Die Ausnahmestellung Jenas im Thüringer Musikleben

Die Stadt Jena beherbergte lange Zeit die einzige Universität in Thüringen, nachdem Erfurt für einen gewissen Zeitraum darauf verzichten musste. Professoren und Studenten und nicht wenige Bürger, die zumindest teilweise von der Universität lebten, waren auch – aktiv oder passiv – am Musikleben interessiert. Ein Collegium musicum sorgte bis 1770 für die Serenaden, mit denen Honoratioren geehrt wurden. Ein Bild um 1740 zeigt eine solche Abendveranstaltung in der Johannisstraße vor dem Hause des Professors Walch: im Halbkreis Fackeln tragender Studenten musizieren etwa drei Dutzend Musikanten, die Pauken sind in Tische eingelassen; aus den Fenstern hören die Zuschauer zu. Diese Sonderstellung war aber nicht nur durch die Universität begründet: Jena war – mit der Ausnahme von 18 Jahren im 17. Jahrhundert – nie eine Residenz gewesen, man hatte also eigentlich kein eigenes Orchester und musste bis 1934 darauf warten. Die Stadtkapelle, die sich seit dem 18. Jahrhundert langsam entwickelte, war eigentlich zum Aufspielen beim Tanz gedacht, die künftigen Musiker fingen als Lehrlinge das Musizieren sozusagen wie ein Handwerk an. Mit Studenten, Musikliebhabern, den Kantoren auch aus den Vorstädten, manchen Professorenfrauen als Sängerinnen war da zu jeden Konzert eine bunt zusammen gewürfelte Truppe am Werke. Vielleicht mehr als anderswo hingen Gedeih und Verderb vom Direktor ab. Jedenfalls war stets Schmalhans Küchenmeister: die Universität war nie mit ausreichenden Geldern ausgestattet, die Musik hatte eigentlich von den Eintrittsgeldern zu leben, sieht man davon ab, dass Herzogin Anna Amalia seit der Gründung der Akademischen Konzerte 50 Gulden dazugab. Die sauber geführten Rechnungen dokumentieren eine sparsame Wirtschaftsführung.
Die Ausnahmestellung machte sich auch auf andere Weise bemerkbar. Zum einen fehlte eine Oper, wie es in zahlreichen Residenzen möglich war, d. h., man versuchte, in den Akademischen Konzerten wenigstens ein wenig davon zum Vortrag zu bringen. Chöre und Solisten hatte man ausreichend, Studenten und Musiker der Hofoper in Weimar waren gerne bereit, ihr Können zu zeigen. Allein, derlei ging ins Geld, und so nahm man bei den Honoraren die Studenten bald davon aus, bezahlte ihnen allerdings ein – billigeres – Abendessen. Auch auswärtige Musiker bekamen ein Schmausgeld. Noch als Clara Schumann in dem üblichen Hotel während eines Gastspiels übernachten wollte, scheint man sie rüde behandelt zu haben: sie zog ein Privatquartier vor. Übrigens hatte auch sie um eine polizeiliche Genehmigung nachzusuchen, wozu es allerdings ausreichte, dass sie dazu den Konzertdiener hin sandte. Neuerdings ist in den Rosensälen eine Tafel angebracht, die auf ihre Konzerte hinweisen.
Die Ausnahmestellung Jenas kommt aber noch in etwas anderem zum Vorschein. In der Karwoche waren musikalische Veranstaltungen über lange Zeiträume nicht erlaubt, übrigens auch nicht für die Zeit der Landestrauer. Manchenorts, wie in Zittau, wurde sogar der Altar zugehängt. In Jena hingegen begann man zu einem späteren Zeitpunkt allerdings damit, in sogenannten Christuskomödien in der Karwoche, gar am Karfreitag, die Lebens- und Sterbensgeschichte Jesu mit bescheidenen musikalischen Mitteln vorzustellen. Die Musik hat sich nicht erhalten, nur ganz wenige Textbücher sind überliefert. Als der erste Notenstich in Jena bei dem Chalcographen Caspar Junghans heraus kam, der auch das bekannte alte Collegium herausbrachte, war eben Landestrauer angesagt. Das Werk stammte von einem Schüler des altehrwürdigen Astronomen, Mathematikers und Technikers Erhard Weigel, der kurzerhand die Musiker zu sich ins berühmte Weigelsche Haus einlud. Die Komposition war eine „Sonderbare Invention“, durch alle Tonarten hindurch in vielerlei Takten, also sozusagen ein Vorläufer des wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach. Der Komponist, Johann Philipp Treiber, soll alle vier Doktorhüte gehabt haben. Er wurde später als Freigeist inhaftiert, was ihn nicht hinderte, Berater des Herzogs und Bürgermeister immerhin in Erfurt zu werden. Heute gibt es von diesem ersten Notenstich in Jena nur noch ein einziges Exemplar in den Niederladen.

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