Die islamische Welt wartet auf Obamas Wechsel – Wann öffnendie USA ihre »geballte Faust«?

Die Hälfte der ersten hundert Tage hat die neue USA-Regierung bereits hinter sich, doch die islamische Welt wartet noch auf den versprochenen »Wechsel«.

Nach ihrem spektakulären Wahlkampf zeigte sich die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton jetzt bei ihrem Israel-Besuch vergleichsweise nachgiebig mit dem kommenden Regierungschef Benjamin Netanyahu. Während Bulldozer in Ost-Jerusalem 80 Palästinenser-Häuser planierten und im Westjordanland 170 frische Siedlerhäuser entstanden, sprach sich die Führungsfigur der sich abzeichnenden neuen israelischen Rechtsfront undiplomatisch klar gegen die noch unter Präsident Bush angestrebte Zwei-Staaten-Lösung in Palästina aus. Und auch gegen weitere Friedensgespräche mit Palästinensern, gleich welcher Couleur. Dabei fordert Hillary Clintons Begleiter, der Nahost-Sondergesandte George Mitchell, seit Jahren ein Ende jeglicher israelischer Neubauten im Palästinensergebiet. Derweil liegen 900 Millionen Dollar für den geschundenen Gaza-Streifen auf Eis, weil die USA-Regierung derzeit noch immer studiert, wie sie das Geld an der 2006 demokratisch gewählten Hamas-Regierung vorbeileiten kann.
Auch in Afghanistan ist von »Wandel« nichts zu spüren. Westliche Medien berichten zwar über liberale Politikversprechen der Taliban durch deren ehemaligen Finanzminister Mullah Mutassim Agha Jan. Sie berichten jedoch nicht, dass er Mitglied der Talibanführung und offiziell ernannter außenpolitischer Unterhändler ist. Die USA senden statt deutlich mehr und effizienterer Entwicklungshilfe vor allem mehr Truppen an den Hindukusch – 17 000 Mann, für 60 Millionen Dollar pro Tag. Dies soll angeblich die Wahlen im August absichern. Doch in diesem einen Monat können die Taliban wegen der Ferien an Pakistans Religionsschulen 50 000 Kämpfer mehr einsetzen als sonst. Vergeblich forderte Präsident Hamid Karsai deshalb Wahlen bereits im April.
Der führende US-General in Afghanistan, David McKiernan, verstößt unterdessen gegen das Handbuch zur Aufstandsbekämpfung von Centcom-Chef General David Petraeus. Das Werk verlangt, Aufständischen jegliche Rückzugsmöglichkeiten zu verwehren und die Grenzen des Gastlandes zu sichern. Beides gelingt nicht, dank Pakistan, das selbst hilflos bleibt gegenüber fremden und eigenen Taliban und spektakulären Anschlägen islamischer Kampfgruppen mit Verbindungen zum pakistanischen Militärgeheimdienst ISI. Die USA geben inzwischen offen zu, dass sie ihre ferngelenkten Drohnen für Luftangriffe auf Ziele in Pakistan vereinbarungswidrig von pakistanischem Boden aus starten. Zum Erstaunen vieler Beobachter haben die USA den lokalen Friedensschluss mit den Taliban im Swat-Distrikt ausdrücklich unterstützt. 2006 gab es in Nordwaziristan ein ähnliches Abkommen, heute treiben auch dort die USA mit ihren Feuerüberfällen die Bewohner in die Arme der Aufständischen.
In Irak wollen die USA mit etwa 50 000 Mann die sogenannte Grüne Zone in Bagdad besetzt halten. Dort haben nicht nur die wichtigsten US-Einrichtungen ihren Sitz, sondern auch Iraks Parlament und die Regierung. Völlig ungeklärt ist überdies der Abzug zigtausender privater Söldner aus dem Zweistromland.
Nachbar Iran fragt sich weiterhin, welches konkrete Angebot Obama in seiner »ausgestreckten Hand« hält. Der Vorsitzende des sicherheits- und außenpolitischen Parlamentsausschusses Irans, Alaedin Brojerdi, bekräftigte am Freitag in Berlin, Iran sei dafür offen, auch angesichts der Über- und Eingriffe der USA gegen Iran in den vergangenen 60 Jahren. Zur Atomfrage erklärte Brojerdi, man habe die Internationale Atomenergiekommission in Wien gebeten, alle vorhandenen Fragen zu stellen, und diese seien zufriedenstellend beantwortet worden. Weitere Fragen seien nur eine »absurde Endlos-Spirale«. Irans erstes Atomkraftwerk gehe »hoffentlich bald« in Betrieb, die Brennstäbe seien geliefert. Humanitäre Hilfstransporte für Afghanistan über Iran seien möglich, Lieferungen militärischen Nachschubs nicht. Iran wünsche den NATO-Abzug aus Afghanistan.
Brojerdi hielt sich auf Einladung des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestags in Deutschland auf. Dabei wurden technische und weitere geheimdienstliche Zusammenarbeit »gegen Terror und Drogen« in Afghanistan vereinbart, dafür soll deutsche Technologie geliefert werden. Deutschland bemühe sich um Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen, insgesamt bewertete Brojerdi die bilaterale Lage positiv.
Doch US-gestützte Angriffe irakischer Kurden und Attacken westlicher Spezialkommandos gehen weiter, ebenso die unter Bush stark ausgeweiteten Geheimdienst-Aktivitäten.
Im Moment sieht es für viele Muslime so aus, als müssten erst die USA ihre geballte Faust öffnen, bevor die Beziehungen vorankommen.

Christoph R. Hörstel hat als Journalist und Politikberater seit vielen Jahren Kontakte in die Region. Von ihm erschienen 2007 bei Droemer/Knaur »Sprengsatz Afghanistan« und 2008 im Kai Homilius Verlag »Brandherd Pakistan«.

Über Hörstel Christoph R. 9 Artikel
Christoph R. Hörstel, geboren 1956, war nach Wehrdienst und Studium ab 1985 Sonderkorrespondent der ARD, Nachrichtenmoderator und leitender Redakteur; 2001 Gründung der Regierungs- und Unternehmensberatung Hörstel Networks. Er verfügt über 23 Jahre Erfahrung aus erster Hand in Afghanistan, Pakistan, Kaschmir, Iran und Irak. Publizistische Tätigkeit und Lehrauftrag als Experte für Islamische Bewegung und Terror.

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