Ausgerechnet unter Finanznachrichten wird veröffentlicht, dass Michael Sommer, DGB-Vorsitzender und SPD Mitglied, verkündet hat, dass die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen eine Missachtung der Arbeit beinhaltet. http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2012-02/22626184…
Diese, für einen DGB-Vorsitzenden merkwürdige Meinungsäußerung, erfolgt vor dem Hintergrund, dass Millionen von Menschen mit der Begründung, die Lohnstückkosten zwecks Steigerung der Konkurrenzfähigkeit und der Exporte senken zu müssen, erwerbslos sind, oder sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden. Es werden Millionen über eine Sozialgesetzgebung ausgegrenzt, und zudem erfolgt noch für 1,2 Millionen Menschen eine Subventionierung der Lohnkosten auf Kosten der Steuerzahler zwecks Verschaffung von Lohnkostenvorteilen gegenüber anderen europäischen Ländern. In diesem Zusammenhang sollte man sich auch bewusst machen, dass in der Bundesagentur für Arbeit ca. 110.000 Menschen beschäftigt werden, und dass man in den Jobcentern die Mitarbeiter dahingehend motiviert, dass es darauf ankommt, Drückeberger zu entlarven und zu sanktionieren. Das Fördern und Fordern ist mittlerweile zum Fordern und Foltern umfunktioniert worden. Es findet eine Enteignung derjenigen statt, welche das Pech haben, ALG II beantragen zu müssen. Diese Gesetzgebung, welche man philosophisch als Rechtspositivismus bezeichnet, begünstigt geradezu die Willkür gegen betroffene Mitbürger.
Die Vorgehensweise zu Lasten von Millionen führte zu einem Leichtlohnsektor, der in Europa einmalig sein dürfte. Eine Voodoo-Wirtschaftspolitik ist eine der Ursachen dafür, dass innerhalb der Euro-Zone in vielen Ländern Handelsbilanzdefizite entstanden sind, die zudem noch von den Banken leichtfertig finanziert wurden. Man war offensichtlich der Meinung, dass eine Fristentransformation der Staatsdefizite in die Unendlichkeit kein Problem darstellen würde. Diese Meinung dürfte sich als Illusion herausgestellt haben. Um die Euro-Zone und den Euro als solches aufrecht zu erhalten, wurden Unterstützungsleistungen mit erheblichen Finanzrisiken für die Bundesrepublik erforderlich. Ironisch lässt sich durchaus behaupten, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Steuerzahler die Zeche für eine verfehlte Wirtschaftspolitik, welche man auch als Staatsmonopolkapitalismus (1) titulieren kann, zu zahlen hat. Nebenbei sei erwähnt, dass wir die vielgelobten Exporte in einige EU-Ländern praktisch selbst zu bezahlen haben. Die Erfahrungen, die im Stabilitätsgesetz aus dem Jahre 1967 verankert wurden, hinsichtlich der Not- wendigkeit, ausgeglichene Handelsbilanzen darzustellen, wurden ignoriert.
Es ist also festzustellen, dass der bestehende Zustand auf dem Arbeits- oder Sklavenmarkt politisch gewollt oder zumindest bewusst in Kauf genommen wird. Es kann also schlecht behauptet werden, dass die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (2) eine Missachtung der Arbeit beinhaltet. Diese Missachtung wurde durch die Agenda 2010 von der SPD, in der Herr Sommer Mitglied ist, eingeleitet, und durch Schwarz/Gelb fortgesetzt. Es gibt tatsächlich Sprecher der Bundesregierung, welche behaupten, dass zur Zeit die Arbeitslosenzahl die niedrigste seit 21 Jahren sei. Offensichtlich haben diese Personen ein Statistikproblem, da Äpfel und Birnen miteinander verglichen werden und zusätzlich eine Manipulation der Daten (3) durch die Jobcenter erfolgen.
Wenn also die Arbeitslosigkeit oder prekäre und subventionierte Arbeitsverhältnisse als politisch gewollt angesehen werden, dann kann eine Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen wohl kaum als Missachtung der Arbeit bezeichnet werden. Seit bestehen der Agenda 2010 sind die Voraussetzungen für die vertretene Philosophie nicht mehr vorhanden, und die Forderung, dass „derjenige, der nicht arbeitet, auch nicht essen darf,“ beinhalten eine Ungeheuerlichkeit. Es ist nunmehr festzustellen, dass unter den gegebenen Umständen eine Rückkehr zu anderen Umfeldbedingungen für abhängig Beschäftigte eine Illusion darstellt. Hier werden anerzogene Eigenschaften des Menschen aus machtpolitischen Erwägungen heraus missbraucht.
