Der Text veranschaulicht – auf Basis Georg Simmels Ansatzes eines sich von der frühen Moderne bis in die Postmoderne zunehmend verselbstständigenden Individualisierungsprozesses – die Veränderungen der sozialen Integration der Menschen, im Kontext des großstädtischen Lebens[1]. Aufgrund welcher Veränderungen innerhalb der Prozesse der Sozialintegration und Vergesellschaftung sind die innerhalb einer modernen Großstadt lebenden Individuen dadurch in immer stärkerem Maße der Auflösung enger familiärer Bindungen, Konventionen und sozialer Institutionen ausgeliefert? Wie wirken sich die Zunahme anonymer Sozialbeziehungen, fortschreitende formale Gleichheit, ein erhöhtes Tempo des Handelns und Erlebens, eine sich gewandelte Komplexität und Solidarität und die vielschichtigen Konsequenzen der modernen großstädtischen Geldwirtschaft auf die Lebensführung der Individuen aus? Auf welche Weise wirkt sich letztlich diese, stetig anonymere und unpersönlichere Züge annehmende, Lebensweise innerhalb der Großstadt – im Kontrast zum, von persönlichen Interaktionsbeziehungen geprägten, Kleinstadtleben – in Form von Pathologietendenzen der Vereinsamung, Vermassung und letztlich der Verkümmerung des Seelenlebens auf die dort lebenden Menschen aus? Und inwieweit erweist sichSimmels bereits in der zweiten Hälfte des 19.Jhds. skizziertes Bild eines krankhaft anmutenden Modernisierungsprozesses gegenwärtig als überaus aktuell[2]? Es wird konkretisiert, wie es Simmel durch seinen Ansatz des methodologischen Interaktionismus‘ gelingt, die durch mannigfaltige Einflussgründe bedingte Eigendynamik der großstädtischen Lebensweise offenzulegen, welche begünstigend zu einer regelrechten ,,Seelenverkümmerung“ der Individuen beiträgt und auf welche Art und Weise sich diese Pathologietendenzen der Vereinsamung und Vermassung im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext gestalten.
Die Veränderung der Vergesellschaftungsformen infolge des fortschreitenden Individualisierungsprozesses
Während sich innerhalb der frühen Moderne Marx mit dem fortschreitenden Domestizierungsprozess, im Sinne perfekter Naturbeherrschung durch den Menschen und ein damit verbundenen Autonomiegewinn, Weber mit dem Rationalisierungsprozess, in Richtung einer Kosten-Nutzenmaximierung sämtlicher Lebensbereiche, und Durkheim mit der zunehmenden Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktions- und Wertsphären beschäftigt haben, richtet Simmel sein Augenmerk auf den voranschreitenden Individualisierungsprozess, in welchem sich der Persönlichkeitstyp der Menschen und die Vergesellschaftungsformen verändern (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 21f.). Innerhalb des Individualisierungsprozesses der frühen Moderne verlieren bindende Traditionen und Konventionen, die dem individuellen Handeln der Menschen Orientierung gegeben haben, enorm an Bedeutung und werden, zusammen mit der Macht der Religion, zunehmend brüchig. Die Menschen sind zusehends selbstverantwortlich für die eigene Lebensplanung zuständig (vgl. Müller. 2011: 165f.). Die Menschen stehen seit Ende des 19.Jhds., aber vor allem in der Gegenwart – in immer stärkerem Maße vor dem Zwang, ihre Lebensgestaltung selbst in die Hand nehmen und eigens gesteckte Ziele selbstständig in die Tat umsetzen zu müssen (vgl. Giddens. 1996: 16f.). Simmel beobachtet
,,in der modernen Gesellschaft zugleich ein Anwachsen individueller Freiheit und Verschiedenheit durch erweiterte Handlungsspielräume sowie eine wachsende Vergesellschaftung im Sinne einer Überwältigung der Individuen durch die objektiven Strukturen und Gebilde der Sozialwelt“ (Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 90).
