DIE LINKE verliert im Osten an Einfluss – Doch warum ist das so?

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Einst regierte die LINKE den Osten unisono und war als Kümmererpartei allgegenwärtig. Der deutsche Osten der Puls und die Partei seine Herzkammer. Doch die Windrichtung hat sich geändert, die Herzen auch: Die LINKE ist im Abschwung und verliert an Atem, ihr droht der Infarkt, wenn nicht gleich der Kollaps und die Versenkung in der Bedeutungslosigkeit. Denn wer im Osten Denkzettel verteilen will macht das schon längst nicht mehr im Links, sondern mit der AfD.

Während der letzten 20 Jahre hat die LINKE im Osten einen ewigen Sommer gefeiert, denn die SED-Nachfolgepartei trotzte nur so vor Kraft wie ein Superathlet voller Testosteron. Nun haben die Erben von Honecker und Co, die sich den hehren Sozialismus auf die Banner der Agitation geschrieben haben, den politischen Herbst eingeläutet. Nicht nur in Sachsen und Brandenburg, sondern auch in Thüringen schrumpft die einstige Volkspartei des Ostens, verkümmert wie ein welkes Blatt im heraufziehenden Herbststurm der AfD. Die Erfolgsgeschichte endet im Fiasko und die Linkspartei kämpft wie die im Herbstlaub rauschende SPD um die Zweistelligkeit. Aber warum ist das eigentlich so? Fünf Gründe für den Niedergang der LINKE.

1. Die neue LINKE ist farblos

Die LINKE lebte einst von charismatischen Persönlichkeiten alten Schlages. Die neue LINKE kleidet sich mehr denn je in Farblosigkeit und personellen Mittelglanz, versinkt im müden Strohfeuer ihrer eigenen Ideenlosigkeit. Als dieses Chamäleon hat sie den Ursprungswähler längst vergessen bzw. im Farbenwechsel haben diese die Übersichtlichkeit verloren und die scheinbar blaue neue hinzugewonnen.

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine standen einst für eine politische Streitkultur, die nicht nur intellektuell faszinierte, die auch kampferprobt den Klassenkampf ins Zentrum stellte und sich als Anwälte der kleinen Leute geschickt zu inszenieren wussten. Die neue Linke hingegen – samt ihren Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger -mag zwar engagiert und couragiert sein, aber Debatte im klassischen Sinne der alten Bundesrepublik können sie nicht. Sie sind eher so eine Art Weichspülprogramm des Sozialismus, den man ihnen aber auch irgendwie nicht abnimmt. Was fehlt ist die existentielle Leidenschaft wie sie sich einst in der Vorzeigefrau der Linkspartei, in Sahra Wagenknecht, manifestierte. Die LINKE im Bundestag wirkt derzeit wie ein Auffangbecken für Karrieristen, die darüberhinaus blasse Rhetoriker sind und die Idee des Sozialismus wie einen Selbstbedienungsladen vor sich hertragen, dem man eigentlich kein Vertrauen mehr schenkt – weichgespülter Sozialismus ohne Charisma eben. Das Ganze gleicht vielmehr einer implodierenden Mischung zwischen Gebrauchtwagenverkäufer und sich selbst inszenierender Kindergartenkultur.

2. Der Gang in den Westen hat nichts genützt

Bodo Ramelow, der einzig amtierende Ministerpräsident der LINKEN, hat das Hauptproblem seiner Partei einmal als demographisches beschrieben. Das Urklientel ist im Zeitalter der Vergreisung angekommen und die alten Klassenkämpfer von einst sind längst in Rente. Der Wahlkampf hat sich quasi von der Straße ins Altenheim verschoben.

Diese Generationswende war und ist für die LINKE das größte Problem, denn das Klientel, auf das sie einst setzte, stirbt wie einst die Dinosaurier aus, was nachfolgt, wählt zumindest grün oder AfD. Der Gang in den Westen war vor Jahren die einzige denkbare Lösung des Generationenproblems – quasi das Notbeatmungszelt samt Frischzellenkur. Doch so sehr die LINKE diesen Spagat vollzogen hat, um so mehr hat sie an Wirk- und Gestaltungskraft verloren, hat ihr Ursprungsklientel abgehängt und glänzt mit einem modernisierten Sozialismus, der aber was anderes meint, als man im Osten zumindest darunter verstanden hat. Im Westen bleibt man, was linke Ideologien betrifft, so wie so immun. Als gesamtdeutsche Partei dümpelt die LINKE im Westen vor sich hin und verliert im Osten zunehmend an Boden. Sachsen und Brandenburg sind nur erste Gradmesser für einen politischen Niedergang, der mit der Thüringenwahl letztendlich den LINKEN die Rote Karte zeigen könnte.

