Dramen der Weltliteratur. Ein persönliches Ranking. Von Johannes Schütz.
1. Die Tragödie des Menschen (Ungarischer Originaltitel: Az ember tragédiája) von Imre Madách.
Das Stück gilt als der „ungarische Faust“. Die Handlung beginnt im Paradies. Adam und Eva werden verführt durch Luzifer, der wie eine mephistophelischen Figur erscheint. Sie sollen vom Baum der Erkenntnis essen.
„Familie und Eigentum: Sie werden einst die Welt bewegen“, erklärt Luzifer danach. In der Folge werden die beiden Protagonisten durch die Weltgeschichte geführt, stets beraten von Luzifer. Die Reise beginnt im Ägypten des Pharao, wird fortgesetzt in der Demokratie der griechischen Antike, gefolgt von der hedonistischen Dekadenz im Alten Rom. Dann Kreuzzüge, Forschung und Astronomie, die französische Revolution. Schließlich die utopische Welt des französischen Autors Charles Fourier mit seinem Phalanstère.
Doch durch welches Zeitalter Adam und Eva auch schreiten, als Archetypen der Menschheit, sie werden stets enttäuscht. Es treten jeweils Ereignisse ein, die zu einem Scheitern ihrer guten Hoffnungen führen, trotz aller Bemühungen. Die Pläne für das Glück der Menschheit werden stets durchkreuzt, wie von einem Zerstörungswerk betrieben.
Die letzten Szenen führen Adam auf eine spirituelle Reise durch das Weltall und in die Kälte einer apokalyptischen Welt. Schließlich erwacht Adam von dieser trostlosen Reise nochmals im Paradies.
Imre Madách veröffentlichte die große Bühnenerzählung von der „Tragödie des Menschen“ erstmals 1861, die Uraufführung des Stückes erfolgte 1883 in Budapest. Es könnte das bedeutendste Stück der Theatergeschichte sein.
Link zum Volltext in einer Übersetzung von Jenö Mohácsi und Géza Engl, veröffentlicht in der Digitalen Ungarischen Bibliothek (Magyar Elektronikus Könyvtár):
www.mek.oszk.hu/00900/00920/html/
2. Der Sturm (Originaltitel: The Tempest)
von William Shakespeare
Prospero, beschäftigt mit alchemistischen Studien, muss auf eine Insel fliehen, vertrieben aus Mailand, wo Gier und Machtlust nach der Herrschaft streben.
Wohl bevorzugt mancher „Hamlet“ oder „King Lear“, doch sollte „The Tempest“ eines der großen Stücke von Shakespeare sein.
3. Das Leben ein Traum (Spanischer Originaltitel: La vida es sueño)
von Pedro Calderón de la Barca
Ein Stück aus dem spanischen Siglo de Oro. Uraufführung 1636 in Madrid.
Der junge Prinz Sigismund soll auf die Probe gestellt werden. Wie im Traum erhält er für einen Tag die Herrschaft über das Land. Bereits vor seiner Geburt wurde vor seiner Machtübernahme gewarnt. Schlechte Vorzeichen wurden in den Sternen gelesen.
4. Faust, der Tragödie zweiter Teil
von Johann Wolfgang von GoethePopulär ist der erste Teil des Faust. Für das Publikum doch auf eine tragische Liebesbeziehung jederzeit simpel reduzierbar. Faust bringt Gretchen ins Unheil, geleitet von den wirrsinnigen Einflüsterungen eines diabolisch erscheinenden Mephisto.
Schon tiefsinniger der zweite Teil der Tragödie, in dem gezeigt wird, wie Faust mit spirituellen Welten weiter in Berührung kommt. Wie auch Wilhelm Meister in Goethes bedeutenden Roman von den „Lehrjahren“ des ersten Teils zu den „Wanderjahren“ fortschreitet.
5. Das Käthchen von Heilbronn
von Heinrich von Kleist
Käthchen sucht, von Träumen geleitet, den vorbestimmten Partner für die Ewigkeit:
„In der Sylvesternacht, bat ich zu Gott,
Mögt’ er den Ritter mir im Traume zeigen“.
