Die „Freien Wähler“
haben Konjunktur. In Bayern regieren sie seit 2018 mit. Das wollen ihre Freunde
2019 in Sachsen auch zuwege bringen. „Das schaffen wir!“- der Grundtenor von Hubert Aiwanger in Bayern, Matthias Berger, Matthias Schmiedel und vielen anderen in
Sachsen unter professioneller Koordinierung von Antje Hermenau.
Im Moment haben sie eindeutig mediale Konjunktur. „Brüllaffen“ bieten sie kein
Podium. Im Benennen von Schwachstellen sind sie dennoch nicht zimperlich. Das
scheint anzukommen. Die Konkurrenz schaut wie das Kaninchen auf die Schlange.
Die „Freien Wähler“ erzielen zunehmend Sogwirkung. Am 9. März 2019 stellten sie
sich in Grimma vor. Ich schaute mir das an. Prominenter Gast war Hubert
Aiwanger, der bayerische Vizeregierungschef.
I
Es sind allesamt Profis. In Kommunal- und Landespolitik erfahren und kennen
sämtliche Stellschrauben und Bremsen der bürokratischen Landschaft. Mit dem
Gaspedal in der Hand geben sie selbstbewusst kund, dessen Einsatzstellen zu
kennen. Man muss sie nur lassen – „Nicht gegen alle, sondern mit allen für
alle“! So ihr Selbstbild.
II
Die „Freien Wähler“ profitieren vom allgemeinen Verdruss, vom Gefühl eines
unbestimmten Heimatverlustes, auch vom Aderlass der ehemals großen Parteien.
Anders als bspw. die AfD wollen sie diese Prozesse positiv aufnehmen und
beeinflussen. Sie sehen sich als „Mutbürger“, die nicht meckern und einreißen,
sondern verbessern wollen. Damit werden sie mehr in der Mitte als an den
Rändern wildern. Union, SPD und FDP sollten sich warm anziehen. Die übliche
anti-Rechts-Masche dürfte jedenfalls im ach so undankbaren Wahlvolk nicht verfangen.
Der sächsische Ministerpräsident sollte sich auf diesen möglichen
Koalitionspartner einstellen.
Heimatverlust findet auf verschiedenen Ebenen statt. Politisch verloren
Millionen Wähler von Kabinett Merkel I bis IV ihre bisherigen politischen Adressaten.
Fast kein Union-, fast kein SPD-, fast kein FDP-Wähler weiß noch, warum er/sie
seine/ihre bisherigen Parteien wählen soll. Stimmabsender und -adressaten sind
sich fremd geworden. Große Teile des Wahlvolkes wurden politisch heimatlos und
sehen sich inzwischen sogar politisch vertrieben. Vertrieben bspw. zur AfD.
Mit dem politischem Heimatverlust einher geht der regionale. Aiwanger: „Die
Landkreise sind inzwischen groß wie manche Länder früher. Zurück zu den
Menschen!“ Ein technokratisches Monstrum wie „Mitteldeutschland“
zusammengesetzt aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt dürfte mit den
„Freien Wählern“ wenig Chancen haben. „Von unten!“ heißt das bei Aiwanger. Und
bei Berger.
Vom „Sachsen-Bashing“ halten sie nichts. Im Gegenteil die „Freien Wähler“ reden
von ihrer freistaatlichen „Südschiene Sachsen-Thüringen-Bayern“. Heimat.
III
Alle „Freien Wähler“ profitieren vom Erfolg in Bayern. Mit der CSU ein
wunderschönes und funktionierendes Bundesland in widrigen Zeiten auf Kurs
halten, das nötigt auch außerhalb Bayerns Hochachtung ab. „Gaga-Themen wie
‚Wolfserwartungsland‘“ sind mit den Jägern Aiwanger und Berger nicht zu fahren.