Simmel beschäftigt sich mit den sich gewandelten Formen der Vergesellschaftung, welche durch materielle und kulturelle Elemente bzw. Ideen gesteuert sind. Diese Formen stehen miteinander in Wechselwirkung und vermögen Gesellschaft und Individuum wechselseitig aufeinander zu beziehen und zu formen.
Simmels methodologischer Interaktionismus
Simmels Analyse der sich gewandelten Vergesellschaftungsformen und des Prozesses sozialer Integration, ausgehend von der frühen Moderne, setzt weder einzig an der makrosozialen Großstruktur, noch einzig bei den handelnden Individuen, als mikrosoziale Ebene, an (vgl. Kaesler. 2006: 128ff.). Simmel betrachtet hingegen vielmehr die Wechselwirkungsformen, die Inter-Aktionen und die Eigendynamik des Dazwischenliegenden, wodurch Strukturen und Menschen wechselseitig aufeinander Bezug nehmen[3]. Mit diesem Ansatz des methodologischen Interaktionismus‘ überwindet Simmel den strikten Dualismus zwischen Strukturtheorien einerseits, welche von der Vorrangigkeit und Dominanz sozialer Institutionen und Strukturen gegenüber individuellen Handlungen der Menschen ausgehen und dem ,,methodologischen Holismus“ folgen, und Handlungstheorien andererseits. Die Herausbildung globaler sozialer Umstände kann – Simmel zufolge – daher weder alleine aus den Gesellschaftsstrukturen, noch alleinig aus den Handlungen der Individuen heraus erklärt werden. Gesellschaft stellt für Simmel keinen Tatbestand, sondern einen Prozess zwischen Menschen dar, der nur auf Basis der Erfüllung dreier apriorischer Grundbedingungen gelingen kann[4] (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 93).
Wandlung der Sozialintegration der Individuen
Der soziale Entwicklungsprozess der Moderne, in Richtung einer sich gewandelten Vergesellschaftung, resultiert nach Simmel primär aus der zentralen Tendenz einer Veränderung sozialer Kreise bzw. sozialer Gruppen, hinsichtlich deren Größe und Struktur. Es kommt zur Herausbildung mobiler, raum-zeitlich hoch differenzierter Gesellschaften, die den Handlungsspielraum und den Individualisierungsgrad für das einzelne Individuum enorm vergrößern (vgl. ebd.: 97). Im Zuge des strukturellen Differenzierungsprozesses verändert sich hinzukommend – vor allem innerhalb des großstädtischen Lebens – auch die Art und Weise der Vergesellschaftung und die Form der Sozialintegration. Menschen befinden sich nicht mehr, wie noch in vormodernen traditionalen Gesellschaften, im Zentrum mehrerer sich konzentrisch überlagerter Kreise, sondern sie sind innerhalb moderner Gesellschaften[5] nur noch im Schnittpunkt mehrerer, autonom voneinander existierender, sich überschneidender sozialer Kreise verortet. Diese übernehmen fortan die Aufgabe der individuellen Identitätsdefinition und -stiftung der Individuen[6]. Damit kommt im und durch den einzigartigen Schnittpunkt sozialer Kreise eine Steigerung quantitativer Individualität zustande (vgl. ebd.: 98f.). Die mit dem Anstieg quantitativer Individualität einhergehende Steigerung individueller Handlungsfreiheit und räumlicher Mobilität konfrontiert die Menschen allerdings mit dem Zwang, innerhalb der sich überkreuzenden sozialen Kreise bzw. sozialen Gruppen selbstständig bestehen, sich positionieren und ihre Besonderheit unentwegt unter Beweis stellen zu müssen.
