„Die Banalität der Liebe“ – Zur Liebesbeziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger

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Die Liebesbeziehung zwischen Hannah Arendt (1906-1975) und Martin Heidegger (1889-1976) ist wohl die außergewöhnlichste Liebesbeziehung zwischen einer weltberühmten Philosophin und einem ebenso berühmten Philosophen. Ihre Liebesbeziehung dauerte mit großen Unterbrechungen fünfzig Jahre. Der Briefwechsel der Jahre 1925 – 1975 wurde im Jahr 1998 veröffentlicht. Bis über ihren Tod hinaus – bis in die 80er Jahre – war diese Liebesbeziehung der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt (Kristeva 2001). Nur einige enge Vertraute wussten davon. In drei Werken gab es jedoch erste deutliche Hinweise auf diese Liebesbeziehung, weil die Autoren Einblick in die noch unveröffentlichten Briefe hatten, die im Literaturarchiv Marbach aufbewahrt sind. Elizabeth Young-Bruehl (1982), die mit Hannah Arendt befreundet war und die erste umfangreiche Biographie über sie verfasste, beschrieb detailliert die Liebesbeziehung. In der Doppelbiographie von Elzbieta Ettinger (1995) und in der Heidegger-Biographie von Rüdiger Safranski (1994) finden sich weitere Darstellungen. Die Veröffentlichung des Briefwechsels Hannah Arendt/Martin Heidegger im Jahr 1998 traf dann die philosophische und literarische Welt wie ein Paukenschlag (Heuer 2004, Heuer et al 2011). Genau 20 Jahre später – im Januar 2018 – wurde in Regensburg eine Oper mit dem Titel „Die Banalität der Liebe“ uraufgeführt, die die Liebesbeziehung von Hannah Arendt und Martin Heidegger zum Hauptthema hat.

Die fast 50jährige Liebesbeziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger

Im Alter von 18 Jahren hat sich Hannah Arendt im Wintersemester 1924/25 an der Universität Marburg für das Studium der Philosophie und Theologie eingeschrieben. Sie war eine eigenwillige sowie selbstbewusste junge Frau und stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Königsberg. Heidegger war zu dieser Zeit ein erfolgreicher und aufstrebender Philosophieprofessor in Marburg und war bei den Studenten sehr beliebt. Er war 17 Jahre älter als Hannah Arendt, verheiratet und hatte zwei Kinder. Im November 1924 kam Hannah Arendt in die Sprechstunde von Heidegger. Dort traf beide der „Blitzschlag der Liebe“. Der Kairos der ersten Begegnung wurde von beiden immer wieder mit den Worten „Blick“ und „Blitz“ beschrieben. Auf Drängen Heideggers wurde die Liebesbeziehung, die sich bald zu einer sexuellen Beziehung entwickelte, peinlichst geheim gehalten. Diese strikte Geheimhaltung wirkte sehr effektiv, so dass diese Beziehung erst etwa 60 Jahre später der Öffentlichkeit schrittweise bekannt wurde. Dies ist der große Unterschied zu der Liebesbeziehung des berühmten Philosophen-Paares Jean- Paul Sartre und Simone de Beauvoir, deren Beziehung von Anfang an öffentlich bekannt war. Bald schon begann die junge Hannah Arendt unter der Heimlichtuerei und der deutlich asymmetrischen Beziehung zu leiden. Sie hat jedoch nie versucht, Heidegger zu bedrängen, seine Ehefrau Elfride ihretwegen zu verlassen. Sie löste den Konflikt, indem sie im Jahr 1926 Marburg verließ, um in Heidelberg bei Karl Jaspers zu studieren. Heidegger, der damals mit Jaspers noch befreundet war, hatte sie sogar zu diesem Schritt gedrängt. Wollte er sie loswerden? Hat er sie und ihre Liebe verraten? Erst der Briefwechsel trug wesentlich zum Verstehen dieser einmaligen Beziehung bei. In der Folgezeit nach 1926 gab es noch Briefwechsel und seltene Begegnungen zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger. Zwischen 1933 und 1950 gab es weder einen Briefwechsel noch Begegnungen zwischen den beiden. Hannah Arendt ist 1933 aus Deutschland geflohen, zuerst nach Paris und schließlich 1941 in die USA. Im Jahr 1950 unternahm Hannah Arendt eine Europareise und ist erstmals wieder Heidegger begegnet. Die alte Zuneigung, Vertrautheit und Verbundenheit wurde schnell wiederbelebt. Wegen heftiger Eifersuchtsausbrüche von Heideggers Ehefrau Elfride kam es jedoch bald – im Jahr 1952 – wieder zu einem Bruch in der Beziehung. Es folgten fast 15 Jahre Schweigen. Erst im Jahre 1966 schrieb Heidegger wieder an Hannah Arendt anlässlich ihres 60. Geburtstages. In der Folgezeit kam es in der Wiederannäherung zu Besuchen und Briefwechsel. In den Jahren 1975 und 1976 sind beide kurz nacheinander gestorben. Hannah Arendt starb am 4. Dezember 1975 an einem Herzinfarkt. Der 17 Jahre ältere Martin Heidegger starb etwa ein halbes Jahr nach ihr am 26. Mai 1976.

