Die griechische Tragödie

Seit sich vor ungefähr zwei Wochen durch heftige Regenfälle ein Großteil der inoffiziellen und einiger offizieller Flüchtlings-Camps im Norden Griechenlands in Sumpflandschaften verwandelt hatten, bin ich dort mit meiner griechischen Lebensgefährtin als freiwilliger Helfer tätig.
Wir versorgen zusammen mit anderen engagierten Menschen das Masaraki-Lager in Cherso, das durch das griechische Militär geleitet wird, mit gespendeter Kleidung, Snacks und mit Medikamenten.
Dieser sogenannte “Hotspot” liegt zirka 30 Kilometer von dem inoffiziellen berüchtigten Camp Idomeni an der Grenze zu Mazedonien entfernt.
In dem Hotspot befindet sich eine Unmenge an Säuglingen und kleinen Kindern in verzweifelter Lage. Es mangelt vor allem an adäquatem Schuhwerk und sanitären Einrichtungen für die dort Untergebrachten. Die Zelte befinden sich in einer permanenten Ausräucherung, da die einzige Wärmequelle, die zur Verfügung steht, Lagerfeuer mit feuchtem Holz sind.
Trotz der herrschenden Zustände, zeigen die Flüchtlinge ein erstaunliches Maß an Optimismus, Dankbarkeit und Verständnis für die Grenzen dessen, was wir für sie tun können.

Der jetzt ausgehandelte Deal mit der Türkei erwähnt nirgendwo was mit diesen bereits in Griechenland gestrandete Flüchtlinge, die an der von Mazedonien geschlossenen Grenze aufgelaufen sind, passieren soll, obwohl es ein Problem von enormer Dringlichkeit ist.
Flüchtlinge, die jetzt nach Griechenland kommen, sollen jedenfalls in die Türkei deportiert werden. Es entzieht sich meinem Verständnis wie eine solche gigantische Masse an Individuen, wahrscheinlich zehntausende, die sich dagegen sträuben in ein Land wie die Türkei abgeschoben zu werden, in menschenwürdiger Weise dorthin transportiert werden soll.
Und vor allem, inwiefern dies eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage darstellt.
Wenn ich meine Erfahrungen in dem griechischen Camp betrachte, kann ich mir ausmalen wie die Menschen in türkischen Auffanglagern dahinvegetieren werden. Die Türkei ist nicht gerade das, was man sich unter einem sicheren Hafen für Flüchtlinge vorstellt.
Was denken sich die verantwortlichen Politiker? Man gibt der Türkei eine Unmenge Geld um die Sorgenkinder erst mal loszuwerden und sie dann nur noch tröpfchenweise nach Europa durchzulassen und das Problem ist gelöst?
Wohl kaum. Zum einen ist Griechenland zu dem Unterfangen der Rückführung in die Türkei vorerst überhaupt nicht in der Lage. Zum anderen sind die meisten Länder aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gewillt Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie schließlich aus der Türkei nach Europa entlassen werden.

Wenn die EU im Prinzip nur dafür gut ist Vorschriften über den Gebrauch von Glühbirnen zu machen, aber nicht fähig ist, jetzt wo es zählt, Integrität und strategisches Geschick für die Lösung einer humanitären Katastrophe zu zeigen, dann läuft etwas gewaltig schief.
Warum wurden nicht frühzeitig Stationen in Nordafrika und im Nahen Osten eingerichtet um einen geordneten Ablauf der Flüchtlingsströme zu gewähren? Warum gab es keinen umfassenden Ansatz von Seiten der Europäischen Union die Flüchtlinge zu registrieren und sicher nach Europa zu bringen, anstatt zuzusehen wie sie ertrinken?
Kanada hat über 25 000 syrische Flüchtlinge mit Flugzeugen ins Land gebracht. In Europa scheint es hingegen fast so als ob man die Augen vor der Realität verschlossen hätte bis es zu spät war um noch Haltung zu bewahren.
Andererseits kann ich die “besorgten Bürger” und all die Nationalisten durchaus verstehen, die sich am liebsten der andrängenden Scharen entledigen würden.
Wie heisst es so schön: “Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.”
Doch die Anhänger von AfD und Co. müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass es hierbei um Notleidende geht. Es sind keine Angreifer, sondern Verzweifelte auf der Suche nach einem besseren Leben.
Als Konservative sollten sie eigentlich eine Vorstellung von dem besitzen, was der Anstand gebietet.

Natürlich können wir es uns allerdings nicht leisten abendländische Werte von radikalen Ideen untergraben zu lassen. Weder von denen fremder Kulturen, noch von denen die aus unseren eigenen Reihen kommen.
Gegen Verbrecher muss mit der ganzen Strenge des Gesetzes vorgegangen werden und es muss klar gemacht werden, dass es keine Toleranz gegenüber religiös motivierter Gewalt geben kann.
Der Islam ist aber nicht an sich gewalttätig. Und das multikulturelle Zusammenleben ist nicht zwangsläufig problematisch. In dem Emirat von Cordoba lebten im Mittelalter Muslime, Christen und Juden für Jahrhunderte friedlich nebeneinander und schufen eine der herausragendsten Zivilisationen in der Geschichte der Menschheit. Die intellektuellen und kulturellen Errungenschaften dieser Periode sind vergleichbar mit denen der Renaissance.
Das soll nicht heißen, dass es keine Schwierigkeiten in einem vielfältigeren Europa geben würde. Natürlich wäre es nicht einfach.
Doch wenn ich die Angst der Bevölkerung vor Überfremdung und kriminellen Ausländern gegen das Leid von Kindern denen Gliedmaßen fehlen und die keine Mütter oder Väter mehr haben abwäge, fällt mir das Urteil leicht.
Die Abschottung europäischer Länder gegen die Hilfesuchenden an den Grenzen weckt Assoziationen zu dystopischen Filmwelten: Die privilegierte Oberschicht unter ihrer schützenden Kuppel und die Ghetto-Bewohner draußen vor den Toren lungernd. Im Kino wissen wir ganz genau wer die Bösen und wer die Guten sind. Die Realität ist nicht so simpel, aber vielleicht sollten wir alle auch hier etwas mehr unserem moralischen Kompass vertrauen.

Finanzen

Über Zimmerschied Patrick 5 Artikel
Patrick Zimmerschied hat Philosophie und Politikwissenschaft an der TU Darmstadt studiert und war dort von 2008 bis 2013 Hilfskraft am Lehrstuhl für Wissenschaftsphilosophie. Sein Artikel „Grüne Gentechnik: Die Argumente der Gegner“, der 2012 bei NovoArgumente erschien, wurde von dem weltweit führenden Pflanzengenetiker Detlef Weigel als einer der besten Artikel über Grüne Gentechnik der neueren Zeit bezeichnet. Weitere veröffentlichte Artikel sind „Grexit: Euroland ist ausgebrannt“, ebenfalls bei NovoArgumente, und „Über Filmzensur, Moral und Freiheit in Deutschland“ bei artechock.

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