Konkreter Fall
Als ich vor einer Woche die örtliche Zeitung öffnete, war Kirchenasyl das zentrale Thema. Der Pfarrer einer evangelischen Gemeinde am Ort hatte sich pressewirksam mit seinem Presbyter über die erfolgreiche siebenwöchige Gewährung von Kirchenasyl an einen Mann aus Guinea geäußert. In den Berichten hieß es, er sei aus einer Flüchtlingsunterkunft in Italien aufgrund seiner Kritik an den dortigen Zuständen verwiesen worden. Italien ist also unzweifelhaft als Drittland zuständig für den Mann. Freimütig ließ der Kirchenvorstand auf einem lokalen Internetportal wissen, dass man allerdings Zweifel an Italiens Status als sicheres Drittland habe. Ein starkes Stück, wie ich meine.
Weiterhin wurde betont, man habe stets mit den Behörden zusammengearbeitet, sie in Kenntnis gesetzt. Der Mann sei in Guinea aufgrund journalistischer Tätigkeit Gefahren ausgesetzt gewesen, eine Rückführung nach Italien hätte ihn gefährdet. Auffällig ist, dass der ortsansässige Pfarrer nicht müde wurde, zu betonen, dass er sich seit 20 Jahren bereits für Asylbewerber einsetze, außerdem zehre das sehr an den Kräften. Der noble Einsatz für die gute Sache musste also in ganzer Breite in allen verfügbaren Presseorganen des Ortes breitgetreten werden.
Nicht ganz einwandfrei
Es wurde aber ferner betont, dass man die Öffentlichkeit erst nach Ablauf des Kirchenasyls informiert hatte. Das hat einen tieferen Grund. Kirchenasyl ist lediglich ein guter Brauch, seit 1983 hat es nicht mehr rechtliche Verbindlichkeit. Gesetzliche Verbindlichkeit hatte hingegen die 6-Monatsfrist, innerhalb der der Mann nach Italien gebracht werden sollte. Die Behörden haben bundesweit Anfang 2015, also vor der sogenannten Flüchtlingskrise vom Herbst 2015, eine Vereinbarung getroffen, nach der man in Einzelfällen Kirchenasyl anerkennen solle, damit es nicht zu hässlichen Bildern kommt.
Seither hat sich das Kirchenasyl allerdings vervielfacht. Waren in den Jahren 2010 bis 2014 praktisch keine Fälle in Deutschland aktenkundig, sind es seither Hunderte. In einer Mail wandte ich mich an das Bundesinnenministerium. Über die Praxis, mit der der Pfarrer schließlich medienwirksam an die Öffentlichkeit ging, ist man dort überhaupt nicht glücklich. Es entsteht zurecht der Eindruck, dass sich Geistliche und Presbyter anmaßen, über weltlichen Gesetzen zu stehen und das auf einem wackeligen Rechtsinstitut, welches man „alter Brauch“ nennt sowie einer Vereinbarung, die den Vollzug von Gesetzen außer Kraft setzt.
Wo Bräuche Gesetzen vorgezogen werden, ist die Rückabwicklung aufklärerischer Werte nicht weit. Kann man einen Staat noch ernst nehmen, der sich inzwischen über immer mehr Rechte und Gesetze hinwegsetzt oder deren Vollzug aussetzt? Neben dem Dublin-Verfahren, der No-Bail-Out-Klausel also jetzt das Kirchenasyl.
Ein Staat gibt sich der Lächerlichkeit preis
Meiner Ansicht nach gibt sich ein Staat der Lächerlichkeit preis, wenn er allein, um hässliche Szenen und böse Berichterstattung zu vermeiden, auf den Vollzug seiner eigenen Gesetze verzichtet. Wie ernst sollte man also als Steuerzahler noch behördliche Post nehmen, wenn man sich auf einen „alten Brauch“ berufen kann und damit durchkommt?
