In den 1980er Jahren wandte sich der Pop Art-Künstler Andy Warhol (1928 bis 1987) mit seinen Bildern über „German Monuments“ besonderen Architekturdenkmälern zu. Den Auftakt bildete dabei der Kölner Dom. Bis heute gehören Warhols über 80 Darstellungen der Doppeltürme des Kölner Wahrzeichens zu den bekanntesten Serien von Porträts, die Warhol in der ihm eigenen Siebdrucktechnik farblich und technisch variierte. In den 1890er Jahren bannte Claude Monet (1840 bis 1926) die Westfassade der Kathedrale Notre-Dame von Rouen 28 Mal auf Leinwand. Es war bereits die dritte Serie, die der französische Impressionist geschaffen hatte, um damit ein festes Motiv in seiner Augenblicklichkeit nach unterschiedlichsten Kriterien und Bedingungen festzuhalten. Allein vier dieser Bilder aus der Serie von Monet sind aktuell im Kölner Wallraf-Richartz-Museum (WRM) versammelt. Zudem sind einige der erwähnten Serienbilder von Andy Warhol sowie dessen Kollegen Roy Lichtenstein, der mit seiner Lithografie-Serie „Cathedral“ rund 80 Jahre nach Monets Serie direkt auf diesen Bezug nimmt und antwortet, zu sehen. Die Bilder der Pop Art-Künstler sind mehr als nur Beispiele für den künstlerischen Umgang mit dem Motiv der gotischen Kathedrale in der zeitgenössischen und modernen Kunst. Sie stehen vielmehr in einer langen kunsthistorischen Entwicklung und Thematisierung eines Bildmotivs, das in der Romantik wiederentdeckt und über Im- und Expressionismus bis in die Gegenwart hinein zu den unterschiedlichsten künstlerischen Darstellungen geführt hat.
Obwohl sich das Thema über Jahrhunderte in der Malerei durchzieht, bis in die Gegenwart immer wieder entdeckt und bearbeitet worden ist, gab es bislang keine eigene Ausstellung, die dies aufgegriffen hat. In mehr als 200 Werken von zum Teil weltbekannten Künstlern zeichnet nun das WRM mit der Ausstellung „Die Kathedrale“ diese Entwicklung in „Romantik – Impressionismus – Moderne“, so der Untertitel, nach – eine kontinuierliche künstlerische Durchdringung, die eigentlich literarisch inspiriertund daher insbesondere als eher geisteswissenschaftliche Reflexion ihren Ausgang genommen hat.
Denn es war der junge Goethe, dessen 1773 verfasste Schrift über das Straßburger Münster mit dem Titel „Von Deutscher Baukunst“ in Deutschland eine Wiederentdeckung der Gotik auslöste. Die mittelalterlichen Kathedralen werden aus der Vergessenheit geholt, sie werden als Sehnsuchtsorte und selbstbewusste Monumente der Geschichte platziert oder aber zum nationalen Symbol stilisiert. Eine ähnliche Entwicklung der Gotikbegeisterung gab es einige Jahrzehnte später in Frankreich. Hier war es Victor Hugo, der mit seinem Roman „Notre-Dame de Paris“ das nationale Bewusstsein für die französische Gotik – die schließlich vor der deutschen liegt und diese erheblich beeinflusst hat – wiederbelebt.
Der deutsch-französische Antagonismus spiegelt sich auch in den Kathedralen sowie in der künstlerischen Beschäftigung mit ihnen wider. Die vorweggenommenen Darstellungen des fertig gestellten Doms zu Köln von Carl Hasenpflug, Carl Georg Enslen oder Vinzenz Statz – übrigens neben dem Panoramafenster mit grandioser Aussicht auf das Original – zeigen die Kathedrale eher als Nationalsymbol denn als Gotteshaus. Und auch die Bilder der französischen Impressionisten, die das Herzstück der zehn chronologisch geordneten Räumlichkeiten bilden, drücken mehr die nationale Größe und Symbolkraft der gotischen Formensprache denn ihre Anmut oder gar Glaubenssprache aus. Besonders wirkungsvoll inszeniert ist der versöhnliche Abschluss dieses deutsch-französischen Gegensatzes im Raum mit dem Titel „1914“. Dort fließt einem Wasserspeier der Kathedrale von Reims geschmolzenes Blei aus dem Maul, das sich bei der enormen Hitze verflüssigt hatte, nachdem deutsche Soldaten im Jahr 1914 das Gotteshaus in Brand geschossen hatten. Platziert wurde die Steinskulptur vor einigen Entwürfen der vor drei Jahren eingesetzten neuen Kirchenfenster für Reims, die der deutsche Künstler Imi Knoebel entworfen hat.
Dass die Kathedralen gebauter Glaube, Gotteshäuser waren und sind, kommt eher in den Werken der Romantiker zum Ausdruck, Carl Gustav Carus etwa oder Caspar David Friedrich. Letzterer zeigt beispielsweise beim „Kreuz im Gebirge“ oder der „Gartenlaube“, aus der ein Paar auf eine stolz in den Himmel ragende Kathedrale blickt, die für ihn charakteristische Maltechnik, die die Stimmung der Natur, aber auch das Empfinden von Spiritualität sowie Hoffnung auf eine überirdische Gewissheit festhält. Auch im Expressionismus kommen übergeordnete Motive und Gedanken zum Tragen. So wurde die Vorstellung der mittelalterlichen Dombauhütte, in der die unterschiedlichsten handwerklichen Gewerke für die Entstehung des gesamten Baus zusammenwirkten, für Lionel Feininger der Ausgangspunkt für das im April 1919 gestaltete „Titelblatt für das Manifest und Programm des Staatlichen Bauhauses (Kathedrale)“.
Freilich kann und will die Ausstellung dieses städtischen Museums keine religiös motivierte Schau sein. „Ein gläubiger Besucher nimmt die Ausstellung sicherlich anders wahr als ein areligiöser Mensch“, sagt Museumschef Marcus Dekiert. Gleichwohl stellt sich beim Rundgang durch die Werke aus zwei Jahrhunderten sehr schnell die Frage nach dem individuellen Verhältnis zur gotischen Kathedrale und letztlich auch zum Glauben ein. Bei aller Begeisterung für die Gotik als Baukunst, wie sie am Ende der Ausstellung beispielsweise in den vor wenigen Jahren entstandenen Arbeiten eines Stephan Balkenhol, Boris Becker oder Roland Fischer thematisiert und künstlerisch bearbeitet wird, bleiben die Kathedralen letztlich doch durch alle Jahrhunderte: steinerne Zeugen eines lebendigen Gottesglaubens.
Bis 18. Januar, dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr.
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