Die Einheit von „denga, redn und schreim“

Reinhard Hauswirth: „Ui, a Groggodui!“ Boarische Gedichte. Mit Buidln vo da Christa Tauser

Reinhard Hauswirth: „Ui, a Groggodui!“ Boarische Gedichte. Mit Buidln vo da Christa Tauser, Hardcover, 160 Seiten, 30 Euro, Liliom Verlag, Waging 2024, ISBN 978-3-96606-037-0

Der hereingeschneite Besucher stürzt sich auf das am Tisch liegende Buch. Kein Wunder – er ist ein Freund bayrischer Dichtkunst. „Ui, a Groggodui!“, ruft er aus, wobei er lachend auf das Cover-Bild schaut. Er will den zum Titel passenden Text am liebsten gleich lesen, dreht aber das Buch um und trifft auf das Selbstbekenntnis des ihm unbekannten Autors, der da von sich sagt: „I bin a leidnschafddlicha Dialektsprecher!“ Darauf der Besucher, der noch immer lacht: „Und i bin koa leidenschaftlicher Dialektleser, tut mir leid. Jedes `boarisch` geschriebene Buch fand ich, schon als Kind, schwer lesbar. Ich hab mir`s halt immer von der Oma vorlesen lassen. Aber die gibt`s schon lang nimmer.“ – „Also musst du`s schon selber lesen“, meint der Gastgeber, „wenn dich die G`schicht` mit dem „Groggodui“ interessiert.“ Als der Besucher das Haus schon verlassen hatte, trug ihm der Gastgeber das Buch noch nach. „Ruf mich an und sag mir, wie`s dir mit dem Hauswirth gegangen ist. Tät mich interessieren.“

Ein paar Wochen später gab es einen wortreichen Disput zwischen dem Ausleihenden und dem Leser des Hauswirth-Buches. Dabei ging es vor allem über das Thema „Denga, redn und schreim“ auf Boarisch, das der Autor geradezu hellseherisch auf dem Buchrücken vermerkt hatte, mit seinem ganz persönlichen Zusatz: „Denga, redn und schreim / san fia mi oans“. Er könne, so der Bayern-Lyrik-Freund, diese „Symbiose“ von Denken, Reden und Schreiben im Dialekt ohne weiteres unterschreiben. Dennoch hatte er, wie er sagte, bei einigem von dem, was Reinhard Hauswirth, dem er vor einigen Jahren als ausgezeichneten „Boarisch“-Sprecher erleben durfte, Bedenken. Man brauche schon eine Zeitlang, bis man sich an das „eigene phonetische System“ des Reinhard Hauswirth gewöhnt habe, um dessen Schwester Sybille Trapp  zu zitieren, die ein lesenswertes Nachwort schrieb .

Sie wird darin, was die besondere Schreibweise ihres Bruders angeht, konkret: „ … zum Beispiel verwendet er Doppel-g oder Doppel-d, wo wir im Hochdeutschen k (schlangg = schlank) und t (schenggdd = schenkt) haben.“ Die „kleine Mühe“, die es nach Sybille Trapps Meinung koste, sich an Hauswirths originelle/originale Schreibweise zu gewöhnen, um das ganze Buch „voll herrlicher lyrischer Szenen aus dem echten Leben“ (so der Hauswirth-Leser wörtlich) mit Vergnügen zu lesen, wollte er für sich selbst, jedoch nicht grundsätzlich gelten lassen.

Die 156 „boarischen Gedichte“, die die Herausgeberin auf Wunsch ihres 2016 verstorbenen Bruders (Jahrgang 1951), der „hauptsächlich in Traunstein“ lebte und in Ingolstadt Gymnasiallehrer war, zusammenstellte, werden in sechs Kapiteln präsentiert: von „Äbbs Lusddigs“ bis „Hoamad-Oadde“. „Oadde“? Hej. Was soll denn das heißen? (Auflösung: „Orte“) Sehr lange Texte wechseln mit wenig kürzeren ab, von denen hier das allerkürzeste stehen soll:

                                               Liab

                                               Du schaugsdd so liab,

                                               Du schnaufsdd so liab,

                                               Du lachsdd so liab,

                                               Du redsdd so liab,

                                               Du singsdd so liab,

                                               Du schmusd so liab

                                               Du bisdd so liab –

                                               hab di so liab!  

Frage an Autor bzw. Schwesterherz: Warum schmusd  und nicht schmusdd? Warum redsdd und nicht reddsdd und warum kein Komma nach nach dem 6. liab? Könnt` ja alles Absicht sein, beide Male. Und noch eine Frage sei gestattet: Warum könnte, wie schon auf dem Cover zu lesen ist, statt Reinhard Hauswirth auch Rumbbe-Schduiz stehen? Rumpelstilzchen? Wäre, genau genommen, doch wohl Rumbbe-Schdduiz, oder?

Reinhard Hauswirth hat sich mit diesem mit großer Sorgfalt und ästhetischer Finesse – die „Buidln von Christa Tauser – publizierten postumen Werk einen guten Platz in der Reihe der bayerischen Mundartdichter gesichert. Nicht jedem glückt, sich so frisch, fröhlich und weniger fromm als frei „über Gott und die Welt“ und darüber, was einen begabten Verseschmied „bewegt und erregt“ (so der Autor auf der Website des Chiemgau-Autoren-Vereins, dem er angehörte) auf „Guadd Boarisch“ zu äußern.

Reinhard Hauswirth: „Ui, a Groggodui!“ Boarische Gedichte. Mit Buidln vo da Christa Tauser

   

Über Hans Gärtner 502 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.