Juni 1974. Klassenfahrt 11.Klasse nach Mutzschen. Tolles Wetter, gute Laune. Diktatur hin, Diktatur her, die DDR bestimmte nicht, ob und wie sich gute Freunde zu guten Stunden verhalfen. Gewusst wie und geübtes Leben zwischen den Zeilen war möglich, wenn auch ständig mit schlimmen Fingern und falschen Freunden gerechnet werden musste. Man bekam von Kindesbeinen an Übung darin.
Der Zufall wollte es, unsere Klassenfahrt fand am Fußballdeutschland-Wochenende der WM `74 statt. Die größte DDR der Welt gegen Deutschland, so die Ansage. Sollten die DDR-Fußballer nicht nur guten Fußball spielen, sondern mit ihrem erfolgreichen Spiel die Überlegenheit des Sozialismus beweisen, so wurde von den Bundis eigentlich nur guter Fußball erwartet. Das die Bundesrepublik das bessere Deutschland gewesen wäre, wenn die bundesdeutsche Nationalelf gewonnen hätte, diese idiotisch anmutende Vermutung hatte unter uns niemand. Was ein weiterer Grund für meinen Freund Jürgen Rechner (leider inzwischen verstorben) und mich war, auf den Erfolg der bundesdeutschen Kicker zu hoffen. Honecker sollte nicht einmal im Fußball über den freien Teil Deutschlands triumphieren! Die Vorstellung war uns ein einziger Graus. Wir zeigten sogar, auf wen wir hielten und standen inmitten der Fernseh-Runde unserer Klasse beim Abspielen der Hymnen kurz bei „Einigkeit und Recht und Freiheit“ auf, wohlwissend, das könne gewaltig ins Auge gehen. Auch stand die Vergabe der Studienplätze noch bevor.
Die meisten Freunde kicherten, einigen erstarrten. Ob aus Angst oder ob unsrer Chuzpe, das war nicht zu erkennen. Das Spiel begann ja auch gleich danach. Wir beide hielten offenkundig auf die Westdeutschen, die Freunde, die ähnlich dachten wie wir, verhielten sich eher still und geizten mit Applaus für das DDR-Spiel. Es gab auch DDR-Applaudierer, aber das war uns egal. Wir machten keine Gewissensfrage für unsere Mitschüler daraus. Das konnte gar nicht unsre Rolle sein. Wir wussten, wo wir leben und wer über unser Leben, wenn es hart käme, bestimmen würde. Uns ging es ums Anzeigen dessen, was uns sympathisch war. Nicht mehr, nicht weniger. In den Spiegel wollten wir schon schauen können.
Am nächsten Tag nahm uns die Klassenleiterin zur Seite. Sie war gleichzeitig unsere Staatsbürgerkundelehrerin und musste irgendwas mit uns machen, ihr war schließlich unser Verhalten zugetragen worden. Sie nahm uns das Versprechen ab, zukünftig besser auf uns achtzugeben und das war es dann. Sie wird uns nicht verpfiffen haben. Ob aus Gründen einer irgendwie gearteten Fairness jungen Männern gegenüber, denen sie eine Zukunft gönnte oder aus der Befürchtung heraus, für unser „Fehlverhalten“ als richtig schlechte Erzieherin gemaßregelt zu werden und selbst Probleme zu bekommen, das erfuhren wir nie. Es gab ja unter den Staatsbürgerkundelehrern solche und solche. Sie war möglicherweise eine solche, die mit offener Repression nicht arbeiten mochte. Keine Ahnung, wegen ihr schreibe ich auch nicht diesen Text. Das Spiel ging für uns mit Sparwassers Tor beschi…en aus. Zum Glück wurden wir wenig später doch noch Weltmeister mit der bundesdeutschen Elf gegen die Niederlande.
Elf Fußball-Weltmeisterschaften später erlebe ich etwas, was mir von 1974 her unangenehm bekannt vorkommt. 1974 war mir die DDR-Fußballmannschaft schnuppe. Die Überfrachtung mit der ideologischen Botschaft „der Sozialismus siegt“ machte mir das Halten auf die DDR-Mannschaft unmöglich. Obwohl ich etliche Spieler der Mannschaft sehr mochte. Der Zwiespalt war widerlich. Und heute? Die Nationalmannschaft heißt nur noch „Mannschaft“. Ist das die Selbstaufgabe einer Nation zugunsten eines gesellschaftlichen Konstruktes „Multikulturalismus“ genannt? Hey, Leute! Ich will auf die Mannschaft meines Vaterlandes Deutschland halten, nicht auf eine bunte Truppe, die nur für Profifußball steht und das millionengesichtige und doch so gesichtslose Merkel-Deutschland verkörpern soll.
Es ist wohl eher ein schleichender Prozess der Entfremdung. Die inzwischen vielen ausgezeichneten Fußballer in der Nationalmannschaft mit nichtdeutschen Wurzeln spielen dabei für mich keine ausschlaggebende Rolle. Deutscher ist, wer deutscher Staatsbürger ist. Ob der nun Neuer, Hummels oder Khedira heißt! Die deutsche Fußballnationalmannschaft war und ist schon immer „meine“ Mannschaft. Egal ob es die 74er, 90er, 2006er, 2010er oder 2014er war. Mit jedem Spieler darin, egal welche Wurzeln er besitzt. Bis vor kurzem übersah ich sogar Özils Nichtmitsingen von „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Es war seine Sache und sie störte mich nicht. Der Junge spielt wunderbaren Fußball für seinen Verein, für Deutschland und für sich. Im Gegenteil, wenn das alles im Fußball klappt mit dem Zusammenwachsen und Integrieren, dann kann das nur gut für uns alle sein. So dachte ich bis vor kurzem wirklich.
Was hat sich plötzlich geändert? Özils und Gündogans Bekenntnis zum türkischen und nicht zum deutschen Bundespräsidenten allein vermag das nicht zu erklären. So wichtig die beiden auch als unsere Mitmenschen sind, so politisch bedeutend sind sie bei keinem Wetter. Es ist höchstens so, dass beider politischer Unfähigkeit sozusagen als die Maus, die letztlich die Rübe mit rauszieht, in mir etwas in Gang gesetzt hat, was mich im Moment jedenfalls eher für die Isländer als für die „Mannschaft“ die Daumen drücken lässt.
Der DfB ent-nationalisiert die deutsche Nationalmannschaft. Es ist zwar nicht die Sprache derer, die „Deutschland als mieses Stück Scheiße“ entsorgen wollen, aber doch das grün-Merkelsche Bild einer Multikulturalität, die eigentlich als Atomisierung der Gesellschaft derer daherkommt, die schon länger hier leben und sich der Merkel’schen Gesellschaftsarchitektur widerspruchlos einfügen sollen.
Es ist irgendwie wie 1974: Damals widerte mich die ideologische Beanspruchung der DDR-Nationalmannschaft an, heute entfremdet mich die DfB-Assistenz bei der Umerziehung der länger hier Lebenden.
Die Kommunisten vermochten nicht, mich zu erziehen. Dem DfB wird das erst recht nicht gelingen.
Quelle: Weissgerber – Freiheit
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