Die Liebesbeziehung im Spiegel des Briefwechsels

Den ersten Brief schrieb Martin Heidegger an Hannah Arendt am 10. Februar 1925:

„Liebes Fräulein Arendt! Ich muss heute Abend zu Ihnen kommen und zu Ihrem Herzen sprechen. Alles soll schlicht und klar und rein zwischen uns sein. Dann sind wir einzig dessen würdig, dass wir uns begegnen durften.“

Am 21. Februar schrieb er einen zweiten Brief:

„Liebe Hannah! Warum ist die Liebe über alle Ausmaße anderer menschlichen Möglichkeiten reich und den Betroffenen eine süße Last?“

Im Jahr 1925 schrieb Hannah Arendt einen längeren Text mit der Überschrift „Schatten“, der von der Nachwelt viel beachtet wurde. Sie hat ihn in einen Brief an Heidegger gelegt und ist im Briefwechselband abgedruckt (Briefwechsel, herausgegeben von U. Ludz, S. 21-25). Von der ersten Phase des Briefwechsels liegen ausschließlich Heideggers Briefe an Hannah Arendt vor, die diese sorgsam aufbewahrt hat. Heidegger hingegen hat ihre Briefe aus dieser Zeit vernichtet (Csef & Donner 2018).

Ihre inneren Konflikte beschrieb sie in ihrem „Schatten“-Text wie folgt:

„Denn Fremdheit und Zärtlichkeit drohten ihr schon früh eins und identisch zu werden. Zärtlichkeit bedeutet scheue, zurückgehaltene Zuneigung, kein Sich-Geben, sondern ein Abtasten, das Streicheln, Freude und Verwundern an fremden Formen war … Sie wusste um Vieles – durch eine Erfahrung und eine stets wache Aufmerksamkeit. Aber alles, was ihr so geschah, fiel auf den Grund ihrer Seele, blieb dort isoliert und verkapselt. Ihre Ungelöstheit und ihre Unaufgeschlossenheit verwehrten es ihr, mit Geheimnissen anders umzugehen, als in dumpfem Schmerz oder träumerischer, verwunschener Verbanntheit.“

Hannah Arendt hat ihren Hilferuf in der dritten Person geschrieben, fast so, als wolle sie sich selbst schützen in ihrer Verletzlichkeit. Martin Heidegger hat ihre innere Not wohl weder verstanden noch ist er darauf eingegangen. Stattdessen antwortete er:

„Ganz aus der Mitte deiner Existenz bist du mir nah und für immer in meinem Leben wirkende Kraft geworden.“ (Brief vom 24. April 1925).

Heidegger wollte wohl Hannah Arendt überwiegend so sehen, wie er sie brauchte und nicht in ihrer Verletzlichkeit und Zerrissenheit. Er konnte deshalb wenig zur inneren Selbstbefreiung seiner 17 Jahre jüngeren Liebespartnerin beitragen. Ihre Seelentiefe und starken Gefühle konnte er nicht mitempfinden. Das Unbehagen von Hannah Arendt stieg von Monat zu Monat und schließlich bedrängte sie sogar Heidegger selbst, in Heidelberg bei Karl Jaspers weiter zu studieren.

