Mit Giotto di Bondone gingen von der italienischen Malerei völlig neue Impulse aus. Giotto stattete verschiedene Kirchen mit Bilderzyklen aus, darunter Alt St. Peter in Rom, die Franziskanerkirche San Francesco in Assisi und Familienkapellen in der Florentiner Kirche Santa Croce.[1] Giotto wendet sich gänzlich von den stilisierenden byzantinischen Vorbildern ab und der Realität zu, er betrachtet die tatsächliche Erscheinung der menschlichen Figur, den Raum, die Bewegung des Körpers und ihre plastische Wirkung. Er setzt diese Beobachtungen in seiner Kunst um und schafft so eine eigenständige, expressive Sprache, eine neue Art, den zeitgenössischen Betrachtern die spirituelle Botschaft und die Inhalte der christlichen Lehren zu vermitteln. Die Jungfrau Maria, Christus, die Apostel werden aus dem Goldgrund und der flächenhaften Gebundenheit herausgelöst und in ein der Realität des Mittelalters entsprechendes Umfeld versetzt.[2]
Giotto stand in der Tradition Cenni die Pepos (Cimabue) einer der bedeutendsten Künstler der Tafelmalerei Ende des 13. Jahrhunderts. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts vernachlässigte man die Mosaike zu Gunsten der Malerei, sie wurden vor allem durch Wandmalereien, aber auch Tafelmalereien auf Holz nach byzantininischem Vorbild ersetzt. Die Heiligendarstellungen Cimabues sind von größter Expressivität und zeugen mit ihren drapierten Gewändern und der Behandlung der menschlichen Figur noch lebhaft vom byzantinischen Einfluss. Die Linie dominiert über die Form, und die goldenen Lichtreflexe erinnern an den Glanz der Mosaike auf Goldgrund.
Als Giotto die Arenakapelle in Padua in den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts ausgestaltete, war das Berufsbild des Malers nahezu gleichbedeutend mit einem Handwerker, deren Aufgabe zu einem großen Teil darin bestand, Wandbilder für Kirchen zu schaffen, um die biblischen Szenarien auch der analphabetischen Bevölkerung zu vermitteln.[3] Die bis dahin für das späte Hochmittelalter typische Malweise erfolgte nach einem gewissen Regelkanon, war zweckgebunden – dass ein Maler dem Bild über das Motiv heraus eine Bedeutung verlieh, ihm gewissermaßen durch seine eigene Interpretation den Selbstzweck in Form von Kunst verlieh, war nicht üblich.
In Padua schuf er zu Beginn des 14. Jahrhunderts das Freskenprogramm in der Kapelle des reichen Bürgers Emilio Scrovegni. In den Bildfeldern, die die gesamte Kapelle einschließlich der Decke überziehen, sind Szenen aus dem Leben Marias und Christi sowie Heilige und Propheten dargestellt. Das Sockelgeschoss bildet bemalte Architektur, die Marmorplatten imitiert, dazwischen stehen ebenfalls gemalte Personifikationen der Tugenden und Laster.
Giottos private Andachtsbilder im Auftrag Srovegnis, darunter vor allem das an der Nordwand befindliche Fresko „Die Beweinung Christi“, weisen eine für ihre Entstehungszeit um 1304-1306 revolutionär neue Bildlösungauf, und legen mit einem beginnenden naturalistischen Darstellungsmodus den Grundstein für die Renaissance und alle sich daraus entwickelnde Bildlichkeit.[4]
Die Beweinung Christi selbst ist in der biblischen Geschichte nicht enthalten: nach der Kreuzabnahme wird der tote Körper unmittelbar beigesetzt. Erst seit dem 11. Jahrhundert entstand sie in der byzantinischen Kunst als eigene bildnerische Einheit, vermutlich, um dem Betrachter das Geschehen näher zu bringen, und sein Mitgefühl zu wecken. Erwähnt wird in der Bibel lediglich: „Es standen aber alle seine Bekannten von ferne und die Weiber, die ihm aus Galiläa waren nachgefolgt, und sahen das alles“, was als Grundlage für die später in der Ikonografie fest verankerten Klagefrauen und zumeist 5 Personen aus dem engeren Handlungsumfeld von Jesus dienen konnte.
