Die Beschäler aus der Normannenstraße – Der Westeinsatz von Romeo-Agenten

Fernrohr, Foto: Stefan Groß

Wenn ein Westregisseur einen DDR-Film dreht, weiß man, was dabei herauskommt: nur Unsinn! Auch an dem Stasi-Dreiteiler „Der gleiche Himmel“, der am 27., 29. und 30. März, jeweils um 20.15 Uhr, vom ZDF ausgestrahlt wurde, konnte man wieder einmal erleben, dass dem Filmemacher an einer authentischen DDR, die eine blutige Diktatur war, überhaupt nicht gelegen war, sondern nur an Versatzstücken aus der DDR-Requisite, die Spannung in die Handlung bringen sollten. Ob das nun alles auch plausibel war und der historischen Wahrheit entsprach, interessierte den 1957 in Hamburg geborenen Oliver Hirschbiegel mitnichten, es ging ihm lediglich um die Einschaltquote.

Schon der Filmtitel ist eine Anleihe an den 1963 erschienenen Roman „Der geteilte Himmel“ von Christa Wolf und dem danach gedrehten Film von 1964. Aber während Christa Wolf ihren Staat bis ins Detail kannte, schwelgt Oliver Hirschbiegel in tiefer Ignoranz. Er greift sich einige DDR-spezifische Vorkommnisse heraus, die einst, auch schon vor dem Mauerfall, Aufsehen erregten bei westdeutschen Beobachtern, und baut sie in die Spielszenen ein. Da gibt es eine versuchte Tunnelflucht; eine junge Schwimmerin, die zum Doping-Opfer wird; einen Homosexuellen, der nach Westberlin fliehen will; und einen Inzest zwischen einem Zwillingspaar. Man wundert sich nur, dass nicht auch noch die Zwangsadoptionen irgendwo skandalträchtig untergebracht wurden.

Richtig: Um Spionage ging es auch noch. Dazu werden junge, durchtrainierte MfS-Kader eingesetzt, die zuvor an der „Flirtschule“ der Staatssicherheit im märkischen Belzig ausgebildet wurden. Nur: Diese „Flirtschule“ gab es nicht, sie ist eine Erfindung Oliver Hirschbiegels, der die kriminellen Machenschaften von Erich Mielkes Westagenten neu erfindet. Frauentypen im Westeinsatz des MfS brauchten keine spezielle Ausbildung, die „hatten das drauf“. Wenn sie an der Goldküste in Bulgarien Bonner Sekretärinnen, die dort Urlaub machten, ins Bett geredet hatten, und wenn später die ersten Geheimdokumente aus dem NATO-Hauptquartier übergeben worden waren, hatten sie leichtes Spiel, denn dann konnten sie immer mit Enttarnung und nachfolgender Gefängnishaft drohen.

Am Rathausplatz in Bonn war bis 1989/90 das Café Langhard ein Tummelplatz für konspirative Anbahnungen. In der Bundeshauptstadt Bonn gab es zwischen 1949 und 1989 Hunderte einsamer Sekretärinnen, die in den Vorzimmern ihrer Chefs ausharrten und Zugang hatten zu Dokumenten, die die Auswerter der Staatssicherheit brennend interessierten. Wie das alles ablief, kann man in Elisabeth Pfisters Buch „Unternehmen Romeo. Die Liebeskommandos der Stasi“ (2000) und in Mirjam Houbens Aufsatz „Agentinnen der Liebe“ (2003) nachlesen.

Der Film „Der gleiche Himmel“ bezieht seine Spannung aus den Bettszenen zwischen dem 25jährigen Westagenten Lars Weber, der im Westberliner Einsatz aber „Matthias Cramer“ heißt, und zwei Mitarbeiterinnen des britischen und des amerikanischen Geheimdienstes. Zuerst wird er auf Lauren Faber (43) angesetzt, eine geschiedene Frau, in deren Wohnung noch der 16jährige Sohn lebt. Lars Webers Führungsoffizier Ralf Müller, ein schmieriger Typ, hervorragend gespielt von Ben Becker, lebt in Westberlin und leitet seinen Zögling beim Bespringen von Frauen an. Mehr noch: Er sitzt in seinem Lieferwagen vor dem Haus, hat eine Abhöranlage in der Führerkabine und schneidet genüsslich die Lustschreie mit. Dass ein MfS-Offizier in dieser Funktion in Westberlin wohnt und mit seinem Zögling auf Parkbänken und an Restauranttischen offen über seinen Einsatz spricht, ist wiederum eine Erfindung Oliver Hirschbiegels: Wie sich eben der kleine Olli aus Hamburg die böse Stasi vorstellt!

