Der Weg der Kunst

Fernrohr, Foto: Stefan Groß

Wirklich urteilen kann nur die Partei,   als Partei aber kann sie nicht urteilen. 

Demnach gibt es in der Welt keine Urteilsmöglichkeit, sondern nur  deren Schimmer.[i]

Frank Kafka

 

Die Dicheffrierung des Schimmers

Annotation zu Hubertus Giebe

 

Er liebt das Leben und sieht den Tod.[ii]                                                                                                        

Dieter Hoffmann

 

1979

Der DDR-Kunst wird nachgesagt, sie eile gehorsam im Parteiauftrag voraus. Was der Partei nicht angenehm ist, gehöre nicht ins Repertoire. Sie bevorzuge statisch affirmative, nicht dynamisch fragende Symbole, deshalb sei ihre Aussage um eine entscheidende Dimension „flacher und ärmer“. Wechselt man den Standpunkt, lautet das Ergebnis am Beispiel Tübke umgekehrt: Seine Gestalten sind um soviel plastischer wie sie die gesellschaftliche Wahrheit „sichtbar aussparen“. Das geschieht beim großen Panormabild vor den Augen des Betrachters. Dabei erinnere ich mich an den Besuch einer Kunstausstellung in Dresden. Nämlich was mir dabei fehlt. Das Betrachten des großen Kriegstryptichons von Otto Dix evozierte erzählte Kriegserlebnisse meines Vaters und andere, vorher noch undurchsichtige Zusammenhänge, tauchten auf. Dann wende ich mich Willy Sittes großformatiger Vervielfachung eines Schwimmers zu, bei der mir dieser stille Fingerzeig ruht. Das Bild wirkt sehr realistisch, die Farbe ist sehr lebendig, aber es vermittelt dem Achtzehnjährigen nicht den „Sinn für alles wirklich Gewesene“[iii]. Die Haltung des Schwimmers scheint eher wie ausgesperrt, sie überbrückte keinen Abgrund, den die Macht gegen die Masse „aufgerissen“ hat. Dort „die tobende Vernichtung“[iv], hier die ausgesperrte Zukunft: Indessen ist der junge Betrachter auf der Suche nach den Zusammenhängen der Faktoren – wie sie mir Jahre später die Bilder des Malers Hubertus Giebe offenbaren -, und befürchtet ein paradoxes Phänomen.

 

