Aber abseits, wer ist's?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen,
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.
Willi Winklers Idee einer „Winterwanderung“ durch Deutschland ist so neu nicht. Mit seinem hymnischen Gedicht „Harzreise im Winter“, dem die obigen Zeilen entnommen wurden, bezieht sich z. B. auch unser Dichterfürst J. W. Goethe auf einen derartig unternommenen „Ritt“ durch den Harz und die Besteigung des verschneiten Brocken im Dezember 1777. Literarisch verarbeitet er vor allem in der Schilderung frostiger und lebloser Landschaften eine (wie auch immer geartete) krisenhafte Situation und melancholisch-weltschmerzliche Stimmung. Und ein klein wenig kann man dies auch zwischen den Zeilen des ehemaligen „Spiegel“-Kulturchefs lesen, obwohl Winklers Ausgangssituation eine völlig andere Ursache zugrunde liegt.
„Am Anfang stand ein Gelübde, leichtsinnig abgelegt vor fast zwanzig Jahren. Wenn, so der fromme Wunsch, wenn die FDP doch endlich aus dem Bundestag fliegen würde, dann würde ich zum Dank eine Fußwallfahrt zur Schwarzen Madonna von Altötting unternehmen.“
Das Unmögliche passierte im September 2013 und Willi Winkler macht sich umgehend daran, sein Versprechen einzulösen und die knapp siebenhundert Kilometer vom östlichen Rand Hamburgs in den Süden Deutschlands auf Schusters Rappen zu bewältigen. Was er auf seinem Ritt über öde Bundestraßen, weiche Nebenwege oder struppige Pfade von Lüneburg, Halberstadt, Jena, Hof oder Oberviechtach erlebt, kann der Leser auf knapp 170 Seiten in seinen zuweilen recht eigenwilligen Betrachtungen noch einmal nachverfolgen.
Vorgewarnt sei man allerdings. Denn in den Ausführungen des Autors darf man keineswegs eine idyllische Landschaftsbeschreibung durch tiefverschneite, romantische Wälder, raureifbehangene Zweige und weißgezuckerte Märchenlandschaften erwarten. Sein Schreibstil kommt eher einer bissig-sarkastischen, zuweilen ein wenig boshaften und auch schadenfrohen Momentaufnahme gleich (vor allem wenn es um den Anlass und die Partei mit dem gelb-blauen Farbeinschlüssen geht). Doch immer dann, wenn ihn die mitunter vorgefundene Öde zu verschlingen trachtet, würzt er das Ganze mit einer Prise Humor, witzigen Einwürfen und Betrachtungen. Erfrischend anders und mit einer gewissen Portion Schalk im Nacken würde ich Winklers Schreibstil bezeichnen.
…“geht man doch monadisch durch sie, durch diese Welt, mit der man zunehmend weniger zu tun hat.“
Dass Deutschland im Winter nicht mit blühenden Landschaften aufwartet, darauf muss man sich gefasst machen. Hinzu kommen geschwollene Knöchel, Stützstrümpfe, immer wiederkehrende, trostlose Gewerbegebiete am Wegesrand, boshafte Autofahrer, „extra furchtbares“ Essen oder wie ausgestorbenen wirkende Ortschaften. Doch Winkler mutiert erfolgreich zum „eisenharten Asphaltier“ und kramt aus seiner Gedächtnistasche immer wieder interessante geschichtliche Fakten und Bonmots der jeweiligen Gegend.
Fazit: Willi Winklers fünfunddreißigtägige und 855 Kilometer zurückgelegte Strecke im Winter 2013/14 entpuppt sich letztendlich als sarkastisch-ironisches Memento, das ziemlich treffgenau unserem Land einen Spiegel vorhält. „Atheistischen Zonis“, erzkatholischen Trachtenjodlern, streberhaft bellenden Kötern oder dem dumpfen Dröhnen diverser Autobahnen und Schnellstraßen stellt der Autor zuweilen weltverlassene Landstriche gegenüber, die Traumbildern gleichen, in denen „avaloneske Nebel“ aufsteigen.
Und was passt jetzt nicht vortrefflicher als der Beginn von Goethes „Harzreise“:
Dem Geier gleich,
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittich ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe mein Lied.
Willi Winkler
Deutschland, eine Winterreise
Rowohlt Berlin (Oktober 2014)
171 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3871347965
ISBN-13: 978-3871347962
Preis: 18,95 EUR
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