Die auf Bodenständigkeit ausgerichteten „Macher“ legen Wert auf „starke Städte
im starken Umland“, auf das Funktionieren von Polizei, Feuerwehr,
Medizinischer-/Energie- und Wasser-Versorgung in kommunalen Händen, auf
traditionelle Familienstrukturen:
IV
Programmatisch konzentrieren sich die „Freien Wähler“ auf die Klein- und
Mittelständischen Unternehmer, die die Masse der Arbeitsplätze bieten und die
in der Regel soziale Verantwortung zeigen. Die „Freien Wähler“ bekennen sich
zudem klar zur Wiedereinführung der Meisterpflicht. Das machte Hubert Aiwanger
jüngst in seiner „Ersten Rede eines freien Wählers im Deutschen Bundestag seit
2000 Jahren!“ im Deutschen Bundestag deutlich.
Die „Kontrollwut“ der Behörden bis nach Brüssel wirkt desaströs und behindert
Freiheit und Wohlergehen. „Wirtshäuser, Bäcker, Handwerker“ werden ausgebremst.
„Statt wenige große Aufgaben kümmert sich die EU um nichtige Themen. Die EU
soll uns im Kleinen in Ruhe lassen! Jede Ebene für sich. Früher, vor der
Kanzlerin, haben wir es noch geschafft!“ (Aiwanger).
V
Zur Zuwanderungsdebatte sagt Aiwanger „Jede/r der kommt, ist nicht per se gut!
Wer nicht gut ist, muss raus! Nicht nur kann, sondern er/sie muss raus!“
Über den Islam mag Hubert Aiwanger nicht diskutieren.
VI
Die „Freien Wähler“ sehen sich als Sammlungsbewegung von Leuten mit
abgeschlossener Ausbildung und Praxis. Erfahrene Fachleute sind nach ihrem
Verständnis zum Kompromiss in der Lage. Für die Studienabbrecherparteien CDU,
SPD, Grüne, Linke ist damit zusätzliche wünschenswerte Gefahr im Verzug. Union
und SPD geben seit geraumer Zeit in sich steigerndem Maße gutes Personal und
damit Kapazitäten an die „Freien Wähler“ ab.
Hier die Ausdünnung – da die Verstärkung. Gerade ging mit Andre Soudah der bisherige Vorsitzende des
mitgliederstärksten sächsischen SPD-Ortsvereins Leipzig-Mitte ins Lager der
„Freien“, kurz vor ihm tat dies Holger Preische aus dem Rödertal mit vier
weiteren Sozialdemokraten. Die professionelle Geschäftsführerin der sächsischen
„Freien Wähler“ ist mit Antje Hermenau ein früheres grünes Schwergewicht mit
bundesweiter Bekanntheit.
Seit 15 Jahren gehört der vormalige Colditzer Bürgermeister Matthias Schmiedel
dazu, der nach 1989 als Sozialdemokrat startete.
VII
Wasser im Wein: Die Energiepolitik der „Freien Wähler“
Noch geht das. In jeder Kommune, in jedem Landkreis, in jedem Bundesland eine
unterschiedliche Position. Mit zunehmender Verantwortung dürfte das Modell an
die Wand fahren. Mit jeder neu erkletterten politischen Ebene steigt der
Positionsabgleichzwang, steigt die Vergleichsgefahr. Für Bayern postuliert
Hubert Aiwanger den netten Slogan „Die Sonne schickt keine Rechnung“ und meint
damit den forcierten Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Das mag in
Bayern mit noch relativ sorgloser Sicht auf die Grundlastnotwendigkeit der
Netze keine Rolle spielen. In Sachsen mit seiner in Grundlastprozessen
verständiger denkenden Bevölkerung käme er da nicht weit. Auch ist Sachsen
schon jetzt verspargelt genug. Die bayerischen „Freien Wähler“ scheinen
ordentlich „Grün“ zu sein. Was in Sachsen keine wirklich dolle Offerte ist.
Womit möglicherweise dem „Freien Wähler Aufbruch“ natürliche Grenzen gesetzt
scheinen. Die Verlockung „Energiewende ja – aber nicht gegen die Bürger – die
Bürger mitverdienen lassen“ (Aiwanger) bedarf damit einer sächsischen Variante.
Aber die könnte ja vielleicht Antje Hermenau liefern. In „Ansichten aus der Mitte Europas“ erklärt
sie profund die Weltsicht der Sachsen.
„Wer nur rechts und links kennt, macht keinen Schritt nach vorn“ – Das
Grundverständnis der „Freien Wähler“ kommt dieses Jahr auf den Prüfstand.
Quelle: Weissgerber – Freiheit