Die abgründige Macht des Bildes

„Wirkung ist ihr höchstes Ziel, und um dieses zu erreichen, verschmähet sie keine Mittel. Das Schöne ist nur Nebensache; am liebsten will sie erstaunen und überraschen, niederdrücken durch gigantische Größe oder erschüttern durch Extreme der Leidenschaft; sie hascht nach der Wahrheit der Natur in ihren grässlichen Augenblicken und erlaubt ihrer Phantasie den verwegenen Flug, nicht in das schöne Feenland des Ideals, sondern in die verbotene Region der Geiser und Gespenster.“ Diese so treffenden Worte des deutschen Naturforschers und Reiseschriftstellers Georg Forster könnten als Leitmotiv über der großartigen Ausstellung des Frankfurter Städel Museums (26.09.12 – 20.01.13) stehen. Forster wählte diese so prägnanten Worte, um seine Eindrücke bei einem Aufenthalt in London im Jahre 1789 wiederzugeben. Die damalige zeitgenössische englische Kunstwelt und deren hervorstechendster Exponent, der exilierte Schweizer Johann Heinrich Füssli, waren der ausschlaggebende Punkt. Dieser innovative Bildschöpfer, innerlich getrieben und mit einem Hang zum Übernatürlichen, erforschte in seinen Bildern die dunklen Seiten menschlicher Fantasie und Seelenzustände und brachte sie suggestiv wie kaum ein anderer zum Ausdruck. Er avancierte neben anderen bildenden Künstlern und jungen Literaten als Vertreter eines Genres, das sich zunehmend der Kehrseite der Vernunft widmete und denen das Unerklärliche und Geheimnisvolle nicht als Problem erschien, sondern ihnen Anreiz bot, „das fantastische Reich hinter der sicht- und messbaren Realität zu entdecken. Das Schreckliche, das Wundersame und Groteske machte dem Schönen und Makellosen die Vorherrschaft streitig.“, stellt der Herausgeber des vorliegenden Prachtbandes und Kurator Felix Krämer fest. Die „Schwarze Romantik“ war geboren.
Von Francisco de Goya und seinem 1820-23 gemalten „Saturn“ bis zu „Vom nächtlichen Anblick der Porte Saint-Denis ausgelöste Vision“ aus dem Jahr 1927 von Max Ernst präsentieren sich 70 Künstler mit 200 Werken in Frankfurt sowie dem Leser und Betrachter dieses großartigen Buches, das neben fantastisch-schaurigen Gemälden, Fotos oder Filmausschnitten auch durch eine Fülle an erstklassigen Beiträgen von renommierten Autoren aus dem Bereich der Kunstgeschichte aufgewertet wird. „Die hier präsentierten Werke erzählen von Einsamkeit und Melancholie, von Leidenschaft und Tod, vom Erhabenen der Natur und dem Irrationalen der Träume. Die gesellschaftlich Ausgegrenzten werden zu neuen Helden erhoben und eröffnen den Blick in die Abgründe der Conditio humana.“, stellt der Direktor des Städel Museum, Max Hollein, treffend fest. Bilder, die man vielleicht Betrachtern „mit labiler Gesundheit“ nicht zumuten sollte und gleich gar nicht vor dem Schlafengehen. Zumindest warnte man derart Besucher der Jahresausstellung der Londoner Royal Academy von 1782 vor dem Gemälde „Der Nachtmahr“ von oben erwähntem Johann Heinrich Füssli. Goyas „Orgien des Bestialischen“, Delacroix' schwermütige Weltsicht und Seelenmalerei, Carl Blechens düster-verstörende Motive oder Caspar David Friedrichs „Elemente des Schauerlichen“, garniert mit „lastender Stille“ stehen Füssli allerdings in nichts nach und können schon mal zartbesaitete Naturen gehörig in Aufregung versetzen.
Die Ausstellung wie auch das Buch spannen einen Bogen vom Beginn der Romantikepoche im späten 18. Jahrhundert, über den Symbolismus bis zum Ende der Hochphase des Surrealismus Mitte des 20. Jahrhunderts. Neben Malerei, Grafik und Skulptur werden auch Fotografien und Filmausschnitte gezeigt. „Man begegnet einer Traumwelt, die ihren eigenen rätselhaften Gesetzen zu folgen scheint.“, um noch einmal Felix Krämer zu zitieren. Alle Exponate vereint das Spiel von Illusion und Desillusion, „dessen Ambivalenz das Seherlebnis bestimmt.“, so der Herausgeber. Kann man den eigenen Sinneseindrücken noch trauen, auch wenn die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen? Schaue(r)n Sie selbst!
„Die Romantik ist eine Gnade, eine himmlische oder höllische Gnade, die uns mit ewigen Stigmata gezeichnet hat.“ (Charles Baudelaire: „Der Salon“)

Felix Krämer (Hrsg.)
Schwarze Romantik
Von Goya bis Max Ernst
Hatje Cantz Verlag (Oktober 2012)
305 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3775733728
ISBN-13: 978-3775733724
Preis: 45,00 EURO

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.