Warum fliehen Menschen aus den Staaten Arabiens und Afrikas? Weil staatliche Institutionen willkürlich handeln, Gesetze nicht durchsetzbar sind und alte Bräuche modernen Gesetzen vorgezogen werden. Mit freundlicher Unterstützung der Kirchen senkt man den Wert der Rechtsprechung durch Kirchenasyl auch hierzulande. Hätte Rechtsstaat ein Rating, bekäme Deutschland kein AAA.
Beim nächsten Bußgeldbescheid über 15 Euro für Falschparken stellt sich dann die Frage, ob es nicht den guten alten Brauch des willkürlichen Parkens gäbe. Der SPIEGEL stellte kürzlich die Frage, warum auch die deutsche Intelligenzija zunehmend herabblicke auf Medien und Staat. Die Antwort ist leicht: wenn Gesetze nur nach Gusto umgesetzt werden und es aus der Berichterstattung kein kritisches Wort darüber gibt, wie auch zum oben geschilderten Fall, ist Verachtung aufgrund Lächerlichkeit eine logische Folge.
Wer zahlt die Kosten?
Bernd Raffelhüschen, einer der führenden Deutschen Ökonomen, hat errechnet, dass ein durchschnittlicher Asylbewerber über seine Lebenszeit mehrere Hunderttausend Euro den deutschen Staat per Saldo kosten wird. Konsequent wäre es, wenn fortan Presbyter, Pfarrer und Gemeinden sowie Diözesen für jeden Fall von Kirchenasyl die Kosten trügen. Rechtliche Verfahren, Lebenskosten, Wohnung, Krankenversicherung, Arbeitslosigkeit, Familiennachzug, Sprachkurse, Sozialarbeiter, Streetworker, Rentenzahlungen, Ausbildungskosten sind nur einige Eckpunkte, die die Dimensionen klarmachen.
Mir persönlich missfällt es, wenn sich ein Kirchenvorstand als letzte Instanz in Asylfragen geriert, ohne mit dem eigenen Vermögen für Folgekosten zu haften. Wenn man sich die Fotos ansieht, auf denen ein Pfarrer stolz wie ein Honigkuchenpferd lächelt, frage ich mich, ob er es wirklich ernst meint oder sich nur beim Bischof für höhere Weihen mit derartigen Aktionen ins Gespräch bringen will.
Was steckt dahinter?
Vielsagend ist ein Satz des betreffenden Kirchenvorstands zum Thema Kirchenasyl (Quelle: Blickpunkt-Arnsberg-Sundern-Meschede.de, 16.3.18): „Wir können es nicht überprüfen, aber wir glauben ihm“. Ein treuer Glaube mag schön sein, aber für ein weltliches Verfahren zum Thema Asyl ist er ein sehr schlechter Ersatz.
Ein weiteres Motiv ist auch in der Erosion von Glauben in deutschen Kirchen zu sehen. Seit Jahrzehnten hat es nur Rückzug und Negativberichterstattung gegeben: Drewermann, Küng als öffentliche Intellektuelle, die Missstände ansprachen. Die Stellung zu Abtreibung, Homosexualität und Naturwissenschaft wurden medial kritisiert, Zölibat, Kirchenaustritte, Messdienerübergriffe, Protzbischöfe, leere Kirchen usw.
Die Flüchtlingskrise ist insofern ein Gottesgeschenk, verlorenes Terrain zurückzugewinnen und einen neuen Rechtfertigungsgrund für die angestaubte Kirchensteuer zu konstruieren. Zwar sind die Kirchen seither nicht voller, im Gegenteil, aber – ähnlich wie in Betrieben – kann man sich jetzt andere Märkte erschließen. Ein Automobilhersteller verdient weniger an seinen Karossen, umso mehr aber an Reparaturen. Wenn Kirchen nicht dumm sind, können sie sich selbst eine große Nachfrage schaffen, indem sie Kirchenasyl gewähren. Es ist also nicht uneigennützig. Die Kosten tragen am Ende sowieso die Steuerzahler. Den Nutzen hingegen haben vor allem Pfarrer, die sich in Szene setzen können.