Die Energiekrise, vor allem die Verknappung des Gasangebots durch den Wegfall der Lieferungen aus Russland, stürzt Europa in eine Rezession und führt zu sozialen Spannungen und Verteilungskonflikten. Die Regierungen suchen derzeit nach Wegen, die Krise zu entschärfen. Das wird nur gelingen, wenn die EU-Staaten eng kooperieren. Der grenzüberschreitende Energiemarkt muss offen bleiben, Gaseinkäufe in Drittländern müssen gemeinsame Marktmacht nutzen. Das allein reicht aber nicht. Nationales Krisenmanagement muss ebenfalls koordiniert werden und darf kein blinder Subventionswettlauf werden. Was heißt das? Von Clemens Fuest.
Stark steigende Energiepreise führen zu sinkender Industrieproduktion, Konsumenten reagieren auf steigende Rechnungen für Heizung und Strom, indem sie andere Ausgaben kürzen. Einige greifen auf Ersparnisse zurück, aber viele wollen ihre Reserven nicht antasten, weil sie befürchten, diese später zu brauchen. Die größten Probleme haben Menschen, die schon vor der Krise keine Reserven hatten.
Steigende Gaspreise treiben gesamte Energiekosten
Die Gaspreise spielen in dieser Krise eine Schlüsselrolle. Der Preisanstieg verteuert nicht nur das Heizen und die vielfältigen Verwendungen von Gas in der Industrie. Gas wird auch in der Stromproduktion gebraucht. In Phasen hohen Stromverbrauchs reichen die Kapazitäten von erneuerbaren Energien, Kohle- und Kernkraftwerken nicht aus. Da das teuerste aktive Kraftwerk den Strompreis bestimmt, hat der Anstieg des Gaspreises auch die Strompreise dramatisch erhöht. Sowohl die Gas- als auch die Strompreise haben sich gegenüber der Zeit vor der Krise ungefähr verzehnfacht.
Wie tief die wirtschaftliche und soziale Krise wird, hängt stark davon ab, wie die Regierungen in Europa auf die Lage reagieren. Dazu gibt es zwei Ansätze. Der eine besteht darin, direkt in die Energiemärkte einzugreifen und mit Steuersenkungen oder Subventionen Strom, Gas und Benzin zu verbilligen. Ein Beispiel dafür ist die Subventionierung von Gas in der Stromproduktion in Spanien. Der andere Ansatz verzichtet auf Preiseingriffe und beschränkt sich darauf, Haushalten mit niedrigen Einkommen mit pauschalen Transfers zu helfen. Auf den ersten Blick scheint der erste Ansatz wirksamer. Für Politiker erscheint er attraktiv, da in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, dass man sich direkt um das vorliegende Problem kümmert. Er hat aber zwei Probleme.
Preisinterventionen verringern Sparanreize
Erstens kommen niedrigere Preise für Gas, Strom oder Benzin den Haushalten am meisten zugute, die am meisten Energie verbrauchen, also vor allem Haushalten mit höheren Einkommen, die große Häuser und große Autos haben. Diese Gruppen können die höheren Preise aber vielfach ohne Hilfe tragen, und sie müssen später ohnehin die Steuern bezahlen, mit denen der Staat die für ihre Unterstützung aufgenommenen Schulden bedient. All dies schadet mehr als es nützt. Das zweite und wichtigere Problem besteht darin, dass die Subventionierung oder Steuersenkung die Nachfrage erhöht. Anreize zur Einsparung von Energie werden geschwächt. Da Energie sich aber real verknappt hat und Energiepreissubventionen daran wenig ändern können, trifft nun eine erhöhte Nachfrage auf ein gleichbleibendes Angebot. Folglich müssen die Preise so lange steigen, bis Angebot und Nachfrage wieder übereinstimmen. Im Ergebnis fließt ein erheblicher Teil der Subvention oder Steuersenkung an die Energieanbieter und nicht, wie beabsichtigt, an die Verbraucher.
Es profitieren die Gasversorger, nicht die Verbraucher
Besonders problematisch ist diese Fehlsteuerung im Gasmarkt und vor dem Hintergrund, dass diese Politiken in Europa auf nationaler Ebene gestaltet werden, das Gasangebot in Europa aber zumindest kurzfristig kaum flexibel ist, weil die Infrastrukturen für Flüssiggasimporte ausgelastet sind. Wenn ein einzelner Mitgliedstaat die heimischen Gaspreise mit Subventionen senkt und die anderen Staaten nichts unternehmen, steigt der europaweite Gaspreis ein wenig. Es fließt aber spürbar mehr Gas in das Land, das die Subvention zahlt, auf Kosten des Gasangebots im Rest Europas. In diesem Szenario erscheint eine Gassubvention aus der Sicht eines Landes interessant. Aber wenn alle Staaten so handeln, entsteht ein Subventionswettlauf, der allen Teilnehmern ausschließlich Schaden zufügt. Das hat folgenden Grund. Wenn die in Europa verfügbare Gasmenge in diesem Winter gegeben und durch höhere Preisangebote nicht vermehrbar ist, dann führt eine Subventionierung nur dazu, dass sich der Preis genau um den Betrag der Subvention erhöht. Das Ergebnis ist so, als hätten die Staaten das Geld für die Subventionen aus dem Staatshaushalt direkt als Geschenk an die Gasproduzenten überwiesen. Für die Verbraucher ergibt sich letztlich keinerlei Entlastung.
In der EU koordiniert handeln und Energieangebot erhöhen
Eine Politik, die sich darauf beschränkt, ärmeren Haushalten und stark betroffenen Unternehmen mit Zuschüssen zu helfen, die vom individuellen Energieverbrauch unabhängig sind, vermeidet diese Fehlsteuerung. So wird wirklich denen geholfen, die unter der Energiekrise am meisten leiden. Leider wächst unter dem Druck steigender Energiepreise der heimische politische Druck auf die nationalen Regierungen in Europa, Maßnahmen zu direkten Preissenkungen zu ergreifen. Die negativen Folgen für Europa insgesamt werden in den meist national geprägten Debatten oft ignoriert. Grenzüberschreitende Wirkungen beeinträchtigen andere Maßnahmen, die eigentlich dringend gebraucht werden. Ein wirksamer Schritt zur Entlastung der Gas- und Strommärkte besteht darin, stillgelegte Kohle- und Ölkraftwerke wieder zu aktivieren und die Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern. Dadurch wird weniger Gas für die Stromproduktion eingesetzt. Hier besteht das Anreizproblem darin, dass mehr Stromangebot und verringerte Gasnachfrage ganz Europa zugutekommt, nicht nur dem jeweils handelnden Land.
All dies zeigt, dass ein wirksames Krisenmanagement in dieser Energiekrise eine europäische Koordinierung erfordert. Wenn jedes Land nur mit Blick auf die eigenen Interessen agiert, wird es Europa in dieser Krise schlechter gehen als nötig.
Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
Erschienen unter dem Titel “Europa muss einen Subventionswettlauf vermeiden“, Project Syndicate, 12. Oktober 2022