Und nun versucht man es mit dem Begriff „postfaktisches Zeitalter“. Gerade im Lager der Linken sollte man mit derlei Aussagen vorsichtig sein. Das Grundgesetz ist ein Faktum, an dem man nicht vorbeidiskutieren kann. Artikel 16a Absatz 2 GG ist gültig. Punkt. Deutschland ist nicht zuständig für Asylanträge, die von Menschen gestellt werden, nachdem sie halb Europa durchquerten.
Beim Besuch der diesjährigen Leipziger Buchmesse ging es – natürlich – in vielen Gesprächen, die ich führte, um das Thema Flüchtlinge. Der Vertreter eines kleineren Verlages, der sich auf die Neuauflage von Klassikern der Weltliteratur spezialisiert hatte, sei hier als typischer Vertreter linker Argumentationsschwäche erwähnt.
Bereits damals, als wir noch deutlich vor dem Brexit standen, argumentierte ich, dass 23 von 27 EU-Ländern für eine Abschottungspolitik seien, es keine demokratische Rechtfertigung für einen deutschen Sonderweg gebe. Diese eindeutige und qualifizierte Staaten-Mehrheit ließ er nicht gelten. Man solle diese Menschen nur hinreichend aufklären. Wenn sie sich dem Willen nicht fügten, müssten es diese Länder finanziell zu spüren bekommen, etwa durch Ausschluss aus der EU oder Kürzung von Subventionen.
Der Mann redete sich nicht nur zunehmend in Rage, sondern auch um Kopf und Kragen, ich ließ ihn und deckte mit gezielten Fragen seine argumentativen Mängel auf. Meinem Einwurf, dass Artikel 16a Absatz 2 unseres Grundgesetzes nun einmal ganz klar juristisch eindeutig und unser Land dementsprechend für die 1,5 Millionen seit 2014 Zugewanderten nicht zuständig sei, was in der EU auch durch das Dublin-Abkommen bestätigt werde, konnte er nichts entgegensetzen.
Der „Geist der Verfassung“ sei ein anderer, so versuchter er nachzulegen. Juristen würden sich aufgrund eines solch post-faktischen Rechtfertigungsmusters die Fußnägel hochrollen. Mit dem Geist der Verfassung gewinnt man vielleicht politische Wahlen, aber keine juristischen Prozesse.
Wenn mit „postfaktischem Zeitalter“ die normative Kraft des Faktischen gemeint ist, dass man also Fakten schafft, wie sie der eigenen Ideologie entsprechen, dann passt das Beispiel des Verlagsangestellten, der sich selbst als linksliberal bezeichnet hat.
Das war aber so nicht gemeint mit Einführung dieses Idioms. Es ist vielmehr ein Anwurf, man habe mit ängstlichen und ungebildeten Menschen zu tun, die dann anfällig für „rechte Rattenfänger“ seien, da sie eigene Abstiegswut kanalisierten und sich medial nur in einem Echoraum von Gleichgesinnten informierten, so dass „objektive“ Berichterstattung gar nicht mehr ankäme.
Der WDR als Echoraum
Dieses Argument greife ich auf und wende es wiederum auf den WDR an. Als Bewohner von Nordrhein-Westfalen zähle ich zu den Betroffenen. Im Hörfunk hat diese Anstalt im Bundesland ein Monopol. Wie jeder Monopolist hat der WDR zwei Optionen: möglichst viel Geld zu verdienen oder möglichst bequem zu werden.
Im Kölner Funkhaus hat man sich für letztere Option entschieden. Die intellektuelle Dürftigkeit ist kaum zu beschreiben, mit der Bericht erstattet wird. So fand am 23.11. ein offenes Forum statt, in dem Integration besprochen wurde. Jörg Schönenborn, einer der wenigen nicht gänzlich ideologisierten WDR-Journalisten, Mann für Fakten sozusagen, durfte dabei die Rolle des Verständnisvollen spielen, der die Strategie des medialen Aussitzens ablehnte.