Die spezifische Lebensweise innerhalb der modernen Großstadt gegenüber dem dörflichen, kleinstädtischen Leben
Das Leben innerhalb der Großstadt unterscheidet sich nach Simmel in vielerlei Hinsicht vom kleinstädtischen Leben auf dem Lande – vor allem in den Wechselwirkungen zwischen den Individuen. Während Simmel den Begriff der ,,Großstadt“ als Code bzw. Synonym für die Moderne verwendet, versteht er unter der ,,Kleinstadt“ oder dem ,,Dorf“ die Verkörperung der traditionalen, vormodernen Gesellschaftsform (vgl. ebd.: 99ff. Hervorheb. S. W.). Aufgrund der höheren Interaktionsdichte innerhalb der Großstadt sind Menschen dort in größerem Ausmaß und in ständig wechselnden Kontexten mit der enormen Fülle und Differenziertheit von Impressionen konfrontiert als in kleinstädtischen Lebensbereichen. Das Leben innerhalb der Großstadt ist – laut Simmel – gekennzeichnet durch ein erhöhtes Tempo des sozialen Handelns und Erlebens, durch eine ständige Reizüberflutung und durch Vielfältigkeiten des wirtschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Lebens. Dies steht im direkten Kontrast zur Kleinstadt, in der das Leben durch einen langsameren, gleichmäßig fließenden Rhythmus bestimmt ist (vgl. Simmel. 1903: 117). Während Angehörige traditionaler Gesellschaften eher gefühlsdominierte ,,Gemütsmenschen“ sind, sehen sich die innerhalb der Großstadt lebenden Menschen einzig durch den eigenen Verstand in der Lage, mithilfe von Abstraktion, Distanz zur Umwelt aufrecht zu erhalten und sich so vor Reizüberflutung oder emotionaler Überforderung zu schützen[7]. Ferner ist die Mehrzahl moderner Interaktionsbeziehungen innerhalb des großstädtischen Kontextes von anonymem und formalem Charakter – im Gegensatz zur Charakteristik kleinstädtischen Lebens, geprägt von unmittelbaren persönlichen Kontakten (vgl. Saum-Aldehoff. 2012a: 64). Eine in vormodernen traditionalen Gesellschaften vorherrschend homogene Gemeinschaft, mit geringer individueller Freiheit, wird in der (modernen) Großstadt zu einer wachsend heterogenen Gesellschaft mit großen individuellen Freiheiten. Innerhalb der modernen Großstadt werden Menschen darüber hinaus nicht in ihrer Vollkommenheit als Persönlichkeit wahrgenommen bzw. betrachtet, sondern als Rollenträger. Lediglich die Einhaltung bzw. Erfüllung ihrer jeweiligen Funktions- oder Berufsstelle ist von Bedeutung. Es kommt somit zu einer klaren Trennung zwischen der Öffentlichkeit bzw. dem Berufsleben und dem Privatleben. Resultierend aus dieser Anonymität und Distanzbewahrung entsteht sowohl die großstädtische Geisteshaltung der Blasiertheit als auch die Trennung und Entfremdung der Menschen untereinander. Es kommt darüber hinaus innerhalb der Großstadt verstärkt zu Interdependenzen, verlängerten Abhängigkeitsketten und zu einer veränderten Solidarität[8] (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 101f.). Daraus resultierend wandelt sich die menschliche Beziehung zur Objektwelt, sprich zu jeglichem Materiellen. Während der Kleinstadtbewohner, aufgrund eines persönlichen Bezugs, eher qualitative Beziehungen zu materiellen Dingen etabliert, ist die Beziehung des Großstädters zu Materiellem eher von berechnend-quantitativem Charakter. Die Umstellung von Subsistenz- auf Geldwirtschaft spielt, Simmels Ansicht nach, eine maßgebliche Rolle innerhalb dieses, von der frühen Moderne ausgehenden und von Entfremdungstendenzen gekennzeichneten, Modernisierungsprozesses.
