Kraftbolzen gegen Kurtisanenlist – ein Einfaltspinsel, wer an den Sieg des Muskelprotzes glaubt. Mit „Spartacus“, Gipfelwerk einer Ballett-Epoche, choreographiert von Bolschoi-Legende Yuri Grigorovich, hielt beim Bayerischen Staatsballett sowjetische Heroik Einzug – und stieß beim Premieren-Publikum auf unerwartet starken Widerhall.
Tagelang ging das gleichwohl umstrittene wie streitbare ukrainische Ballett-Wunder Sergej Polunin durch die Blätter – und enttäuscht waren nun womöglich all jene unter Münchens Ballettfans, die das 27-jährige Supertanztalent bei seinem Gastauftritt nicht als Sympathieträger erleben durften. Polunin verkörperte nicht den Titelhelden Spartacus, jenen thrakischen Sklavenanführer, der im Rom des Jahres 71 v. Chr. für Freiheit und Recht der Unterdrückten unter König Crassus sein Leben aufs Spiel setzte und am Ende lassen musste. Als tumber Crassus mit finsterem Dauer-Bösewichtblick und gezücktem Säbel blieb Polunin nur Gehabe und Gestus des lasziven Autokraten, was für extravagante Sprünge und Solo-Gänge eines Nurejew-Nachfolgers nicht allzu viel hergab.
Da hatte der dunkelhäutige Kubaner Osiel Gouneo, Zelinskys Erster Solist, als Spartacus leichtes Spiel: Gouneo tanzte feurig, passioniert, narzisstisch, ein Kraftbündel mit Testosteronüberschuss voll geballter exotischer Virilität. Sein „Requiem“ gestaltete sich zur herzzerreißend trauerschwangeren Klimax eines aufgepeitschten dreistündigen, phänomenal zündenden Handlungsballett-Abends, den Münchens tolle Staatstanztruppe brauchte, um ihren Repertoire-Akku einmal auch pathetisch-klassisch aufzuladen. Der dicke Kuss, den Gouneo (26) von Grigorovich (89) beim rauschenden Schlussapplaus auf die Backe gedruckt bekam, passte als Liebeserklärung des Erfahrenen an den Erleuchteten ins Gesamtkonzept.
Begeisterung lösten aber auch beide Frauengestalten aus: die geschmeidige Ivy Amista als Spartacus-Geliebte Phrygia – Gouneos grandios gelungene „Erhöhung“ auf einem Arm und schon ihr schmerzerfüllter „Monolog“ der 2. Szene machten die porzellanweiße Grazie aus Brasilien, die München schon als „Bayadere“ beglückte, zum bejubelten weiblichen Star des Abends. Ihr stand allerdings Natalia Osipova als vom Ehrgeiz geplagte, in ihrer Intrige gegen Spartacus grenzenlos ambitionierte Königskurtisane an Intensität in nichts nach, übertraf sie rollenadäquat mit ihren drei ausgefeilten Alleingängen noch um Armeslänge.
Igor Zelenskys noch im Auf- und Ausbau befindliches neues Münchner Ensemble bekam in der monströs-altbackenen Ausstattung von Simon Virsaladze und unter dem Dirigat des geschmackvoll agierenden Karen Durgaryan große, schöne Aufgaben: Legionärskämpfe, martialische Eroberungsfeldzüge, Gladiatoren-Aufstände, Patrizierdemonstrationen, aber auch lyrische Weichspüler-Schäfer-Szenen abseits des fast schon zu schwulstigen Prunk- und Prachtgetöses am römischen Männerdomänen-Hof. Dass Grigorovich mit Vorliebe an die Rückwand hin inszenierte, viel Altrom-Kostümierung und Sieges-Emblematik bewundern ließ und den Grund für die rasende Eifersucht Aeginas auf Phrygia leider nicht deutlich machte – Schwamm drüber. Aram Chatschaturjans teils filmisch sinnlich-duftige, teils operndramatisch aufwühlende, von bezirzenden Saxophon-, Flöten- und Oboenklängen getränkte Musik mit ihren sich einnistenden Leitmotiven war ein Hörgenuss ohne Reue – wohlgemerkt mit Novitätscharakter in einem Haus, das diesen Komponisten bisher schmählich vernachlässigte.
Weitere Aufführungen: 23., 25. und 29. Dezember, 3., 6. und 11. Januar, 4., 6. und 10. März, 8. und 10. April in verschiedenen Besetzungen der vier Hauptpartien.
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Supertanztalent Sergej Polunin tanzte bei der umjubelten Münchner „Spartacus“-Premiere den Crassus.
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