Umringt war er von lauter WDR-Gesichtern, die für ihn, der es wagte, sich nicht permanent abwertend über sogenannte besorgte Bürger zu äußern, nur ein müde arrogantes Lächeln übrighatten. Dunja Hayali und alle anderen waren sich einig, dass man die gegen Fakten resistenten Kleinbürger nur genügend aufklären oder mitnehmen müsse. Der WDR ist also zweierlei. Eine Erwachsenenbildungsanstalt für richtige Gesinnung und ein Auffangbecken für mediokre Journalisten, die ihrerseits mit Fakten ihre Probleme haben.
Hunderte von WDR-Journalisten benötigten 4 Tage, um zum Jahreswechsel über eine massenhafte Belästigung von Frauen zu berichten, die 300 Meter entfernt stattfand. Fakten: mehr als 25 versuchte oder vollendete Vergewaltigungen, mehr als 1000 Anzeigen wegen sexueller Belästigung, hunderte Täter. Seit dem Einmarsch der Roten Armee 1945 in Mitteleuropa ein nie dagewesener Exzess.
Erinnert man sich noch an Friedrich Küppersbusch? Bereits Mitte der 1990er Jahre war er der Leitstern der deutschen linken Intelligenzija. Seither ist er, der zweifellos Talentierteste und Beste unter ihnen verschwunden. Ich frage mich: warum?
Ich vermute, dass einer der Gründe darin zu suchen ist, dass Küppersbusch, vor rund 20 Jahren gegen den damaligen Rechtspopulisten Jörg Haider in einem Rededuell nicht allzu gut aussah, das ist bis heute Thema in der Kölner Medienlandschaft. Es darf kein Rechtspopulist die argumentative – vielleicht gar auf Fakten fußende – Lufthoheit in Diskursen haben, so eine ungeschriebene Journalistenregel, die an dem Abend nicht griff.
Auch im Jahr 2016 haben Talkgäste der AfD trotz der Anstrengungen in den Sendeanstalten, ihnen kein Forum zu geben, in Talkshows oft keine allzu schlechte Figur gemacht. Daher ist man beim WDR dazu übergegangen, nur noch die erwünschten Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Ein Echoraum also.
So lässt sich das Gerücht aufrechthalten, dass Wähler dieser Partei im Durchschnitt dümmer, arbeitsloser und abgehängter seien, was erwiesenermaßen auch ein post-faktisches Gerücht ist. Wollte man der AfD Stimmen abjagen, könnte man sich kaum dümmer anstellen.
Intellektuelle Dürftigkeit
Das Ganze ist sehr gefährlich. Ein Boxer, der nur schwache Gegner sucht, wird sein Potential nicht entfalten. Erst durch den Kampf, also den Diskurs, lernt man, auch im Fall einer Niederlage. Oder frei nach Laotse: „War der Tag nicht Dein Freund, so war er doch Dein Lehrer“.
Aber nicht nur Küppersbusch, auch Größen wie Henri Nannen, Friedrich Nowottny, Herbert Wehner und Rudolf Augstein fehlen der Linken, um argumentativ besser dazustehen. Jacob Augstein, Dunja Hayali, Heribert Prantl, Richard David Precht, Juli Zeh und Bernd Ulrich scheinen die Schuhe damaliger Leitartikler und Intellektueller zu groß zu sein. Die Linke hat ihre Lufthoheit in Folge argumentativer Dürftigkeit längst verloren. Oder: um bei der Analogie des Boxers zu bleiben. Wer nicht mehr nachsetzen kann, schlägt unsauber oder klammert.
Ein Beispiel für die post-faktische Linke
2014 legte die Bertelsmann-Stiftung eine lang erwartete Studie vor, mit der der Beitrag von Migration zur Wirtschaftskraft des Landes untersucht wurde. Medial kursierte über eine Woche eine Euphorie, dass die Zahlen scheinbar jedes Vorurteil widerlegten. Pustekuchen. Hans-Werner Sinn trat dem entgegen und berief sich auf diese Studie, die er – besser als andere – interpretieren konnte, war er doch wesentlich faktenfester als die meisten Journalisten.