Die Rolle städtischer Geldwirtschaft
Sämtliche Waren werden innerhalb der Großstadt auf ihren Waren- bzw. Tauschwert reduziert und für anonyme Kundenkreise produziert (vgl. Rosa. 2005: 256f.). Resultierend aus dem Umstand, dass innerhalb des großstädtischen Kontextes kein bzw. kaum noch persönlicher Bezug mehr zu Materiellem zustande kommt, besitzen Waren nur noch einen Preis, nicht mehr jedoch einen ideellen Wert – Waren werden austauschbar (vgl. Giddens. 1999: 268f.; vgl. Rosa. 2012: 36). Während das dörfliche Kleinstadtleben geprägt ist von unmittelbaren persönlichen Beziehungen und sich die Interaktionspartner meist in der Gesamtheit ihrer Persönlichkeit – und nicht nur als Rollenträger – kennen, kommt es in der Großstadt sowohl zur einer Verlängerung der Handlungsketten als auch zur Anonymisierung der Interaktionsbeziehungen.
Vereinsamungstendenzen innerhalb der modernen Großstadt
Simmel betont, in ähnlich kritischer Manier wie Marx oder Weber seiner Zeit, nicht nur den Zugewinn quantitativer Freiheit und Individualität innerhalb des Modernisierungsprozesses der frühen Moderne, sondern weist auch entschieden auf den damit oftmals einhergehenden Verlust qualitativer Individualität hin. Das erhöhte Tempo des sozialen Handelns und Erlebens, die Interaktionsdichte und die permanente Reizüberflutung, aufgrund einströmender Eindrücke in der Großstadt, führen zu einer massiven emotionalen Überforderung der Individuen. Dieser vermögen sich
die Individuen, laut Simmel, nur durch den eigenen Verstand und einer, von Blasiertheit durchdrungenen, Geisteshaltung zu schützen (vgl. Rosa. 2005: 176f.). Dadurch, dass die Individuen in der Öffentlichkeit meist auf die Erfüllung bzw. Einhaltung einer bestimmten Funktion oder Rolle reduziert werden und persönliche Interaktionsbeziehungen kaum zustande kommen (können), ist das Privatleben für Großstädter der einzige Ort, an dem sie in ihrer Vollkommenheit als Wesen wahrgenommen werden bzw. sich darstellen können. Daraus resultierend gewinnt der private Bereich, vor allem gegenwärtig, eine stetig wachsende Wichtigkeit im Leben der Großstädter. Innerhalb der Großstadt lebende Menschen nehmen ferner, wie Simmel dies bereits innerhalb der frühen Moderne konstatiert, ein gestörtes Verhältnis zur Sozial- und Objektwelt ein. Sie begegnen ihren Mitmenschen oftmals in der Grundstimmung einer latenten Aversion. Mit der Einstellung, möglichst distanziert auftreten zu wollen und auch nur eigens ausgewählte persönliche Beziehungen einzugehen, laufen Großstädter jedoch Gefahr, sich zu isolieren und zu vereinsamen[9] (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 102f.). Die Nivellierung des Besonderen und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Einzelnen im Bezugsrahmen des Großstädtischen führt zu einer unfreiwilligen Freiheit. Diese äußert sich auf Seiten der Individuen anhand des zum Ausdruck Bringens der eigenen Individualität in Form von Extravaganz (vgl. Simmel. 1903: 125f.). Eine durch die Kreuzung und Ausdifferenzierung sozialer Kreise sich gewandelte Sozialintegration der Menschen und der damit verbundene Gewinn quantitativer Individualität geht – Simmel zufolge – einher mit einem schleichenden, unaufhaltsamen Verlust qualitativer Individualität und einer Nivellierung der Differenzen zwischen Individuen bzw. deren Unverwechselbarkeit. Im Weiteren wird darauf eingegangen, wie dies zwangsläufig zur ,,Tragödie der Kultur“ führt.
