine Kunstsammlung der Stadt – wenn die ihm ein eigenes Museum hinstellt. München war damals so klug und erfüllte den Anspruch des generösen Udo Brandhorst und seiner vor elf Jahren verstorbenen Gattin Anette. Die Kunst-Klientel jubelte. Ärger hatten die Journalisten. Denn der publikumsscheue Udo Brandhorst blieb der Pressekonferenz fern. Gab kein Interview. Gerätselt wurde: Wer ist der Mann? Was treibt ihn an, als „Preiß“ der Bayern-Metropole so viel Kunst zu dedizieren? Was ist er? Wo wohnt er? (Manche meinten: im Chiemgau, in Hittenkirchen.)

„Forever Young“ – ein frommer Wunsch. Den sich selbst ein Udo Brandhorst nicht erfüllen kann. Doch sein Werk, die „Sammlung Brandhorst“ – an den bunten Fassadenstäben ist das Museum zu erkennen – ist jung geblieben. Ist ja auch keine Kunst: denn die hier gezeigte ist neu wie der junge Tag. Zeitgenössisches wird hier gezeigt, ganz und gar „Junges“. Freilich auch schon wieder nicht mehr Taufrisches von längst im Jenseits Gelandeten wie Andy Warhol, Keith Haring, Bruce Nauman, Sigmar Polke. „Forever Young“ hieß die Jubiläums-Schau der Sammlung Brandhorst zum Zehnjährigen.

Von 700 Werken brachte sie es auf stattliche 1200. Wer heute – zwischen New York und Wien, London und Sydney  – „Gegenwartskunst“ sagt, meint Brandhorst. Die Werkschau holt weit aus – beginnt bei den frühen Sechzigern und endet in 2020. Wer Warhols schlichte Blumen oder Naumans aufregende Clowns mit ihrer beweglichen Manneskraft sehen will: Bitteschön! 44 Künstler*innen stellen aus. Etwa 250 Werke. Da ist manches dabei, an dem man vorbeirennt. Unberührt. Vielleicht gar vergrätzt. Weil viel zu aufdringlich. Oder so verschlüsselt, dass ein 1,0-Abiturient überfordert wäre.

Das Brandhorst in diesen letzten Tagen der Jubiläumsausstellung „Forever Young“ gänzlich zu schneiden, wäre schofel. Cy Twomblys „Rosensaal“ ist immerhin in der ursprünglichen Form wieder und dazu eine Neu-Erwerbung aus dessen letzter Werkphase erstmals zu sehen: „Camino Real“ von 2011. Ob die wohl mit nach Nürnberg zieht, ist eher unwahrscheinlich. Ansonsten kann vermeldet werden, dass mit Sicherheit ein Großteil von „Forever Young“ nach Nürnberg zieht. Nicht für immer, wohl aber einige Monate. Ab dem 22. Oktober. Die beste Gelegenheit, Nürnbergs Neues Museum kennenzulernen.

„Spot on“ – das ist eine Reihe, die einen Brandhorst-Besuch (bis zum 20. September) auf jeden Fall lohnt: Künstlerbücher. Da ist sowohl Todernstes als auch hübsch Verrücktes, nicht wenig Abwegiges dabei. Buch ist nicht gleich Buch. Künstler machen sich damit so ihre Scherze, treiben damit ihr Unwesen, lassen sich auf Verqueres ein. Sigmar Polke spielte 1965 „Goethes Werke“ in 6 dicken Leder-Bänden in Trompe-l`Oil zur banalen Attrappe herunter. Ed Ruscha, Jahrgang 1937, schlägt Bücher mit Wurmlöchern oder Flecken auf. Arthur Jafa wandelt mit seinen „Notebooks“ aus den  Jahren  1980 bis 2007 auf den Spuren des Kollegen John Akomfrah. Handgemachte Unikate und im Offsetverfahren Gedrucktes gibt es von dem Tausendsassa Paul Chan, geboren 1973, zu sehen. Umwerfend: Kara Walker mit ihrer Pop-up-Version „Freedom, a Fable. A Curious Interpretation of the Wit of a Negress in Troubled Times“ von 1997. Unruhige Zeiten – davon können wir alle ein traurig Liedlein singen …                        

Foto Hans Gärtner

Da steht einer vor Ed Ruschas Wurmlöcherbuch – und findet es leer. Ob er enttäuscht ist?  

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.