So ergibt sich pro Kopf und Jahr ein Minus von rund 1900 Euro. Der Jubel aus den Redaktionen in der Woche davor war verfrüht. Für eine Einzelperson sind dies immerhin über 120.000 Euro Minus auf die Lebenszeit hochgerechnet, mehr als beim Durchschnittsbürger der Republik. Sinn wurde übel beschimpft, man versuchte ihm, dem Faktenmann, rechtspopulistische Anflüge zu unterstellen.
Was war geschehen? Um ein positiveres Bild zu erhalten, hatte man die fixen Kosten öffentlicher Güter wie Bundeswehr und andere aus der Rechnung herausgelassen. Nur so konnte man ein Plus errechnen. Dass das Post-Faktische tief in die Linke gesickert ist, sieht man daran, dass man die Studie heute noch als Beleg für Integrationsgewinne heranzieht, indem man Sinns Einwand verschweigt und ignoriert. Sinn ist Ökonom und als solcher ein beliebtes Feindbild. Der Kapitalist, die dunkle Seite der Macht. Da will man dann im Zweifel nicht genauer hinhören, wenn man von anderen Fachleuten so viel Netteres hört.
„Die neuen Deutschen“
Marina und Herfried Münkler veröffentlichten im Sommer ihr Buch „die neuen Deutschen“, das medial sehr wohlwollend begleitet wurde. Marina Münkler, immerhin Lehrstuhlinhaberin wie ihr Ehemann, äußerte sich in einem Interview dahingehend, dass wir ja durch „Paragraph 1 unseres Grundgesetzes“ jedem Menschen – unabhängig von der Nationalität – seine Würde bewahren müssten.
Hier wiederholt sich meine Erfahrung mit Linken, was juristische Kenntnisse angeht. Jede Verfassung hat Artikel und keine Paragraphen. Zudem ist Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Grundschulwissen sowie ein Auffanggrundrecht und begründet somit kaum einen konkreten Anspruch. Die Mühe, den einschlägigen Artikel 16a Absatz 2 zu zitieren, hat sich Münkler, die als Professorin eigentlich um die Notwendigkeit faktenbasierten Argumentierens wissen sollte, gar nicht gemacht. Es hätte ja auch dem Inhalt des Buches widersprochen.
Wishful thinking ist, was die post-faktische Linke zusammenhält. Die Migrationsbewegung von Afrika und Arabien nach Europa entsteht durch 3 Faktoren: erstens werden immer noch 6-7 Kinder pro Frau in diesen Ländern geboren, aber zweitens sterben eben durch die Versorgung mit westlicher Medizin (Penizillin etc.) weniger Kinder, die dann das Erwachsenenalter erreichen und ihrerseits wieder 6-7 Kinder zeugen. Für diese hohen Geburtenraten ist drittens das wirtschaftliche Wachstum infolge mangelnder Bildung und daraus resultierender schwacher Produktivität in Arabien und Afrika zu niedrig. Verteilungskämpfe entstehen, die zu Bürgerkriegen und Emigrationsdruck führen.
Man könnte hinzusetzen, dass eine hochanspruchsvolle Ökonomie wie die deutsche diese fast durchweg wenig produktiven Zuwanderer kaum in den Arbeitsmarkt eingliedern kann. Derlei ist so zynisch, dass man lieber auf das sehr alte Narrativ zurückgreift, wonach Ausbeutung und die koloniale Vergangenheit Deutschlands und Europas eine Schuld sowie einen Wiedergutmachungsmechanismus begründen sollten.
Fragt man dann genauer nach, inwieweit man Menschen ausbeutet, die in Afrika weitgehend arbeitslos sind, kommt Schweigen. Mir ist kein Produkt bekannt, das ein „Made in Eritrea, Syria, Afghanistan, Sambia, Niger, Nigeria oder Irak…“ Logo trägt. Durchweg beuten wir sozusagen vielmehr Ostasien wie China, Indien und Vietnam aus. Diese Länder haben aber ein Wohlstandswunder vorzuweisen. Von dort wandert praktisch niemand aus.
Die Faktenlage ist seit Längerem dünn im linken Lager. Schlimm ist, dass sie es nicht einmal mehr merken. Da kann ich nur mit Franz Josef Strauß enden: „O misericordia, o sancta simplicitas“.
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