Die ,,Tragödie der Kultur“ als Resultat der Zunahme quantitativer Individualität zu Lasten qualitativer Individualität
Die sich im Zuge der fortschreitenden Wettbewerb-, Geld- und Verstandesherrschaft vollziehende Steigerung quantitativer Individualität – in Form von stärkerer Differenzierung der Mitgliedschaften und Zugehörigkeiten unter den Menschen – geht indessen mit einem Verlust bzw. einer völligen Beseitigung qualitativer Individualität einher (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 103). Mit dem Verlust qualitativer Individualität geht eine seelische Nivellierung einher, ,,d.h. das Gleichförmigwerden der Menschen in der modernen Massenkultur“ (ebd.). Dadurch, dass sich die innerhalb der Großstadt lebenden Menschen nur noch anhand der Auswahl ihrer Konsumprodukte und nicht anhand des Folgens eigener individueller Gesetzmäßigkeiten voneinander unterscheiden, unterliegen sie zwangsläufig den Gesetzen der modernen Massenkultur (vgl. Rosa. 2005: 176f.; vgl. Nuber. 2012: 20f.). Ähnlich wie Marx, der davon ausgeht, dass sich die ,,Natur des Menschen“ und somit seine Persönlichkeit, erst durch die konstruktive Arbeit an der äußeren Natur formt (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 42f.; vgl. Weischedel. 1987: 253f.), spricht Simmel im Kontext der Großstadt, die von Entfremdung und anonymen Interaktions- und Tauschbeziehungen geprägt ist und kaum individuelles Formen der eigenen Persönlichkeit zulässt, von einer voranschreitenden ,,Tragödie der Kultur“ (vgl. Simmel: 1911: 385f.; vgl. Kaesler. 2006: 334)[10]. Erst in der aktiven Beschäftigung mit Kulturleistungen, wie der Kunst, der Wirtschaft, der Politik oder der Bildung vermag sich die Persönlichkeit bzw. die Seele eines Menschen herauszubilden. Idealerweise bilden sich die ,,subjektive Kultur“ – die Bildung des eigenen Selbst – und die ,,objektivierte Kultur“ – objektivierte Kulturleistungen – innerhalb einer wechselseitigen Bezugnahme aus. Nach Simmel besteht die ,,Tragödie der Kultur“ innerhalb der Moderne nun darin, dass die objektivierten Formen der Kultur haben Überhand über die subjektiven Fähigkeiten gewinnen können. Diese Diskrepanz vergrößert und verselbstständigt sich stetig und vollzieht sich zunehmend nach eigenen Gesetzmäßigkeiten (vgl. Kaesler. 2006: 334). Ein Hinterlassen rein individueller Spuren innerhalb der modernen Gesellschaft ist für die Individuen nahezu unmöglich geworden. Ergo droht, laut Simmel, durch das fehlende Abarbeiten der eigenen Individualität an den großen Kulturleistungen, die Gefahr eines Zerfalls der subjektiven Kultur der Individuen und des damit einhergehenden Resultats einer fortschreitenden Seelenverkümmerung. Daraus resultierend entzieht sich auch der objektivierten Kultur innerhalb der Moderne die kreative Substanz, die es zur Weiterentwicklung bedürfe. Den Menschen fehlt – vor allem gegenwärtig – die Möglichkeit der Selbstverwirklichung und der Resonanzerfahrung, die zwar beide keine Garanten für ein gelingendes Leben sind, jedoch eine notwendige Bedingung dafür (vgl. Rosa. 2012: 35). Simmel kann, dadurch dass er die spezifische großstädtische Lebensweise und die sich gewandelte Diskrepanz zwischen ,,subjektiver Kultur“ und ,,objektivierter Kultur“ in eine sog. ,,Tragödie der Kultur“ münden sieht, als einer der ersten Kritiker der modernen Massenkultur bezeichnet werden kann (Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 106). Der Soziologe Hartmut Rosa verdeutlicht, in Anknüpfung an Simmels kulturpessimistische Individualisierungstheorie ausgehend von der Zeit der frühen Moderne, sehr kritisch die Brisanz gegenwärtig beschleunigten Lebens innerhalb der modernen bzw. postmodernen Kultur.
