Die nackte Eva – Ein Sakrileg in Thörl-Maglern, Österreich

Das wahre Sakrileg: Die nackte Eva im Fresko, Foto: Roland Roth

Lokaltermin in Thörl bei Arnoldstein: Es war stürmisch und in den angrenzenden Bergen zogen sich dichte Gewitterwolken zusammen. Als ich zur örtlichen Kirche kam, bot sich mir eine wunderschön-gruselige Szenerie, denn der aufkommende Wind brauste um das Kirchenschiff und die Äste der Bäume wiegten wild hin und her. Das Holzgatter war nicht richtig verschlossen, so klapperte es im Wind auf und zu. Keine Menschenseele schien weit und breit zu sein, die Kirche steht zudem auf einem freien Feld etwas abseits zum Ort Thörl-Maglern. Die Grusel-Altmeister Christopher Lee und Peter Cushing hätten diese Szene in ihren Gruselklassikern nicht besser darstellen können.

Bei Arnoldstein steht die Andreaskirche von Thörl-Maglern, eine Marktgemeinde mit 6996 Einwohnern im Gailtal in Kärnten, Österreich. In der Kirche befindet sich ein interessantes Sakrileg aus der Vergangenheit. Die gotischen Fresken und speziell das Fresko Lebendes Kreuz im Inneren der 800jährigen Kirche wurden von der Künstlerpersönlichkeit Thomas von Villach wohl um 1470 geschaffen. Der eigentliche Name des Künstlers war Thomas Artula. Seine Werke wurden insbesondere wegen ihrem Detailreichtum geschätzt. Der Maler war ein aufrechter Zeitgenosse, der nie zu großem Reichtum kam, denn gern gab er seine Arbeiten umsonst her.

Dominant ist eine einmalig schöne und vom Symbolgehalt hoch interessante Kreuzigungsszene, die erst in jüngerer Zeit aus der Verborgenheit auftauchte. Lange Zeit waren die Fresken von Thörl nämlich unter einer Kalktünche versteckt. Die Fresken wurden erst im Jahre 1886 aufgedeckt und um 1939 schließlich restauriert.

Den Grund zur Übermalung gab offensichtlich ein besonderes Sakrileg, denn der Anblick einer nackten Eva war wohl einigen Kirchenvätern ein erhebliches Dorn im Auge. Eine entblößte Urmutter war an sich nicht ungewöhnlich, so mancher Künstler aus dem Mittelalter stellte Eva als reine Urmutter nackt dar. In der Kirche jedoch mag es wohl einmal den ein oder anderen frommen Kirchgängern die Laune verstimmt haben. Kirchliche Themen betreffend werden sogar heute noch allzu freizügige Darstellungen in der Kunst teils kritisch beäugt.

Das Fresko zeigt neben zahlreichen Szenarien die augenscheinlich nackte Eva, die von der Schlange den Apfel der Versuchung gereicht bekommt und wie sie ihrerseits drei verzweifelten Menschen einen Totenkopf reicht.

Heute würde das Sakrileg kaum von jemandem wahrgenommen oder gar als Schandfleck übermalt werden. Was uns heute in der modernen, westlichen Gesellschaft in keiner Weise missfallen und schon gar nicht bemerkt werden würde, muss damals einigen Zeitgenossen übel aufgestoßen sein. Eine nackte Eva, völlig entblößt und ohne Feigenblatt oder einer anderweitigen Verhüllung war zu jenen Zeiten eine sicherlich grenzwertige Darstellung. Belangt wurde Thomas von Villach dafür nie, im Gegenteil: ab 1520 bis zu seinem Ableben um 1525 war er in Villach oberster Stadtrichter.

Die Fresken aber und mit ihnen das Bildnis der nackten Eva wurden bis ins 19. Jahrhundert unter der Kalktünche versteckt. Was den Künstler aber dereinst dazu bewogen hat, eine nackte, völlig entblößte Eva darzustellen, mag für immer sein Geheimnis bleiben.

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Über Roland Roth 15 Artikel
Roland Roth, Jahrgang 1971, ist seit vielen Jahren Autor von populärwissenschaftlichen Artikeln in verschiedenen Fachzeitschriften und Anthologien. Sein neues Buch trägt den Titel „Merlins Garten – Mythen, Megalithen und vergangene Welten“. Etliche Reisen und Recherchen an mystischen Plätzen und vergessenen Orten sind seine besondere Leidenschaft. Darüber hinaus ist Roland Roth ein großer Hundefan und engagiert sich in der Altenhilfe.