Nähert man sich Schweinfurt, dem Geburtsort Rückerts (1788 – 1866), hat man ganz vage Vorstellungen, was einem wohl erwartet. Und wenn sich dann die Portale in der Kunsthalle und im Museum Georg Schäfer – wie von His Masters Voice begleitet – öffnen, dann zeigt sich einer der größen deutschen Dichter mit einem Radius voller Dynamik unter dem Brennspiegel zeitloser Werte. Denn wie er einst 44 Sprachen mit 17 Schriftsystemen erlernte, wie z.B. Hebräisch, Türkisch, Arabisch, Russisch, Sanskrit, welche widrigen Umstände ihn nicht hinderten, ausgeliehene Bücher abzuschreiben und bei Übersetzungen im Versbau poetisch neu zu strukturieren, das alles lässt einem fassungslos, als sprachlosen Beobachter vor den ausgewählten Exponaten in den Vitrinen, zurück.
„Was soll ich lernen, wo ich sehe, daß die Lehrer selbst nichts wissen?“ So Friedrich Rückerts Kommentar zur Darstellung der Metrik einer persischen Grammatik. Rückert wollte lernen, nicht lehren. Und doch ist er als Orientalist, Zeitkritiker und vor allem als Dichter von Werken wie„Die östlichen Rosen“, „Die Weisheit des Brahmanen“ und des „Liedertagebuchs“ eine unerschöpfliche Ader für Lebensweisheiten, die aus diversen Kulturkreisen stammen und uns das Menschsein im tagtäglichen Trubel neu vermitteln. Was in über 2000 Liedern von etwas 800 Komponisten vertont wurde, darunter Gustav Mahler, Franz Schubert, Robert und Clara Schumann, Johannes Brahms und Richard Strauß, ist uns heutzutage eher aus den Liedern noch bekannt.
Rückerts Virtuosität in der Sprachgestaltung hat Johann Wolfgang von Goethe ebenso begeistert wie Thomas Mann oder den Nobelpreisträger Paul Heyse, der Rückert als sammelnden Forscher und Nachdichter würdigte, indem er die Spannung zwischen seiner Weltpoesie und Heimatverbundenheit akzentuiert, wie es im vorzüglichen Rückert Ausstellungskatalog zu lesen ist. Vincent van Gogh fand die Gedichte „ergreifend schön“ und ließ sich als Maler inspirieren und Alexander von Humboldt, der Rückerts Ankunft in Berlin sehnlichst erwartete, bezeichnete ihn als eine der seltenen Quellen „reinen Geschmacks, des Sprachsinns, des zartesten Gefühls für Schicklichkeit“. Zwei charismatische Persönlichkeiten, die sich sehr schätzten, mit dem Unterschied, daß der Forschungsreisende Humboldt die Welt aus persönlicher Anschaung kannte, während Rückert sich fast ausschließlich der Vorstellungskraft bediente.Wichtige Impulse erhielt er zwar auf Reisen nach Rom und Wien. Aber nur in Schweinfurt, Erlangen und Coburg/ Neuses war er zuhause, und da entstanden seine großen Werke.
Die Professur für orientalischen Sprachen, in Erlangen ab 1826, ermöglichte ihm König Ludwig I., der Friedrich Rückert aus der Zeit in Rom bei einem Fest der Nazarener persönlich kennenlernte. In Berlin hatte Rückert von 1841 bis 1848 eine sehr gut dotierte Stellung als Professor für Orientalistik, jeweils nur im Wintersemester, den Sommer verlebte er mit seiner Familie in seinem geliebten Frankenland, abgeschieden und naturverbunden.
In der Ausstellung, die von Schweinfurt ( 8. April bis 10. Juli 2016 ) nach Erlangen (24. Juli bis 13. November 2016)und dann nach Coburg ( 14. Januar 2017 bis 17. April 2017) wandert, kristallisieren sich biographische Höhepunkte: 1. Aufwachsen (1788 – 1811), 2. Sich finden (1812 – 1826), 3. Erfolg haben (1826-1841), 4. Scheitern? (1841 -1848), 5. Weise werden…( 1848-1866). Liebesfrühling und Vater-Sein prägten sein ganzes Leben, das mit dem Tod von Ernst und Luise, zwei seiner zehn Kinder, auf eine harte Prüfung gestellt wurde.
Während sich heute die gewünschte Literatur via Knopfdruck studieren lässt, war es für Rückert ein schwieriges Unterfangen, an Ausgangsmaterialien zu kommen. Wie intensiv er um die poetische Form seiner Übersetzungen gerungen hat, veranschaulichen nicht zuletzt die Duplette, die seine wissenschaftlichen Leistungen zeigen.
Alle poetischen Elemente, die wie in einem Teppich das immaterielle Erbe der Menschheit offenbaren, lassen eine Neubewertung Rückerts nach und nach erkennen. So haben die Auseinandersezung mit den orientalischen Kulturen, eine Einführung in die islamische Kulturgeschichte und die weitreichende Beschäftigung mit Rückerts Gedankengut sicher eine hochaktuelle Bedeutung. Sein Interesse und die Neugierde für Religionen und deren geschichtliche Dimensionen zeigen beispielhaft, wie ein interkultureller Dialog ad hoc aussehen kann. Denn Christsein und der innige Bezug zur deutschsprachigen Heimat haben die innere Weltreise erst ermöglicht. Dazu gehören auch die Mittelalterfantasien, die in der begleitenden Ausstellung „Ritter und Nazarener“ im Museum Georg Schäfer und den Radierungen zu Rückerts Werken im Museum Otto Schäfer eine kongeniale Ergänzung finden. Deshalb sind die immensen Leistungen des Teams rund um Friedrich Rückert zum Start des Jubiläumsjahres in Schweinfurt und all die langen Vorarabeiten besonders herauszustellen. Rückert war, das sei hier noch angemerkt, ein leidenschaftlicher Gärtner. Wer sät, wird ernten. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Friedrich Rückert, seine Dichtkunst und Arbeitsweise neu zu erschließen und einem breiten Publikum, auch international, zugänglich zu machen, idealerweise in 44 Sprachen.
„Daß Ihr erkennt: Weltpoesie/ Allein ist Weltversöhnung“( Friedrich Rückert, Schi-King, 1833)
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.