,,Wir glauben, dass Optionssteigerung das Leben verbessert. Von diesem Irrglauben lassen wir uns immer wieder verführen. Wir glauben, mehr ökonomische Ressourcen, mehr technische Möglichkeiten und mehr soziale Freiheiten würden uns ein besseres Leben bescheren. Ich will das nicht diskreditieren, aber wir haben diese Idee verabsolutiert und damit den instrumentellen Weltbezug in den Mittelpunkt gestellt und uns dadurch nicht nur psychische, sondern auch große ökologische Probleme geschaffen. (…) Beschleunigung untergräbt Resonanz. Wir entwickeln keine Beziehung mehr zu den Räumen, in denen wiruns bewegen. (…) Wir betrachten Dinge nur noch instrumentell. Aus Selbstschutz. (…) In der Spätmoderne ist vor allem durch die digitale Revolution und die Revolution der Finanzmärkte die Dynamik der Veränderung so hoch, dass es nicht mehr möglich ist, sich eine Weltposition zu schaffen. Wir sind wie Surfer, die von Welle zu Welle springen und keine klare Richtung mehr haben, weil wir nie wissen, welche Welle am Ende die Beste sein wird. (…) Du musst deine Prioritäten selbst setzen. Familie, Beruf, Religion, wie du das gewichtest, ist deine Sache. Das war ein Fehler. Dadurch haben wir zugelassen, dass die kollektiven Strukturen, in denen wir leben, sich so verändert haben, dass sie uns ein gelingendes Leben fast unmöglich gemacht haben“ (Rosa. 2012: 36f.).
Kritischer Ausblick
Die großstädtische Lebensweise vermag, aufgrund eines Zusammenspiels genannter Entfremdungsfaktoren in vielerlei Hinsicht, pathologisch auf das Seelenleben der dort lebenden Menschen Einfluss zu nehmen. Simmels, bereits Ende des 19.Jhds. bzw. zu Beginn des 20.Jhds., gezeichnetes Bild einer regelrechten Seelenverkümmerung der Großstädter hat sich bis in gegenwärtige Zeit zusehends verselbstständigt und in der Moderne bzw. Postmoderne noch besorgniserregend weitreichendere Ausmaße angenommen, als Simmel dies seiner Zeit hätte vorhersehen können. Man denke nur an die gegenwärtig beschleunigte Turbo-Gesellschaft, oder an die mittlerweile sämtliche Sphären des menschlichen Lebens bestimmende digitale Revolution, an die globale Vernetzung – das Internet – oder an gestiegene Leistungsanforderungen jeglicher Art. All diese Faktoren wirken sich, vor allem innerhalb des großstädtischen Lebens, in beträchtlichem Maße auf den Zerfall realer menschlicher Beziehungen, auf die Isolation der Individuen und auf die Vereinsamung deren Seelenlebens aus. Menschen sehen sich gegenwärtig – innerhalb einer von konsum-, gewinn- und geschwindigkeitsorientiertem Turbokapitalismus‘ geprägten Gesellschaft, in welcher omnipräsente Rastlosigkeit herrscht, autonome Spitzenleistung abverlangt wird und Begriffe wie ,,Turbo-Abi“, ,,Turbo-Studiengänge“ oder ,,Nahrungsmittel to go“ Hochkonjunktur haben – mit Gefühlen des nicht mehr mithalten Könnens oder der Überforderung konfrontiert (vgl. Rosa. 2013: 36ff.). Zeitdruck, Zeitmangel und Erkrankungen des menschlichen Seelenlebens nehmen, neben auch körperlich gehäuft auftretenden Erkrankungen, drastische und sich weiter verstärkende Ausmaße an (vgl. Ehrenberg. 2008: 83ff.). Von Nöten wäre daher eine Trendwende in Richtung eines entschleunigten, gleichmäßig und harmonisch und dadurch wieder Halt gebenden Lebensstils. Adornos kritische, die Widersprüchlichkeit moderner großstädtischer Lebensweise aufgreifende, Aussage innerhalb seines Werkes ,,Minima Moralia“ aus dem Jahre 1951: ,,Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (Adorno. 2000: 339) findet hier Zustimmung.