Doppelbiographien und Romane zur Liebesbeziehung

Die Faszination, die von der außergewöhnlichen Liebesbeziehung von Hannah Arendt und Martin Heidegger in der zeitgenössischen Philosophie und Literatur ausgeht, inspirierte zahlreiche Autoren zu Doppelbiographien, Romanen oder Essaybänden über diese Liebesbeziehung. Die erste Doppelbiographie über Hannah Arendt und Martin Heidegger schrieb die Amerikanerin Elzbieta Ettinger (1995). Die fundiertere Doppelbiographie erfolgte 11 Jahre später von Antonia Grunenberg, die als ausgewiesene Arendt-Kennerin gilt und Leiterin des Hannah-Arendt-Zentrums an der Universität Oldenburg ist. Die französische Schriftstellerin Catherine Clement (2000) hat die Liebesbeziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger zu einem Roman verarbeitet. Der Literaturwissenschaftler Ludger Lütkehaus (1999) widmete dieser Beziehung einen Essayband. Nach diesen literarischen Bearbeitungen war offensichtlich der Reiz groß, diese außergewöhnliche Liebesbeziehung auf die Bühne zu bringen, sowohl auf die Theaterbühne, also auch in den Opernsaal.

„Die Banalität der Liebe“ als Schauspiel von Savyon Liebrecht

Savyon Liebrecht ist mittlerweile 73 Jahre alt und gilt als eine der renommiertesten zeitgenössischen Dramatikerinnen und Schriftstellerinnen des heutigen Israels. Sie wurde 1948 als Kind von jüdischen Eltern in München geboren und lebt in Israel. Ihre Eltern haben den Holocaust überlebt, der Großteil ihrer Familie jedoch – ihre Großeltern, Tanten, Cousins – sind im KZ umgebracht worden. Savyon Liebrecht hat zahlreiche Literaturpreise erhalten und war in Israel zweimal die „Dramatikerin des Jahres“. Aufgrund ihrer biographischen Holocaust-Vorbelastung war sie prädestiniert für ein Schauspiel über die Liebesbeziehung von Hannah Arendt und Martin Heidegger – der Liebe zwischen einer Jüdin und einem Nazi. Dieses wurde im Jahr 2007 in Bonn uraufgeführt. Der Titel „Die Banalität der Liebe“ ist sicherlich eine Allegorie auf den Untertitel „Von der Banalität des Bösen“ des Eichmann-Buches von Hannah Arendt (1964). Das bleibende Rätsel und ein wesentlicher Impetus für dieses Schauspiel war für Savyon Liebrecht die fortdauernde bohrende Frage: „Warum hört eine Jüdin wie Hannah Arendt nicht auf, einen Philosophen zu lieben, der von Adolf Hitler geschwärmt hat.“ In den vergangenen 15 Jahren ist das Theaterstück „Die Banalität der Liebe“ auf zahlreichen deutschen Bühnen aufgeführt worden und hat immer zu intensiven Diskussionen angeregt.

Zur Oper „Die Banalität der Liebe“ von Ella Milch-Sheriff

Die Komponistin Ella Milch-Sheriff ist etwa gleichaltrig wie Savyon Liebrecht, jedoch 1954 in Haifa geboren. Sie hat ein ähnliches Schicksal bezüglich des Holocaust. Sie ist die Tochter osteuropäischer Juden, die den Holocaust überlebt haben. Ihr Vater Baruch Milch war Holocaust-Opfer und hat viele enge Angehörige verloren. Für ihn hat sie im Jahr 2003 die Kantate „Ist der Himmel leer?“ uraufgeführt. Im Jahr 2008 schrieb sie für ihn das Buch „Ein Lied für meinen Vater“. Zu diesem Buch komponierte sie im Jahr 2010 eine Kammeroper mit dem Titel „Baruchs Schweigen“, die im Braunschweiger Staatstheater uraufgeführt wurde. Ella Milch-Sheriff wollte das Schauspiel „Die Banalität der Liebe“ von Savyon als Oper komponieren. Die konfliktreiche Beziehung zwischen einer liebenden Jüdin und einem Nazi-Anhänger schien ihr besonders reizvoll. Die im Januar 2018 uraufgeführte Oper hat in vielfacher Hinsicht besondere Vorzeichen. Die Oper ist eine überwiegend israelische Kooperation – die Komponistin, die Libretto-Verfasserin und der Regisseur sind israelische Staatsbürger. Die Oper wurde jedoch nicht in Israel uraufgeführt, sondern ist eine Auftragsarbeit des Theaters Regensburg. In Israel bestehen bis heute erhebliche Vorbehalte gegen die weltberühmte Philosophin Hannah Arendt, gerade wegen ihrer Darstellung des Eichmann-Prozesses.