Die Christusfigur von Giotto di Bondone liegt im Vordergrund des Bildes, umgeben von sitzenden, knienden oder hockenden Klagefrauen.[5] Kein Teil des toten Körpers berührt den Boden: Maria, zu erkennen an ihrem blauen Gewand, hat seinen Oberkörper auf seinen Schoß gebettet, die Füße werden von Magdalena, die Arme durch eine weitere Frau gestützt, und eine Rückenfigur verdeckt seine Leibesmitte. Rechterhand wenden sich stehend drei Männer dem Toten zu, sie stellen Johannes, Joseph von Arimathia und Nikodemus dar, am linken Bildrand drängen weitere Personen in das Bild und zum Geschehen hin. Ein Felsen stellt den Hintergrund dar, er fällt vom rechten Bildrand nach links hin ab, und ist vermutlich dem biblischen Standpunkt des Grabes entnommen: „Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leichentuch und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen“. An seiner höchsten Stelle befindet sich ein blätterloser Baum, auf dessen Höhe die Szene der menschlichen Trauernden durch eine Schar von Engeln ergänzt wird, welche in vielfacher Bewegung das obere Drittel des Bildraumes vor dem dunkelblauen Himmelgrund füllen.
Das Bildzentrum stellt zweifelsfrei der waagerecht positionierte Körper Jesus’ dar, dessen Kopf sich im linken Drittel des Bildes befindet, und demnach weit nach links und unten von der Bildmitte aus verschoben ist. Die geometrische Bildmitte ist jedoch der Kopf des sich über den Leichnam beugenden Johannes, der einzigen männlichen Figur, welche eine starke Anteilnahme und Bewegtheit vermittelt.[6]
Die Figuren ballen sich im unteren Bildbereich, sie ordnen sich um den Toten an, konzentrieren sich an seinen beiden Körperenden und wenden sich alle seinem Haupt zu, welchem im Gegensatz zum restlichen Körper viel Freiraum gelassen wird.
Zwischen dem oberen und unteren Bildraum besteht ein Ungleichgewicht, die menschlichen Figuren besitzen deutlich mehr Schwere als die ätherischen Engel, und drängen sich dicht auf dem Erdboden, was das Motiv gewissermaßen an das Irdische zu binden scheint und näher an die Welt des Betrachters als eine abgehobene, himmlische Unerreichbarkeit heranzurücken scheint. Rechte und linke Hälfte des Bildes halten sich dagegen weitestgehend in der Waage; an beiden Bildrändern sind stehende Personen positioniert, die massive Schwere des Felsens im Hintergrund wird durch die Konzentration der Engel auf die beiden linken Drittel des Bildes ausgeglichen, welchen wiederum ergänzend der leichtere, fast grazile Baum gegenüber steht.
Auffällig sind die Wechselwirkungen zwischen den himmlischen und irdischen Figuren – die Engel erscheinen wie ein überirdischer Spiegel der weltlichen Gefühle, ihre Trauer ist fast noch intensiver und ausdrucksstärker als die der Menschen, und scheint zu verdeutlichen, dass der Tod Jesus weit reichende Dramatik besitzt, es ordnet dem Geschehen eine göttliche Bedeutsamkeit zu.[7] Eine zweite Wechselwirkung tritt zwischen der Farbigkeit des Inkarnats und dem Stein auf. Sei es möglicherweise Zufall, dass sich die Farbe und Struktur stark ähneln, so vermittelt dennoch die große Fläche des entblößten Oberkörpers von Jesus den Eindruck, er selbst habe sich mit seinem Tod in Stein verwandelt. Die Leblosigkeit steht den bunten und damit lebendigen Gewändern der anderen Beteiligten gegenüber.[8]
Die Bildordnung erfolgt vor allem durch eine, sehr bedeutende Kompositionslinie: eine von rechts oben nach links unten abfallende Diagonale, vergegenständlicht im Verlauf des Felsens, welche, wenn auch verdeckt, im Haupt Christi endet, und wie ein Pfeil wirkt: sie lenkt den Blick des Betrachters, richtet seine Aufmerksamkeit von Anfang an auf das Wesentliche. Des Weiteren bildet der waagerecht liegende Körper der Toten eine Horizontale bzw. leicht abfallende Linie, welche sich zu einer Querellipse rund um den Leichnam erweitert.