Die Formulierungen von Heinrich von Kleist mögen wohl nicht mehr zeitgemäß sein, doch könnte ein berufener Dramaturg eine gelungene Strichfassung erstellen, die nochmals beweist, dass das „Käthchen von Heilbronn“ zu den großen Stücken der Theaterliteratur zählt.
Erinnert sei aber auch an „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist, seiner Erzählung vom entschiedenen Kampf um Gerechtigkeit, die mehrfach für Bühnenfassungen dramatisiert wurde und weiterhin wert ist, inszeniert zu werden, auch aufgrund aktueller Bezüge.
6. Mahabharata
in der Bearbeitung von Jean-Claude Carrière, inszeniert von Peter Brook
Das große indische Epos Mahābhārata wurde von Jean-Claude Carrière für die europäische Bühnenaufführung dramatisiert. Erstmals aufgeführt 1985 in der Regie von Peter Brook.
Krishna führt als Wagenlenker Arjuna in die Schlacht, der im 13. Jahr aus dem Exil zurückkehrt. Die Erzählung ist voll der Bezüge zur hinduistischen Philosophie, insbesondere im Kernstück Bhagavad-Gita.
7. Matsukaze (Wind in den Pinien)von Kan´ami und Zeami Motokiyo
Matsukaze ist eines der beliebtesten Stücke des japanischen Nō-Theaters. Nō kann als eine Kunst des Zen gelten, mit subtiler Ästhetik. Im 14. Jahrhundert prägten Kan´ami und sein Sohn Zeami die Kunst des Nō.
Kami sind Geister im japanischen Shintoismus. Kami mono bedeutet eine Gattung des japanischen Nō-Theaters, in der Götter und Geistwesen als Protagonisten der Handlung wirken. Matsukaze (Wind in den Pinien) und Murasame (Herbstregen) sind zwei Schwestern, die als Geistwesen einem Wandermönch erscheinen und ihre Geschichte erzählen.
Matsukaze soll hier als ein Beispiel genannt werden, für zahlreiche bedeutende Stücke des subtilen japanischen Nō.
8. Jedermann
von Hugo von Hofmannsthal
Das Spiel vom göttlichen Gericht, das der Gierige erleben soll. Der jährliche Höhepunkt der Salzburger Festspiele.
Mein persönlicher Favorit:
„Der Schwierige“ von Hugo von Hofmannsthal, in dem Hans-Kari Bühl mit der Welt der Neuhoffs konfrontiert wird, die einen Kommunikationsstil vorführen, der ihm fremd bleiben wird.
9. Die Befristeten
von Elias Canetti
Eine originelle Idee des Elias Canetti. Die Personen der Handlung tragen keine sprechenden Namen, sondern Zahlen. Die Zahl bedeutet das Alter, das jeweils der Person vorbestimmt ist. „Zehn“ oder „Achtundachtzig“, die Mentalität und die Lebensplanung werden als unterschiedlich erfahrbar.
Ebenfalls erwähnt werden muss: „Die Komödie der Eitelkeit“ von Elias Canetti. Eine Staatstragödie, in der alle Spiegel konfisziert werden.
Die drei Dramen von Elias Canetti sind frühe Werke des Autors, „Die Komödie der Eitelkeit“ wurde 1933 vorgelegt. Später fand Canetti die verdiente Beachtung insbesondere mit seinem philosophischen Werk „Masse und Macht“ und seinen drei autobiographischen Schriften („Die gerettete Zunge“), in denen er einen interessanten Einblick in seine Begegnungen mit Autoren und Künstlern gewährte.
10. Macbeth
von William Shakespeare
Macbeth ist ein Usurpator , der mit Mordtaten den Thron besteigt. Die rechtmäßigen Erben müssen ins Ausland fliehen. Doch bereiten sie die Rückkehr vor und besiegen Macbeth, als der Wald von Birnam begann, sich zu bewegen:
„Sah ich nach Birnam, und da däuchte mir,
Als ob der Wald anfing sich zu bewegen“.
(Macbeth, 5. Akt, 7. Szene)
Zum Autor:
Bevor Johannes Schütz seinen Schwerpunkt in der Medienwissenschaft setzte, studierte er Theaterwissenschaft und Soziologie an der Universität Wien und war als Kulturjournalist und Theaterkritiker für das monatliche Kulturmagazin zyklus-report (Salzburg) tätig.