1990

Im Jahr 1990 kehre ich, mit einem Kunstgeschichtsstudium im Rücken, in meine Mutterstadt zurück. Mit Rückkehr ist die Suche nach den Zusammenhängen keineswegs abgeschlossen. Sittes Staat ist untergegangen. Gut. Die Entschlüsselung des „Schwimmers“ aber fällt mir bereits in den frühen 1980er Jahren im gesellschaftlich höher gestaffelten Stasigefängnis wie Schuppen von den Augen. Wenn Franz Kafka sagt, „von einem wahren Gegener wachsen dir unermessliche Kräfte zu“, so sehe ich den mir zugewiesenen Vernehmer als jenen Schwimmer, der sich vor den Augen des Vernommenen verdoppelt und verdreifacht in seiner unermesslichen Macht, und doch es ist ein trauriger Anblick, denn er bleibt ausgesperrt vor den inneren Interessen seiner Partei, die sich weder nach dem Guten und Bösen richten, sondern einzig nach ihrem Erhalt. Wie weit diese aggressive Macht bereits gegangen ist dabei, zeigen die Schauprozesse der 1930er und 1950er Jahre. Einserseits müsste man dort ansetzten und nicht in „furchtbaren Wirrnissen“[v] davonkraulen, andererseits schlägt die Zeit dialektisch um sich: Wirr und zusammenhanglos stehen die Stasi-Vernehmer 1990 auf der Straße: ihre Geheimarchive offen und die Straße kennt all ihre Namen. Und die Stasi war auch mein Eckermann. Die ausführliche Inhaltangabe vorbereiteter Reportagen über Zustand und Zusammenhang eine ausgegrenzten Jugend im südlichen Vogtland füllen zwei Verhörprotolle an zwei aufeinanderfolgenen Tagen. Als ich im Sommer 1990, bei einem anderen befreundeten Maler, erstmals einen Katalog von Hubertus Giebe aufschlage, kommt alles aus dem „Orkus“ herauf, was Leben hatte, „das jetzt Leben hat“, als wäre von einmal „alles klar“ mit all den verborgenen Motiven und „was eigentlich es ist“[vi], das zur Dunkelheit bewegt. Rembrandt malte das „wie durch dunkles Glas“. Auch er liebte das Leben und sah den feigen Hund, Gevatter Hain. Bei den Neuen Meistern aber fällt es mir zum ersten Mal auf in jenem Katalog (Aufzählung aus dem Gedächtnis): „Zwei gekreuzte Männer“, „Der Widerstand“, „Die Bedrohung“, „Aufmarsch der Puppen“, „Schein & Chock“. Allesamt Bilder, „die in einen einbrechen beim ersten Blick“[vii], der Eindruck„ist intensiv“[viii] und ganz „ohne donnernden Anspruch, in Mode“[ix] zu kommen. Und gleich noch ein seltsames Wort: Ich fühlte mich entschädigt. Was das heißt, dazu schreibt Franz Kafka, „durch ein Wort, durch einen Blick, durch ein Zeichen des Vertrauens [kann] mehr erreicht werden als durch lebenslange, auszehrende Bemühungen“[x]. Durch ein Bild, durch zwei Bilder, durch drei Bilder, durch vier Bilder, durch fünf Bilder: Die Suche abgeschlossen, Ballast abgeworfen, von leichtem Gewicht, eine Tür geöffnet. Die Annäherung an geschehene Geschichte, die Dechiffreriung des „Schimmers“, geht mich als Schriftsteller ebenfalls viel an. Dabei kann ich noch immer viel von der „monolithischen“[xi] Bildwelt Giebes lernen, zum Beispiel „die nötige Entfernung“[xii] . Und die Bewunderung für sein „kraftvolles, reiches Schaffen“[xiii] nimmt immer mehr zu.

 

2016/17

Der ausgebreitete Katalog Schein & Chock aus dem Jahr 2016 wiederholt und verstärkt dannn auch den ersten Eindruck: Doppelseitig in edlem Farbdruck habe ich erneut das titelgebende Gemälde (für Walter Benjamin) vor Augen. Die mit dem mörderischen Überfall des „banalen Bösen“ in dunkler Schlucht gefangene Figurengruppe kann angesichts der heutigen – der aktuellen – gewalttätigen Bedrohungen auf der halben Welt gezeigt werden und jeder könnte die Darstellung dieses unheimlichen Seelenraubes verstehen. „Wo aber Gefahr ist, ist das Rettende auch“, wusste der in der Welt wohl berühmteste deutsche Dichter Hölderlin. Rückverknüpfungen mit geschehem Unrecht erzeugen ja ihre eigene Wirksamkeit, sie sind „nichts weniger als schwächliche Schwärmerei“ (so wie mir der „Schwimmer“ heute noch vorkommt, sorry W.S.!), sondern „Tiefe, welche sich zugleich als Kraft, als Fülle empfindet“[xiv]. Doch noch einmal Vorsicht! (um mit einem Wort meines geschätzten Kollegen Udo Scheer überzuleiten): Die „dämonischen Kräfte des Lebens“[xv], „das [ihnen] Charakteristische und Bedrohliche“[xvi], sind vom „Fleische“ dieser Welt, obwohl es doch offensichtlich von Geburt an darum geht, „daß man gern auf dieser Erde lebt“ (Reiner Kunze). Diesen Widerspruch kennt nur zu gut der Maler und Zeichner Hubertus Giebe. Seine zur „endlichen Selbsterkenntis“ gehörende „Außenkenntnis“ ist davon gespeist. Das Rettende findet er darin, „einen Ausgleich zwischen beiden Polen zu finden, also die sehr problematische Formel und die sehr mächtige Formel eines Kompromisses im Leben“[xvii]. Tatsächlich kommen Giebes Landschftasbilder ohne diese menschliche Zerissenheit aus, sie brauchen sie nicht, ihre „Zungen“ preisen die erfindungsreiche Natur und ihre perspektivreiche Schönheit trifft einen, als wären unsere Gebete erhört und der böse Strick zerissen. Das Gemälder „Sommergarten“ sah ich nach der wunderbaren Personalaustellung in der Kunstsammlung der Städtischen Galerie Dresden, wieder vorzüglich ausgleuchtet in der Berliner RAAB-Galerie. Und das Leuchten aus der Mitte des Gemäldes war so – als gäbe es nichts anderes mehr als das Erfreulichste, „das Licht“, wie Schopenhauer konstatiert. Den gleiche Eindruck verschaffen auch „Großer Garten im Mondlicht“, „Bugewitz (Oderhaff), „Wattenmeer bei Dangst“, „Stilleben mit Monstera und Kerze“. Sodann die vollendeten Portraitgemälde. Auch diesen Bildnissen wohnt ein Leuchten inne, wo „die Menschen sich [nicht] wider uns setzen“ (Psalm 124). Burghard Menzel lernte ich selbst einmal in der Herulesstraße 4 kennen. Ein hoch gebildeter Mann mit einer von Grunde auf angenehmen, ja schon inspirierenden Austrahlung. Im Bildnis ist alles glücklich erwacht. Frei nach Tucholsky: Wird sich der Traum einer glücklich erwachten Welt einmal verwirklichen?