Für seine Darstellung von Gemütslagen und die Schaffung von Räumlichkeit durch Architektur wie durch Landschaft war Giotto bereits zu Lebzeiten berühmt.[9] Seine zahlreichen Aufträge führte er mit Hilfe einer großen Werkstatt aus. In Florenz wurde er 1334 Dombaumeister, auf ihn geht vor allem der Entwurf des Glockenturms der Kirche zurück. Sogar in der Göttlichen Komödie des Dichters Dante Aligheri findet Giotto Erwähnung.[10]
Immer stärker sollten in den nächsten Jahrhunderten der Künstler und nicht mehr nur die von ihm geschaffenen Bilder, Skulpturen oder Kirchen in den Vordergrund rücken. Im Zuge der erwachenden Individualität nahm um die Mitte des 14. Jahrhundertsauch die Portraitmalerei ihren Anfang. Für die private Andacht, für das eigene Zuhause wurden neben Bildern und Skulpturen im späten Mittelalter auch Bücher, oft mit Illuminationen versehen, hergestellt. Adelige, zunehmend auch Bürger, bestellten biblische Texte, Romane, Chroniken oder naturkundliche Schriften. Diese Entwicklung war auch ein Verdienst von Giotto.
Im 14. Jahrhundert wetteiferten Siena und Florenz um die Vormachtstellung unter den Erneuern der bildenden Künste. Wenn Giotto dabei Florenz repräsentierte, wurde Siena von Simone Martini vertreten. Martini war der bedeutendste Maler der italienischen Gotik und sein Stil unterschied sich grundlegend von dem Giottos.[11]
Giottos Figuren drückten eine natürliche, volksnahe Vitalität aus, sie besitzen einen plastischen Körper und gleichen dem realen Menschen. Martinis Figuren dagegen sind bewusst der Realität entrückt, sie drücken Grazie, Leichtigkeit und Heiterkeit aus.[12] Die fragilen Formen scheinen körper- und masselos zu sein, leben allein durch ihre elegante, häufig gewellte Linie und die Schönheit der Farbe. In einem seiner Hauptwerke, der Verkündung Mariens, zeigt Martini die Jungfrau und den Erzengel vor goldenem Hintergrund in einem vergoldeten Rahmen. Diese Umgebung erinnert keineswegs an eine gewöhnliches Haus oder ein Zimmer, alles ist symbolisch und durch das Geheimnis der unbefleckten Empfängnis verklärt.[13]
[1] Büttner, F.: Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung. Die Malerei und die Wissenschaft vom Sehen in Italien um 1300, Darmstadt 2013, S. 16
[2] Imdahl, M.: Giotto. Arenafresken. Ikonographie, Ikonologie, Ikonik, München 1980, S. 18
[3] Schwarz, M. V.: Giotto, München 2009, S. 27
[4] Dupont, J./Gnudi, C.: Gotische Malerei, Genf 1954, S. 55
[5] Büttner, F.: Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung. Die Malerei und die Wissenschaft vom Sehen in Italien um 1300, Darmstadt 2013,S. 79
[6] Imdahl, M.: Giotto. Arenafresken. Ikonographie, Ikonologie, Ikonik, München 1980, S. 102f
[7] Schwarz, M. V.: Giotto, München 2009, S. 39
[8]Stubblebine, J.: Giotto and the Arena Chapel Frescoes, in: Ders. (Hrsg.) Giotto: The Arena Chapel Frescoes. An Introduction to Giotto’s frescoes in Padua with an analytic essay, documents and source materials, critical essays and 129 illustrations, Toronto 1969, S. 8
[9] Schwarz, M. V.: Giotto, München 2009, S. 51
[10] Dupont, J./Gnudi, C.: Gotische Malerei, Genf 1954, S. 69
[11] Toman, R./Bednorz, A.: Gotik. Architektur – Skulptur – Malerei, Köln 2005, S. 167
[12] Ebd., S. 175
[13] Ebd., S. 178
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.