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[1] Es sei an dieser Stelle anzumerken, dass Simmel – zusammen mit Weber als einer der Mitbegründerder Soziologie und Begründer der ,,formalen“ Soziologie – in seinen Hauptwerken ,,Das Problem der Soziologie“ (1894), ,,Über Sociale Differenzierung“ (1890), ,,Soziologie“ (1908), ,,Grundfragen der Soziologie“ (1917) und vor allem innerhalb des Werkes ,,Die Philosophie des Geldes“ (1900) den anhaltenden Prozess der Individualisierung innerhalb der frühen Moderne untersucht, hinsichtlich des, von Pauperisierung geprägten, sich veränderten zeitlichen Raum- und Arbeitsgestaltungsprozesses. In diesem haben sich wirtschaftliche, technische und politisch-gestalterische Spielräume rasant ausgedehnt und Individuen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit bzgl. der eigenen Lebensführung gewonnen. Im Gegenzug dazu sind jedoch Gewissheiten und die Ordnung des Handelns zunehmend von Zerfall bedroht. Vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 23f..
[2] An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sich die Darstellungen vorliegender Arbeit auf den von Simmel ins Visier genommenen Modernisierungsprozess der frühen Moderne (zweite Hälfte des 19.Jhds./Anfang des 20.Jhds.) innerhalb Deutschlands beziehen – Ländervergleiche zu sich derzeit vollziehenden Modernisierungsprozessen innerhalb Europas oder anderen Nationen werden nicht gezogen. Außerdem geht es weniger um den quantitativen Nachweis bzw. das Aufzeigen sich großflächig gewandelter Lebensweisen innerhalb der Großstädte, sondern vielmehr um die qualitative Komponente eines fortschreitenden Zerfalls des, durch das spezifische großstädtische Leben sich vollziehenden, Seelenlebens der Menschen – unabhängig vom quantitativen Ausmaß sich großflächig gewandelter großstädtischer Lebensweisen im Allgemeinen.
[3] Die von Simmel untersuchten Wechselwirkungsformen, die Inter-Aktion, das Dazwischenliegende kann an dieser Stelle mit Durkheims Begrifflichkeit der ,,Emergenz“ verglichen werden. Dieser Ausdruck bezieht sich auf das Entstehen neuer Strukturen oder Eigenschaften, die erst aufgrund des Zusammenwirkens der Elemente innerhalb eines komplexen Systems zustande kommen. Die Gesellschaft – oder im Allgemeinen Dinge bzw. Entitäten – sind laut Durkheim ,,emergente Phänomene“, die Eigenschaften aufweisen, die den Teilen fehlen, aus denen sich das Ganze zusammensetzt. Vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 71.
[4] An dieser Stelle möchte ich Simmels drei soziale apriorische Grundbedingungen erwähnt wissen, die – ihm zufolge – für das Zustandekommen sozialer Ordnung notwendigerweise erfüllt sein müssen. Die erste Bedingung nennt Simmel ,,Struktur-Apriori“, was sich darauf bezieht, dass sich Menschen gegenseitig niemals als reine Individuen ansehen, sondern stets als Vertreter bestimmter Typen (Mann/Frau). Die zweite Bedingung nennt er ,,Individualitäts-Apriori“, was bedeutet, dass Individuen bestimmte Rollen immer auch zusätzlich mit individuellen persönlichen Eigenschaften bzw. Charakterzügen vereinen – Menschen stehen somit ,,in“ der Gesellschaft und ihr doch gleichzeitig auch ,,gegenüber“. Drittens muss die Bedingung des ,,Rollen-Apriori“ erfüllt sein, was sich darauf bezieht, dass gesellschaftliche Rollenmuster und Beziehungsstrukturen immer schon vorab festgelegt und vorstrukturiert sind – die Individuen füllen diese feststehenden Rollen (bspw. die Rolle des Arztes oder des Pfarrers etc.) dann lediglich mit ihrer jeweiligen individuellen Persönlichkeit aus. Vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 94f.; vgl. Kaesler. 2006: 133f.
