– und hier ein Spruch von Ringelnatz -, sagt Katja: :
„sicher ist, dass nichts sicher ist, selbst das nicht“
Nur der bildende Künstler sieht kausal. Das habe ich mal geschrieben. Wo?
In der Fasanenstraße, in der Fasanenstraße … genau, da wohnten Heinrich Mann (Nummer 61) und Asta Nielsen (Nummer 69), da gab es die Galerie „Bremer“ mit dem Tresen von Hans Scharoun. Die Straße misst 2 Kilometer, reicht vom Charlottenburger Tor bis zum Hohenzollerndamm und es gibt sie seit 1901. Meine Zeit, wo fliegste hin! Der Rezensent wohnte im schönen Novellensommer 1986 im Haus Nummer 42 bei der lieben Familie Clauß zur studentischen Untermiete. Studentischer Hilfsjob an der Schaubühne (Otto Sander, Corinna Schwarz, Udo Samel und all die anderen berühmten Rampen-Strategen), mit Ausleihe an das Theater des Westens, der Bühnentechniker also als Großstadtlegionär (Cabaret mit Hilde Knef, Hellen Schneider and more nice Celebs).
Das Quasimodo war der angesagte Club. Tagsüber Studium der Kunstgeschichte an der TU (ooch Philosophie). – Im Kempinski sinniere ich heutzutage hin und wieder mit Dr. H. S. bei einer Zigarre über Kunst, Gesellschaft und Geschichte. Manchmal gehe ich ins saugute Restaurant „Esswein“. Beim Literaturhaus bleibe ich stehen und grüß kurz den Leiter des Hauses und Lyriker Ernest Wichner (es ist doch einfach schön, wenn alte Bekannte schon vor einem am Ort sind), dann rüber zur Galerie RAAB, zur neuen Vernissage.
Die Galerie kenne ich an ihren verschiedenen Standorten seit 1996, der Anlass eine fulminante Ausstellung mit Werken von Giebe. Das war noch in der Potsdamer Straße Seit den 2000ern Umzug ins Souterrain vom Kleihues-Solitär, da ging's viele Treppen runter, der Fußoden war grau und eswar wirklich zu dunkel. Ganz anders der neue Standort, die Türschwelle auf Augenhöhe mit dem Bürgersteig. Drei Räume, eine schmaler schmaler Handtuchgang, auch Ausstellungsraum, dazwischen. Martin Krammer heißt der jüngst ausgestellte und anwesende Künstler, ein Endvierziger, Lockenkopf, super schlanke jung gebliebene Erscheinung. Matura (sic) 83, Architektur-Diplom TU Wien 94, dann selbstständig. Seither Möbeldesign, Möbelbau Modellbau, Prototypenbau. Lehrtätigkeit an der HTL Mödling im Fach Holztechnik. Seit 1994 auch Quereinstieg bei der Bildenden Kunst, Holz bleibt jedoch sein Elixier. Erster Blick auf die Exponate, erster Gedanke; da hat einer, der Krammer, einen ganz eigenen Stil. Ich bleibe einige Zeit, radel aber einige Tage später nochmal zur Galerie, der Ruhe wegen, keine anderen Besucher da, die Blick und Gedanken absorbieren.
Ich setze mich also und konzentriere mich. …“plock!“…eine Skulptur fällt um, obwohl sie gerade noch stand… und jetzt bäumt sie sich von selbst wieder auf. Ein König ist's, mit goldner Kron', sein Leben hängt an einem Faden. Eine mechanische Seilwinde lässt ihn aufstehen, fallen, wieder aufstehen, wieder fallen. All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better heißt das bei Beckett (1983). Und Der kleine König willst du wohl sein, mit Klingelingeling und Scheiß am Bein, dein Reich ist nicht von dieser Welt, dort, wo der Regen nach oben fällt, da ist dein Land – bei Biermann.(1982). Und dann fallen mir schon die vielen Köpfe auf, die herumstehen wie von selbst hereingerollt – merkwürdig verrenkt, Gesichter von Bauern, allen fehlt das Kinn, ein Gesinde mit ausgesperrter Zukunft, der verwunschen' Blick nach oben.
Nur einer lacht. Feist, ganz Ich-Welt, kräftige Zahnleisten zeigend, sattes Kinn, anachronistischer Schick – und obenauf. Das ist der, der gerade wieder in aller Munde ist, weil verboten werden soll die Welt vonJohnny Porno. Davon hat er wohl noch nichts gehört oder hält es, wie alles in der Welt, nur für Geschwätz. Vielleicht will er doch – genaueres wissen? Natürlich will er nicht.
Damit schweift auch mein Blick weiter: eindringlich ein Rahmen, vom unteren Rand bis zur Bildmitte ein adoleszenter Kopf, auch hier die ungewisse Zukunft, in die Breite gezogener, eingeschnittener Mund. Hier gibt es für den Betrachter nichts zu „vernünfteln“ – das verschmierte Rot auf den Lippen scheint in der Blässe weniger aggressiv, aber nach einer heilen Zukunft a priori sieht das auch nicht aus.
Von der Wand gegenüber schaut das schöne Paar, Rubens' Junger Herr und Da Vincis Dame mit Hermelin, das Krammer auf einer mehrschichtigen dunkelbraunen Holzplatte verbandelt hat, auf eine Zukunft, die es sich nicht ausgerechnet hat, da sich nämlich scheinbar gar nichts geändert zu haben scheint – dieselben Ängste, dieselben aussichtslosen Hoffnungen, dieselben wieder oben, dasselbe Mühen, dasselbe Fallen. Auch der junge Herr, der im grün-braun-rotbraunen Bild daneben auf Stümpfe abgeholzter Bäume starrt, weist auf Altes, Übernommenes, nie Abgelegtes, mit sich Herumgeschlepptes, letztlich wie Verhextes.
Mich zieht es in den zweiten Raum. Im schmalen Handtuchgang ein Lächeln, kein von Krammer in Holz geschnittenes, weil mein eigenes bei der Betrachtung des Bildes Der Glücksfisch. Die Bartenden des Welses berühren die Oberlippe eines Passanten. Das ist sofort mein Favorit. Da fehlt völlig das Böse. Obwohl ein Mensch mit einem Fisch – will sagen Welskopf, ja auch nicht das Gelbe sein kann vom Ei, oder?
Ein Blick nochmal zur Dame aber verrät mir – des Krammers Schule Ironie heißt. Allen Exponaten fehlt mit Absicht – jeglicher Hauch von Erhabenheit. Sie sind der blanke Anti-Kult. Merke: Anbetung verboten! Meine liebe Anarchie, bleib locker! Das Glück kann dich kurz kitzeln. Bleiben muss nix. Auch die Nationalmannschaft, im Eingangsraum, herrlich krammeresk zerknittert, zittert sich an allen überhöhten Erwartungshaltungen vorbei.
Auf das wir glücklich sind!
PS: Die Exponate wechselten inzwischen die Räume, Dame und Herr und Johnny gleich im Eingangsbereich, nichts eben im Leben ist „total“ gewiss … . (nur was du erwirbst, läuft dir nie mehr weg, oder?)
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