 Die beiden Hauptprotagonisten der Oper – Hannah Arendt und Martin Heidegger – sind dramaturgisch doppelt besetzt: Von beiden gibt es jeweils eine junge und eine ältere Version. Beide werden von verschiedenen Schauspielern bzw. Sängern dargestellt. Die Komponistin Ella Milch-Sheriff äußerte sich zu ihrer Oper wie folgt:

„In der Mitte der Komposition wurde mir klar, dass ich in allererster Linie einen Prozess gegen Hannah Arendt vertone. Sie – und nicht Heidegger – sitzt auf der Anklagebank… Diese kinderlose Frau, die abseits von ihrem Volk stand, sowohl vom deutschen als auch vom jüdischen, ist die tragische Figur dieser Oper.“

(Ella Milch-Sheriff, 2018, Programmheft zur Oper, S. 15, Theater Regensburg)

Der israelische Regisseur Itay Tiran fasst Hannah Arendt als einen „weiblichen Faust“ auf, der begierig nach Wissen ist und sich leidenschaftlich verstrickt. Die Komponistin Ella Milch-Sheriff hat den Titel „Die Banalität der Liebe“ von Savyon Liebrecht übernommen, auch wenn sie selbst überzeugt ist, dass die Hauptfigur Hannah Arendt und ihre Liebe keineswegs banal sind, sondern dass Hannah Arendt eine abgrundtief tragische Figur darstellt.

Literatur:

Arendt, Hannah (1929): Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation. Springer Berlin 1929.

Arendt, Hannah/Martin Heidegger (1998): Briefwechsel von 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse. Ursula Ludz (Hrsg.). Klostermann, Frankfurt/Main 1998.

Clement, Catherine (2000): Martin und Hannah. Rowohlt, Berlin 2000.

Csef, Herbert; Donner, Edeltraud (2018): Gefühl und Vernunft im Konflikt: Zum Beziehungsgefüge der Existenzialphilosophen Karl Jaspers, Hannah Arendt und Martin Heidegger. Internationale Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik, Ausgabe 1

Ettinger, Elzbieta (1995): Hannah Arendt. Martin Heidegger. Piper München. Grunenberg, Antonia (2003): Arendt. Herder, Freiburg im Breisgau.

Grunenberg, Antonia (2006): Hannah Arendt-Martin Heidegger. Geschichte einer Liebe. Piper, München.

Heuer, Wolfgang (2004): Hannah Arendt. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg. 7. Auflage.

Heuer, Wolfgang; Heiter, Bernd; Rosenmüller, Stefanie (Hrsg.) (2011): Arendt-Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. J.B. Metzler, Stuttgart.

Kristeva, Julia (2001): Hannah Arendt. Das weibliche Genie. Band 1: Philo Verlag, Berlin.

Lütkehaus, Ludger (1999): Hannah Arendt. Martin Heidegger. Eine Liebe in Deutschland. Basilisken-Presse

Prinz, Alois (2012): Hannah Arendt oder Die Liebe zur Welt. Inselverlag, Berlin,          S. 209

Safranski, Rüdiger (1994): Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Hanser, München.

Young-Bruehl, Elisabeth (2015): Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. Fischer, Frankfurt am Main.

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef

An den Röthen 100

97080 Würzburg

Email: herbert.csef@gmx.de

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.