„Der Schnee leiht seine Farben von Himmel und Sonne. Er ist blau, mauve, grau, sogar schwarz, aber nie völlig weiß.“ Von Maurice Cullen (1876 – 1934) stammt dieser typisch impressionistische Satz. Die Impressionisten bilden nicht die Wirklichkeit ab. Sie bilden ihre „Impression“, ihren Eindruck von der Wirklichkeit ab. Da kann der Schnee seine „echte“ Farbe „verlieren“ – und blau sein, mauve, schwarz sogar. In der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung ist schon Winter? Nein, nein! Die kanadischen Impressionistinnen (NB: bemerkenswert viele!) und Impressionisten sind zu Gast. Die sahen – kurz vor Anfang des vorletzten Jahrhunderts begann, was sich bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zog – ihre Welt in einem neuen Licht.
Und das bevorzugt im Winter. Der Winter war „ihre“ Jahreszeit. So entdeckte jener etwa Maurice Galbraith Cullen (1866 – 1934), wie auch sein Kollege Marc-Aurèle de Foy Suzor-Coté (1869 – 1937), in einem halbgefrorenen Wasserlauf den Glanz der untergehenden Sonne, verstärkt durch die Komplementärfarbe des Schnees. Der Winter als „malerische Erfahrung“ (L. Lacroix)! Man kann sich auf die kalte Jahreszeit nicht besser einstellen als mit den Winter-Bildern der den Besucher in Hochstimmung versetzenden Impressionisten aus Montreal, Toronto, Quebec …: Clarence Gagnons „Flurkreuz“, Winter 1816/17, mag an die bayerische Alpen erinnern; William Brymners Bild „Champs-de-Mars“ von 1892 ruft eine englische Kleinstadt ins Gedächtnis; James Wilson Morrices vereiste Quebecer Fähre von 1907 könnte in der Ostsee liegen. Die Kanadier, die mit Pinsel und Talent aus ihrem Land gen Frankreich, insbesondere Paris, zogen, um malen zu lernen und das Malen zu verfeinern, haken sich auch bei uns fest.
Alle, die sich weniger in Gruppen und „Schulen“ wie hierzulande zusammenschlossen, sondern individuell arbeiteten, brachten in erster Linie die Natur des Nordens in ihren Landschaften samt Städte-Ansichten auf die Leinwand. Doch vergaßen sie nie den Menschen in Stadt und Natur. Beides sahen sie zusammen. In Bildern wie dem von Suzor-Coté von 1913: „Youth and Sunlight“ oder in Franklin Brownells „Wating for the Nevis Boats“, 1916: Da ein junges Mädchen wohlhabender Eltern im feinen Ausgehkleid, dort ein Grüppchen geschäftiger schwarzer Frauen am Strand.
Vor einem der insgesamt 130 gezeigten Bilder – viele aus Privat-Sammlungen – drängeln sich die Besucher: „The Young Gleaner or The Butterflies“. Paul Peel malte es 1888. Er läutete damit quasi den kanadischen Impressionismus ein. Ein Bündel Ähren, mit bunten Feldblumen aufgehübscht, hält eine kleine Strohhutträgerin im Arm, die einen Sandweg am Strand, der Himmel ist blau, barfuß herunterkommt, direkt auf den Betrachter zu. Ihr Blick neigt sich, das Gesicht im Schatten, auf zwei Schmetterlinge, die vor ihr her tanzen. Stille Freude zeichnet sich im Gesicht des sauber, aber einfach gekleideten Kindes ab. Kein Winter-Bild. Ein Herbst-Bild. Oder gehört es gar noch in den Spätsommer?
Die sehr sehenswerte Ausstellung „In einem neuen Licht. Kanada und der Impressionismus“ ist bis 17. November täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Montags gilt: halber Ticket-Preis.
Foto (Hans Gärtner)
Paul Peels kleine Ährenleserin mit den Schmetterlingen entstand 1888, vier Jahre vor dem Tod des kanadischen Künstlers vom Jahrgang 1860.