3. Der Ursprungswähler hat die Farbe gewechselt

Die Arbeiter, sofern es von dieser Spezies noch welche im Osten nach erfolgreicher Treuhand-Sanierung gibt, haben mittlerweile die Fronten gewechselt. Denn die LINKS-Partei vertritt nicht mehr die Ränder, sondern ist selbst zum Establishment geworden, zu einem Sammelsurium von Plattitüden und fungiert als Staubsauger von Anbiederung und politischen Opportunismus. Von den Arbeitern hat sich die LINKE spätestens mit ihrer Willkommens à la Merkel verabschiedet. Denn Bleiberecht für straffällige Flüchtlinge, Genderdebatten und Fahrverbote sind in der Kernklientel verpönt. Das wusste Sahra Wagenknecht bereits vor drei Jahren als sie formulierte: „Leider verbinden heute viele mit ‚links’ etwa die Befürwortung von möglichst viel Zuwanderung oder abgehobene Gender-Diskurse, die mit dem Kampf um echte Gleichstellung wenig zu tun haben.“ Wer über das Volk hinwegdebattiert, das mussten die Kommunisten bereits vor 30 Jahren als bittere Enttäuschung wahrnehmen, verliert es.

Während die Grünen mit ihrer populistischen Verbotskultur zum Höhenflug ansetzen, weil es in der repressiv-romantischen Natur des Deutschen liegt, sich gängeln zu lassen, will die LINKE im Kampf um Deutungshoheit krampfhaft mitspielen. Und das Krampfhafte zermürbt die Partei von innen wie eine Made den faulen Apfel. Anstatt aufs Maul des Volks zu schauen, wird merkelisch adaptiert, wird der Korb der Inhalte in aller Beliebigkeit mit Aktualität gefüllt.

Was dabei herauskommt, ist ein Einheitsbrei der Austauschbarkeiten. À la Merkel werden grüne Themen wie Versatzstücke ins Rollen gebracht, ob Abschiebestopp, Gender und Fahrverbote – die Linken machen alles, um den Staus quo zu halten. Doch was sie dabei übersehen, ist, dass sie damit nicht auf der Überholspur, sondern am Standstreifen fahren. Abgeklatschtes mag zwar in der Politik immer ziehen und der Ideenklau steht ja auf der Agenda ganz oben. Doch bei der LINKE mag das nicht verfangen. Und so ziehen die Grünen, nun zwar ohne Luftballons auf ihrem elektrischen Tretroller, dem Klimakiller schlechthin oder auf dem Fahrrad,  an der LINKEN vorbei, die zwar den Trabi gegen den Kleinwagen getauscht hat, aber bald wie die anderen auch kein Benzin mehr dafür finden dürfte, weil sie das Benzin in den Orkus der Geschichte wirft.

4. Die Personalie ist wichtiger als das Programm

Linker Parteikampf scheint nicht mehr über Inhalte, sondern nur noch über Personen zu funktionieren. Dies ist zumindest in Thüringen der Fall, wo Ministerpräsident Bodo Ramelow die Früchte von Bernhard Vogel und Co erntet. Ramelow, der derzeit einen Wahlkampf aus der Defensive macht, hat das Land geordnet und genießt Ansehen im Wahlvolk – selbst bei den stoßweise eingewanderten Wessis. Er gilt als kluger Landesvater mit dem man sich arrangiert hat. Wenn die LINKE also in Thüringen bei der Landtagswahl im Oktober mehr Stimmen als in Brandenburg und Sachsen einfährt mag das mehr an der Personalie Ramelow als am Parteiprogramm der LINKEN selbst liegen. Ramelow, der assimilierte Ossi, weiß wie das Land tickt, er ist allgegenwärtig und macht den Kümmerer. Das kommt an. Doch ob die Personalie Ramelow den Niedergang der LINKEN langfristig zu stoppen vermag, sei dahingestellt.

5. Mehr Sahra Wagenknecht

Das einzige ostdeutsche Original neben Katja Kipping ist Sahra Wagenknecht. Die einstige Philosophiestudentin aus dem thüringischen Osten, die Noch-Fraktionsvorsitzende, stand und steht für einen Neuaufbruch der Partei, weil sie sensibel die Karten mischte, die Bedürfnisse der kleinen Leute analysierte und damit den Nerv traf. Doch Wagenknecht gilt intern als Unliebsame, als Populistin, die im Mitte-Kurs der LINKE eher stört. Lieber schickt man sie in die Bedeutungslosigkeit als ihre Stimme als Gewissen Ostdeutschlands zu hören. Während unter Katja Kipping die LINKE zum Leipziger Allerei wird, hatte Wagenknecht immer den objektiveren Blick auf die Stimmungslage im Osten. Mit Wagenknecht verliert die Partei womöglich ihren rettenden Anker, der ihr zum Wiederaufstieg zur Volkspartei im Osten verhelfen könnte. Der Wagenknecht-Seismograph hatte in den vergangenen Jahren immer vor dem Bedeutungsverlust ihrer Partei gewarnt, nur hören wollte das keiner. Schade für die LINKE, die wie die SPD nun in den Keller ihrer Existenz einläuft. Es sei denn man findet wieder Persönlichkeiten im Stile von Sahra Wagenknecht.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".