Um dieses zu verstehen, muss man sich mit der Fragestellung befassen, welche wie folgt lautet:
„Wozu braucht der Mensch die Arbeit?“
Arbeit dürfte nicht nur eine objektive Voraussetzung für die menschliche Existenz sein, sondern auch ein subjektives Bedürfnis. Da gesellschaftliche Anerkennung und Selbstbewusstsein nach wie vor weithin durch Arbeit vermittelt wird, bedeutet Arbeitslosigkeit, auch wenn die erzwungene Untätigkeit finanziell überbrückt werden kann, ein großes Leid für die Betroffenen. Es scheint eine Gattungseigenschaft des Menschen zu sein, Arbeit und eine produktive Tätigkeit auszuüben. Hegel drückt dieses wie folgt aus: „Die Tätigkeit, welche sie ins Werk und Dasein setzt, ist des Menschen Bedürfnis, Trieb, Neigung und Leidenschaft. Daran, dass ich etwas zur Tat und zum Dasein bringe, ist mir viel gelegen: Ich muß dabei sein; ich will durch die Vollführung befriedigt werden. Ein Zweck, für welchen ich tätig sein soll, muß auf irgendwelche Art auch mein Zweck sein.“
In der „Phänomenologie des Geistes“ zeigt Hegel, wie das „formierende Tun“ der Knecht zum Bewusstsein seiner Naturüberlegenheit, und damit zum Selbstbe- wusstsein seiner Freiheit gelangt. Die Aussage, dass Arbeit frei macht, wurde auf bittere Art und Weise im Dritten Reich publiziert. Interessanterweise kannten ältere Kulturen, vor allem die antiken Sklavenhaltergesellschaften, nicht die hohe Wertschätzung der Arbeit. Aristoteles unterscheidet zum Beispiel zwei Arten der menschlichen Tätigkeit: das Herstellen materieller Gegenstände und die diskutierende, öffentliche Tätigkeit der Bürger, denen es um das Wohl und um das gute Leben geht. In seiner Ethik stellt er eine Hierarchie der Tätigkeitsarten auf, an deren Spitze die Tätigkeit der Vernunft steht. Karl Marx findet eine vergleichbare Einschätzung, wenn er von der menschlichen Kraftentfaltung spricht, und die allein dem Reich Freiheit angehört.
Die positive Wertschätzung der Arbeit im Sinne des Herstellens von Gebrauchs- werten wurde durch das Christentum vermittelt und von mittelalterlichen Mönchs- orden mit ihrer Forderung: „ora et labora“ propagiert. Die von Klöstern betriebene Kultivierung von Brachland und Wildnis trug demnach zur Förderung des Arbeits- ethos bei und gilt als eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung eines bürger- lich-kapitalistischen Arbeitsethos. Übrigens waren es die Klöster, die als erste Institution Uhren zur Einteilung der Tätigkeiten herstellen ließen. Thomas von Aquin legitimierte die mittelalterliche Ständegesellschaft und die Spitzenstellung des Klerus dadurch, daß er der kontemplativ-theoretischen Tätigkeit in Anlehnung an Aristoteles einen klaren Vorrang gegenüber der manuell-praktischen einräumte. Erst die Reformation hat mit dieser starren Auffassung gebrochen. Es wurde die Gewissen- haftigkeit in der Ausübung einer Berufspflicht gefordert.
Mit den vorangegangenen Ausführungen sollte deutlich gemacht werden, dass die im zeitgenössischen Europa – in Ost und West – noch immer verbreitete Hoch- schätzung von Arbeit, gerade auch mühevoller Arbeit, keineswegs als selbstver- ständlich anzusehen ist. Erst mit dem Aufstieg des Bürgertums hat sich dieses Ver- ständnis durchgesetzt.
Wer sich um Anerkennung und Wertschätzung bemüht, wird immer wieder behaupten, dass er zuviel zu tun habe und überarbeitet sei. Anstelle der Muße haben wir die Freizeit gesetzt, welche sich dadurch legitimiert, der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu dienen.
Die Forderung nach einem bedingslosen Grundeinkommen hat etwas mit der Freiheit des Individiums, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, zu tun. Eine Gesellschaft, welche diese Freiheit für Millionen von Menschen bewusst unterdrückt, hat ihre Glaubwürdigkeit verloren. Insbesondere dann, wenn davon ausgegangen werden kann, dass im Prinzip genug Arbeit vorhanden ist, aber niemand diese bezahlen will. Der Mensch ist, wie aus den Ausführungen ersichtlich, vom Wesen nicht dazu geeignet, keine Arbeit oder Tätigkeit auszuüben. Dieses bedeutet, dass das bedingungslose Grundeinkommen dazu führen wird, dass Tätigkeiten geleistet werden, welche in den Statistiken nicht erscheinen, da diese nicht bezahlt werden, jedoch notwendig sind. Hinzu kommt, dass das Individium die Freiheit haben sollte, ungewollte Tätigkeiten abzulehnen, um kreativere Beiträge für die Gesellschaft zu leisten.
Was die Kosten betrifft, so sollte man sich keine Sorgen machen. Immerhin hat die Gesellschaft die Mittel, über 100 Tausend Menschen in die Vermittlung von Arbeit, und der Ermittlung von angeblich Arbeitsunwilligen, zu stecken, um die Behauptung aufrecht zu erhalten, dass Erwerbslosigkeit etwas Unehrenhaftes ist, da diese etwas mit mangelndem Leistungswillen und Produktivitätsschwäche zu tun hat. Die Möglichkeit des abhängig Beschäftigten, ohne Begründung aus einem Arbeitsverhältnis auszuscheiden und gleichzeitig den Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz befürchten zu müssen, führt dazu, dass aus einem Sklavenmarkt wieder ein Arbeitsmarkt wird. Es scheint tatsächlich so, als ob ein gewisser Personenkreis Nachhilfeunterricht im Bereich Geisteswissenschaft notwendig hätte.
Eine selbsternannte, vermeintliche Elite, sollte es künftig unterlassen, die Mitbürger für Wesen zu halten, welche mit unsinnigen Behauptungen ferngesteuert werden können.
Literaturhinweis: Irving Fetscher:
Überlebensbedingungen der Menscheit. Ist der Fortschritt noch zu retten?
(1) http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_2956/
(2) http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3316/
(3) http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3343/
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