Die Liebe zur Strecke gebracht – „Romeo und Julia“ als actiongeladene Beziehungskiste am Münchner Volkstheater

Romeo (Silas Breiding) und Julia (Carolin Hartmann)

Sich an Shakespeare halten? Neuling Kieran Joel, der erstmals sein Glück als Regisseur auf einer großen Bühne, nämlich der des Münchner Volkstheaters, versucht, denkt nicht dran. So wie er aus dem Klassiker „Romeo und Julia“ ein modernes Märchen mit flapsigem Neo-Text macht, der mit nichten die Liebe trägt, ihr kein Loblied singt – „bis dass der Tod euch scheidet“ – so bedient er die Erwartungen eines fernseh-verwöhnten Publikums mit Showeffekten und Entertainment. Da ist kein entschiedener Mann am Werk, der ganz auf William Shakespeares vertraut, der seine Poesie und Metaphern zur Wirkung bringt. Da will einer partout eingeschlagene Wege verlassen und was Neues zeigen: action und (durchaus auch mal gekonnte) Anspielungen auf zeitgerechtes Sich-ineinander-Verknallen. In einer Sprache, die gleich zu Anfang erklärt: Jede moderne Beziehungskiste endet doch nur „in der Scheiße“.

Joels Darsteller bringen sich mit Kraft (Silas Breiding als Titelheld: schön, leidensbereit und agil; Jonathan Müller als sein Mordopfer Tybalt: warum als fett ausgepolsterter Widerling?), Eigensinn (Nina Steils als Amme, die hier Angelika heißt und toll wie aus einem Disney-Verschnitt entliehen wirkt; Max Wagner als Paris: Parship-Match-Man von der unsympathischen Sorte) und Experimentierfreude ein: allen voran Luise Kinner, die Romeos Intimus Mercutio als Frau gibt, was ihr perfekt gelingt. Jakob Immervoll als Capulet, Julias Vater, der mit allen Mitteln seinen Julia-Anwärter Paris durchboxen will und Jonathan Hutter als Italo­-Priester (nicht „Mönch“, bitte, der ist es bei Shakespeare!) geben glaubhafte Figuren ab. Einzig die Julia der viel zu gereift, gelassen und gar nicht naiv wirkenden Carolin Hartmann, die noch dazu Henriette Müller schwarz-bieder einkleidete, kommt mit ihrem Versuch, abgeklärt und distanziert zu bleiben, nicht an.

Wer will denn, wenn er „die größte Liebesgeschichte der Weltliteratur“ (Theaterflyer) zeitgemäß vorgesetzt kriegt, einen Veroneser Balkon sehen (die Video-Bilderjagd zu Anfang hätte sich, wie die ganze Disco-Szene mit den Verkleidungs-Fratzen, Ausstatter Jonathan Mertz sparen können)! Knallige Unterhaltung mit Lichteffekten, Treppensteg ins Publikum hinein, Blut und Gift aus der Spraydose, ein ganz anderer Stücke-Schluss (hier stirbt nicht das klassische Liebespaar, sondern jeder für sich allein), der Mix aus Komik, Ironie und Todernsthaftigkeit – das alles bleibt oberflächlich und rührt nur selten an. Wie schade.

FOTO (Hans Gärtner)

Blut und Gift aus der Spraydose: das moderne Paar aus der „größten Liebesgeschichte der Weltliteratur“ im Münchner Volkstheater: Romeo (Silas Breiding) und Julia (Carolin Hartmann)

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Über Hans Gärtner 502 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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