[5] An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass es hier nicht von Bedeutung ist, ob es sich bei genannten Ausführungen um die deutsche Gesellschaft oder eine beliebig andere handelt. Vielmehr findet hier lediglich der abstrakte, strukturelle Aspekt der veränderten Sozialintegration der Individuen innerhalb des Großstädtischen Hervorhebung.
[6] In traditionalen Gesellschaften beispielsweise war die Familie Mittelpunkt konzentrisch angeordneter Kreise, in dessen Kontext ein Individuum primär eingebettet gewesen ist. Daran anschließend und sich nach außen ausdehnend, ist das Individuum in den Kontext des eigenen Dorfes, dann ihres Fürstentums und innerhalb des allumfassenden konzentrischen Kreis der Christenheit eingebunden gewesen. In modernen Gesellschaften hingegen befindet sich das Individuum im Schnittpunkt sich überschneidender Kreise – wie der Familie, der Firma, des Freundeskreises, des Sportvereins, der Partei, einer Kirchengemeinde oder Ähnlichem – welche allesamt die Aufgabe der individuellen Identitätsstiftung zu leisten haben. In der Moderne bzw. Postmoderne lebende Menschen identifizieren sich nicht selten mit einer Reihe abstrakter universaler Gruppen gleichwertig. So kann eine Frau die unterschiedlichen Rollen Frau, Homosexuelle, Rockmusik-Fan, Christin, Studentin und Umweltaktivistin durchaus miteinander in ein und derselben Person vereinen.
[7] Simmels Charakterisierung des Gegensatzes zwischen großstädtischem und kleinstädtischem Verhalten der Individuen weist Parallelen auf zu Webers Konzeption der sich innerhalb der frühen Moderne vollziehenden Umstellung von affektivem zu vorherrschend rationalem menschlichem Handeln. Vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 48f; vgl. Schluchter. 1979.
[8] An dieser Stelle sei die erneute Parallelität zu Durkheim erwähnt, der sich ebenfalls mit der sich verändernden Solidarität beschäftigt hat – mechanische Solidarität, auf Gleichheit beruhend, wird – laut Durkheim – innerhalb der frühen Moderne zunehmend zu organischer Solidarität, beruhend auf einer Zusammengehörigkeit auf Basis scheinbar unvereinbarer Eigenschaften oder Lebenskonzeptionen. Vgl. ferner Müller. 1992: 481f.
[9]An dieser Stelle soll Alain Ehrenbergs Werk ,,Das erschöpfte Selbst“ Erwähnung finden, da dies auf eindrucksvolle Art und Weise verdeutlicht, wie subjektives Leid in der modernen Gesellschaft zum hauptsächlichen Medium geworden ist. Auch wenn sich Ehrenberg primär auf Veränderungen innerhalb der französischen und amerikanischen Gesellschaft bezieht, können die von ihm skizzierten Entfremdungs- und Vereinsamungstendenzen doch problemlos auch auf die gegenwärtige Situation anderer großstädtisch geprägter Gesellschaften übertragen werden. Ebenso Ehrenbergs aktuelles Werk ,,Das Unbehagen in der Gesellschaft“ ist aus dem öffentlichen Diskurs über das entfremdete Ich nicht mehr wegzudenken. Vgl. Necker. 2012: 82f..
[10] Ein solcher kulturpessimistischer Fortschrittsgedanke findet sich, neben Simmel, auch bei Spengler (1918/1922): ,,Der Untergang des Abendlandes“, bei Freyer (1985): ,,Theorie des gegenwärtigen Zeitalters“, bei Gehlen (1957): ,,Die Seele im technischen Zeitalter“ oder bei Arendt (1959): ,,Vita activa oder vom tätigen Leben“ – um hier ein paar wichtige Ansätze zu nennen.
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