Als Lauren Faber nach dem Orgasmus in ihrer Wohnung kollabiert und ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist sie, die im Wachkoma im Bett liegt, dem MfS nicht mehr von Nutzen. Ralf Müller schleicht sich ins Krankenzimmer, manipuliert an den Schläuchen herum und bringt sie um: Herzstillstand! Dass dieser Tod völlig überflüssig ist, sinnlos, weil sie bis zu ihrer Ohnmacht nicht einmal weiß, dass Lars Weber Stasi-Agent ist, geschweige denn, dass sie Dokumente geliefert hätte, passt nicht ins Drehbuch, da muss es brutal zugehen: Wie sich eben der kleine Olli aus Hamburg die böse Stasi vorstellt! Der Mord war nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich, es hätte nur eine Krankenschwester ins Zimmer treten müssen, und Ralf Müller wäre erwischt worden beim Töten!

Aber nun ist sie tot, die Stasi schaltet um und setzt „Matthias Cramer“ alias Lars Weber auf Sabine Cutter (25) an, die, was er nicht weiß bis zum Ende des Films, seine Ostberliner Zwillingsschwester ist. Mutter und Schwester sind nämlich nach Westberlin geflohen vor Jahren und dann nach Amerika ausgewandert, dort hat die Mutter Dagmar Cutter einen amerikanischen Sicherheitsoffizier geheiratet, der jetzt in Westberlin arbeitet, in seiner Abteilung auch seine Tochter Sabine. Sie soll nun zum neuen Objekt der Begierde gemacht werden. Dumm ist nur, dass sich Lars Weber in sie verliebt. Als sie miteinander im Bett liegen und sich ihre gegenseitige Liebe eingestehen, hört MfS-Spanner Ralf Müller im Führerhaus alles mit und fängt wie wild an zu hupen. Das ist wieder so eine Erfindung Oliver Hirschbiegels. Der widerliche Stasi-Offizier Ralf Müller müsste doch eigentlich wissen, dass es zur Tarnung gehört, Liebe zu heucheln. Und er müsste wissen, dass sein langes Hupen die Polizei herbeirufen könnte, die dann im Führerhaus die Abhöranlage fände!

Auch die Nebenstränge zur Haupthandlung sind höchst fragwürdig. Es gab einen einzigen, von Ostberlin nach Westberlin gegrabenen Tunnel, das war am 9. Januar 1972. Hier im Film entzweit sich Tobias Preuss, einer der Tunnelbauer, mit seinen nachts in einer stillgelegten Bäckerei grabenden Kollegen und verrät alles der Stasi. Die rückt nachts an, umstellt das Haus und lässt alle Tunnelbauer bis auf einen entkommen. Wie blöd war denn nur, in Oliver Hirschbiegels Vorstellung, die Stasi? In Kürze werden sie doch von dem verhafteten Tunnelbauer die Namen der anderen erfahren. Zu denen gehört auch der schwule Physiklehrer Axel Lang, der sich regelmäßig an abgelegenem Ort mit einem schwulen Engländer trifft. Beim ahnungslosen Publikum wird hier der Eindruck erweckt, Homosexualität wäre in der DDR strafbar gewesen, war sie aber nicht, der Paragraf 175 im Strafgesetzbuch wurde 1957 für Erwachsene aufgehoben.

Bleibt noch der DDR-Hochleistungssport, der nach einem ausgeklügelten Doping-System dem SED-Staat Olympiamedaillen einbringen sollte. Der Preis dafür war, dass der Körper der 15jährigen Schwimmerin Klara Weber zunehmend männliche Merkmale wie Haarwuchs an Brust und Rücken aufwies. Als der entsetzte Vater gegen den Willen der Mutter den Schwimmunterricht aufkündigt, wird ihm bedeutet, dass dann die ältere Tochter, die Klassenbeste ist, nicht wird studieren dürfen.

In diesem Film stecken einige Wahrheit und viel Unsinn! Die DDR und ihre Organe wie Volkspolizei, Grenztruppen und Staatssicherheit haben ungeheuerliche Verbrechen begangen, die seit Jahren bekannt sind. Das wäre ein unerschöpfliches Arsenal für authentische DDR-Filme. Oliver Hirschbiegel freilich ist an solchen Filmen nicht interessiert, wichtig ist ihm nur die Einschaltquote!

Über Jörg Bernhard Bilke 263 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

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