 

Hubertus Giebe, Schein & Chock, 160 Seiten, ausgewogener Textanteil, Fotos und Farbreproduktionen, Sandstein Verlag 2016. ISBN: 978-3-95498-259-2. 28 Euro.

 

[i]    Franz Kafka, Das dritte Oktavheft, in: Das Werk, Zweitausendeins 2004: 660.

[ii]   Der Zeichner Hubertus Giebe, in: Texte zu Hubertus Giebe 1978-1994, Dresden 1995: 63.

[iii]  Thomas Mann: Rede über Deutschland und die Deutschen. Gehalten am 6. Juni 1945 in der Library Of Congress, Washington. Suhrkamp Verlag Berlin 1947: 27.

[iv]  Wilhelm Fraenger, Bosch, VEB Verlag der Kunst Dresden 1975:219.

[v]   Erasmus von Rotterdam, „Lob der Torheit“, zitiert in Mann: 25.

[vi]  Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena I, Haffmanns Verlag 1999: 483.

[vii] Eva Strittmatter, in: Texte zu Hubertus Giebe 1978-1994, Dresden 1995: 19.

[viii]       Titia Hoffmeister, ebenda: 66.

[ix]  Annita Tozzi-Wiesmann, ebenda: 39.

[x]   Frank Kafka, Das Schloß, ztitiert in:Axel Reitel, Jugendstrafvollzug in der DDR, Köster 2012: 16.

[xi]  Hubertus Giebe, Schein &Chock, Sandstein Verlag (Katalog) 2016: 62.

[xii] Hubertus Giebe: Dresden Neustadt: Zwischen Frühlingsstraße und Lutherkirche, Städtische Sammlung Freital 2013:29.

[xiii]       Gisbert Postmann, in: Sandstein:7.

[xiv]        Mann: 26.

[xv] Ebenda.

[xvi]        Mann:27.

[xvii]       Sandstein:64.

Über Axel Reitel 36 Artikel
Axel Reitel (*1961); 1982 Freikauf/Ausbürgerung; seit 1982 Hamburg, dann Westberlin; 1983 literarisches Debüt; 1985-1990 Studium (Kunstgeschichte/Philosophie); seit 1990 freischaffender Autor (u. a. Jugendstrafvollzug der DDR; Theorie vererbter Schuld); seit 2003 freier Mitarbeiter der ARD. Lebt in Berlin.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.