Man nennt sie, die der Volksmund „Bumser“ hieß, gemeinhin Aktivisten des BAS (Befreiungsauschuss Südtirol), mitunter auch Widerstandskämpfer. In den Augen von Italienern und leider auch von Antifa-Zeitgenossen sowie Italophilen, wie sie nicht selten auch in ihrer Heimat zu finden sind, waren/sind es – milde ausgedrückt – Attentäter, im politisch-korrekten italo-römischen Jargon indes Terroristen. Ich hingegen scheue mich nicht, sie so zu nennen, wie sie sich selbst sahen und von heimatbewussten deutsch-österreichischen Patrioten als solche erachtet werden – Freiheitskämpfer.
Sepp Mitterhofer, der unlängst im 90. Lebensjahr verstorbene Obstbauer vom Unterhasler-Hof in Meran-Obermais, war deren einer der letzten, die sich einst mit dem legendären BAS-Gründer Sepp Kerschbaumer, einem Greißler und Kleinbauern aus Frangart, zusammengetan hatten, um in konspirativen Klein- und Kleinstgruppen daran mitzuwirken, die Welt(öffentlichkeit) auf die vom „demokratischen“ Nachkriegsitalien in nach wie vor totalitärer Gebärde sowie partiell fortgeltender faschistischer (Un-)Gesetzlichkeit betriebene Entnationalisierung ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Rom hatte trotz der zwischen seinem Regierungschef Alcide DeGasperi und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber 1946 in Paris vereinbarten Autonomie-Übereinkunft für das seit dem (Unrechts-)Vertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 Italien zugesprochene südliche Tirol, dem die Siegermächte sowohl nach dem unglückseligen Ersten Weltkrieg, als auch nach dem verhängnisvollen zweiten Weltenbrand die Selbstbestimmung verweigert hatten, die unter Mussolini ins Werk gesetzte systematische Italianisierung des Landes zwischen Brenner und Salurn unablässig fortgeführt. Erbarmungslos ließen die Bozner Statthalter der italienischen Staatsmacht die angestammte Bevölkerung partiell unterjochen.
Die Aktivisten des BAS verlangten, worauf kein Geringerer als Sepp Mitterhofer in vielen seiner späteren öffentlichen Mahnrufe stets hinwies, nämlich die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch den in einen wesensfremden Staat gezwungenen Tiroler Volksteil. Sie wandten sich in Wort und ersichtlicher wie vernehmbarer Tat – woran es den meisten seiner Volksvertreter aufgrund realpolitischer, von Rom bestimmter Fakten und Maßnahmen zwangsläufig, zum Teil aber auch aus einer gewissen Selbstfesselung mangelte – gegen die römische Verfälschung jenes Gruber-DeGasperi-Abkommens, worin den Südtirolern die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten in Form einer statuarisch festgelegten Landesautonomie zugestanden worden war.
Hatten die BAS-Akteure zunächst noch die Hoffnung, dass sich nach der machtvollen Demonstration von 30.000 Südtirolern auf Schloss Sigmundskron 1957 und mehrmaligen Vorstößen Wiens – so der Intervention des damaligen Außenministers Bruno Kreisky vor den Vereinten Nationen zugunsten der Südtiroler 1960/61 – die starre Haltung Roms ändern könnte, so sahen sie sich alsbald getäuscht. Die Geduld wich daher zugunsten der Tat der idealistischen Kämpfer des BAS. Ihr „großer Schlag“, das Sprengen von annähernd 40 Strommasten in der sogenannten „Feuernacht“ (11. auf 12. Juni 1961) – allein Sepp Mitterhofer und seine Kleingruppe hatten deren zehn mit Zündern und Sprengstoff „geladen“ – wurde nicht nur im weiten Rund um Bozen sowie an Eisack und Etsch, sondern weit darüber hinaus gehört. Nicht zuletzt dieses Fanal der Verzweiflung gab – wider anderslautende Auffassungen, Deutungen und geschichtspolitische Interpretationen – den Anstoß für Verhandlungen der beteiligten Konfliktparteien, woraus schließlich das zwischen 1969 und 1972 staatsrechtlich inkraft gesetzte neue Autonomie-Statut hervorging, auf dessen Grundlage die heutige (gesellschafts)politische Verfasstheit Südtirols ruht.
Bis es soweit war, begleiteten zahlreiche Rückschläge den Verhandlungsprozess zwischen Wien sowie Bozen und Rom. Und die BAS-Aktivisten durchlitten ein von der italienischen Staatsgewalt legitimiertes Purgatorium, das wider die Menschenrechte verstieß und eines demokratischen Rechtsstaates gänzlich unwürdig war. Südtirol wurde in Belagerungszustand versetzt und von Sicherheitskräften förmlich überzogen, sodass mehr als 20.000 Soldaten, Carabinieri sowie Spezialisten der Geheimdienste den verhängten Ausnahmezustand zu gewährleisten und jede „feindliche Regung“ zu unterdrücken hatten. 150 Freiheitskämpfer des BAS wurden als „bombardieri“ beziehungsweise „terroristi“ inhaftiert, die meisten von Angehörigen einer Spezialeinheit gefoltert, denen Italiens Innenminister Mario Scelba die „Carta bianca“ für ihr barbarisches Tun erteilte.
Sepp Mitterhofer, der Obstbauer und Vater von vier Kindern aus Meran-Obermais, war unter den Gefolterten. In einem aus dem Gefängnis geschmuggelten, an Landeshauptmann Silvius Magnago gerichteten Brief hat er das Unfassbare geschildert, das er erleben musste. Einige Auszüge: „Im Ganzen musste ich zwei Tage und drei Nächte strammstehen ohne etwas zu Essen, Trinken und zu Schlafen. […] Mit Fußtritten wurde ich an den Füßen und am Hintern bearbeitet und auf den Zehen herumgetreten. [….] Am meisten geschlagen wurde mir ins Gesicht, dass ich so verschwollen wurde, dass ich später nicht mehr den Mund aufbrachte zum Essen. Die Arme wurden mir am Rücken hochgerissen, dass ich laut aufschrie vor Schmerz. Einmal musste ich mich halbnackt ausziehen, dann wurde ich so lange mit Fausthieben bearbeitet bis ich bewusstlos zusammenbrach. […. ] Öfters musste ich stundenlang vor brennende Scheinwerfer stehen und hineinschauen bis mir der Schweiß herunter rann und die Augen furchtbar schmerzten. Man zog mich an den Ohren und riss mir Haare büschelweiße vom Kopf. [… ] Der Rücken musste glatt an der Mauer angehen, kaum, dass ich mich rührte oder mit den Zehenspitzen etwas herausrutschte, so schlug mich ein Carabiniere der vor mir stand, mit dem Gewehrkolben auf die Zehen oder auf den Körper.“
Eine Reaktion von Seiten des Adressaten blieb aus.
Wie anderen BAS-Aktivisten wurde auch Mitterhofer in Mailand der Prozess gemacht. Das Urteil lautete auf zwölf Jahre Gefängnis. Die Verurteilten wurden auf verschiedene Haftanstalten verteilt. BAS-Gründer Kerschbaumer verstarb während des Strafvollzugs in Verona. Seine und Mitterhofers Mitstreiter Franz Höfler (aus Lana) und Anton Gostner (aus St. Andrä bei Brixen), Vater von fünf Kindern, ließen ihr Leben in unmittelbarer Folge von Folter-Torturen in Kasernen von Meran beziehungsweise Brixen und Bozen. Es erscheint mir eine denkwürdige Koinzidenz – wenn nicht eine metaphysisch-überirdische Fügung – zu sein, dass Sepp Mitterhofer just in den Stunden verstarb, da man Höflers vor 60 Jahren erlittenen Foltertods in Südtirol gedachte.
Nach sieben Jahren und elf Monaten Gefängnisaufenthalts war Mitterhofer entlassen worden. Folter und Haft hatten ihn ebensowenig brechen können wie ihn die davongetragenen gesundheitlichen Schäden und lebenslangen Beeinträchtigungen nicht verbitterten. Im Gegenteil: Er setzte sich erfolgreich für die ehemaligen politischen Häftlinge ein. Mit Beistand namhafter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens konnte dank unermüdlichen Einsatzes die Löschung der Hypotheken des italienischen Staates, welche auf dem Besitz ehemaliger politischer Häftlinge lasteten, und deren Wiedererlangung der bürgerlichen Rechte erreicht werden. Sepp Mitterhofer führte auch unerschütterlich den Kampf für Freiheit und Einheit Tirols mit politischen Mitteln weiter und übernahm den Vorsitz im Südtiroler Heimatbund (SHB), an dessen Gründung er zusammen mit anderen ehemaligen politischen Häftlingen beteiligt gewesen war.
Ziel des SHB ist „die Durchsetzung des seit 1919 verwehrten Selbstbestimmungsrechts, das die Entscheidung über die Wiedervereinigung des geteilten Tirol bis zur Salurner Klause zum Gegenstand hat. Die angestrebte Wiedervereinigung soll entweder durch einen einzigen Volksentscheid oder durch schrittweisen Vollzug verwirklicht werden.“ Der „politische Arm“ des SHB, die oppositionelle Bewegung SÜD-TIROLER FREIHEIT, deren Mitgründer er war, vertritt dieses Ziel im Südtiroler Landtag und in allen öffentlichen Auftritten gemäß Sepp Mitterhofers Credo, wonach „Süd-Tirol nicht Italien“ ist und dass allein das ursprüngliche Ziel „Los von Rom“ das 1919 gesetzte historische Unrecht auslöschen könne.
Diesem großen Sohn Tirols ist weder von den Institutionen der beiden Landesteile in Bozen und Innsbruck, noch von denen Österreichs, dessen politische Repräsentanten in Sonntagsreden Südtirol stets „eine Herzensangelegenheit“ nennen, jemals eine formelle Würdigung für seinen heimattreuen Lebenseinsatz zuteil geworden. Auch blieb ihm – aus politischer Rückgratlosigkeit und weil das meist „ausgezeichnet“ genannte österreichisch-italienische Verhältnis nicht getrübt werden sollte – ein offizieller Ehrerweis versagt. Dies nenne ich eine erbärmliche Schande. REINHARD OLT