Der Traum vom perfekten Menschen – Zwischen Machbarkeit und seinen Grenzen

Interview zur ästhetischen Chirurgie in der Universitätsklinik Jena mit Prof. Dr. Dr. Schultze-Mosgau.

Ca. 300 000 Schönheitsoperationen werden in Deutschland jährlich vorgenommen – Tendenz stark steigend. Der Hauptteil der sogenannten freiwilligen Patienten sind Frauen, nur jeder 5. Mann legt sich freiwillig unters Messer. Trotzdem steht eine Vielzahl der Menschen dem Thema noch sehr kritisch gegenüber und Maßnahmen wie Gesichtsstraffung und Faltenbehandlungen werden von der Umwelt nicht immer wohlwollend verbucht. Sie sind Klinikdirektor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Jena. Sind Schönheitsoparationen auch ein Thema an Ihrer Klinik? Können Sie uns Zahlen nennen? Kann man sich einem solchen Trend überhaupt verweigern?

Ja, die ästhetische Chirurgie ist einer der Schwerpunkte in unserer Klinik. Man kann eine trendmäßige Zunahme der Anzahl an ästhetisch chirurgischen Eingriffen über die letzten fünf Jahre hin verzeichnen. Im Kontext des Anti-Aging und des Wellness- trendes zeigt sich auch für die unterschiedlichen Eingriffe im Bereich der ästhetischen Chirurgie eine kontinuierliche Zunahme.

Welches ist der häufigste Eingriff? Laut Statistik stehen Fettabsaugungen an Platz eins, gefolgt von Brustoperationen und Nasenkorrekturen. Gehört letzteres in Ihrem Fachgebiet zu den täglichen Routineeingriffen?

Fettabsaugungen und Brustoperationen stehen bei uns nicht an den vorderen Stellen. Zumeist werden, um den Alterserscheinungen einer Hauterschlaffung entgegen zu wirken, Korrekturen im Bereich der Oberlider oder der gesamten Gesichtshaut nachgefragt, so dass das Lidlifting und das Facelift gefolgt von Nasenkorrekturen oder anderen ästhetischen Korrekturen im Bereich des Gesichtes von der Häufigkeit noch vor Fettabsaugungen oder Eingriffen an der Brust stehen. Diese Eingriffe führen wir regelhaft durch.

Handelt es sich um einen rein ästhetischen Eingriff, übernehmen die Krankenkassen soweit ich weiß, keine Kosten. Nur wenn der Körper stark von der Norm abweicht oder z.B. sehr große Brüste Rückenschmerzen verursachen, ein stark verändertes Gesicht nach einem Unfall Depressionen auslöst. Wie verhält es sich an Ihrer Klinik bezüglich der Kosten? Vielerorts wird ja auch mit Ratenzahlung geworben, so daß eine breitere Masse bedient werden kann!

Bezüglich der Kostensicherung ist festzustellen, dass Eingriffe aus einer rein ästhetischen Indikation in der Regel nicht zu den Vertragsleistungen der Versicherungsträger gehören und somit, da sie außervertraglich sind, von den Patienten selbst zu tragen sind. Dies betrifft in der Regel rein ästhetisch plastische Eingriffe. Hingegen werden bei plastisch rekonstruktiven Eingriffen, bei denen eine angeborene oder erworbene Formveränderung mit Krankheitswert vorliegt, in der Regel die Kosten von den Versicherungsträgern übernommen. Dies ist im Einzelfall abzuklären. Da es sich in der Regel um planbare Eingriffe handelt, die zeitlich nicht gebunden sind, spielt bei unseren Patienten eine Ratenzahlung keine Rolle.

Wichtig für den Erfolg ist sicher die richtige Wahl des Arztes. Häufig sind „Schönheitschirurgen“ gar keineplastischen Chirurgen. Inwieweit sind Fachqualifikationen erforderlich?

Sie adressieren das Thema der Qualitätssicherung bei ästhetisch chirurgischen Eingriffen. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen sind ausgebildet für plastisch ästhetische Eingriffe im Gesichtsbereich. Ebenfalls sind durch die Zusatzbezeichnung „Plastisch ästhetische Operationen“ die anderen Eingriffe abgedeckt, so dass eine entsprechende Expertise für plastisch ästhetische und plastisch rekonstruktive Eingriffe vorliegt.

Die Erfolge der ästhetischen Chirurgie sind groß und diese Begeisterung verdrängt häufig, daß SchönheitsoperationenRisiken bergen! Prof. Hans-Ulrich Steinau, ärztlicher Direktor der Klinik für plastische Chirurgie der Uniklinik Bochum, hat sogar eine Studie gestartet, die sich mit dramatischen und unerwünschten Operationsfolgen beschäftigt. Über welche unerwünschte Nebenwirkungen klären Sie auf und wie häufig treten diese tatsächlich in Erscheinung?

Die Aufklärung über mögliche Komplikationen hat bei ästhetisch chirurgischen Eingriffen einen besonderen Stellenwert. In der Regel verfahren wir so, dass nach einer Erstvorstellung der Patienten individuell die Wünsche des Patienten besprochen werden und nach Erhebung eines Befundes ein für den Patienten individuell abgestimmtes Therapiekonzept festgelegt wird, was ebenfalls gfls. Begleiterkrankungen oder anderen Veränderungen des Patienten Rechnung trägt. In weiteren Vorstellungsterminen wird die Operation erklärt und eine Risiko- sowie Alternativaufklärung durchgeführt. Hierbei werden neben den üblichen chirurgischen Komplikationsmöglichkeiten wie Nachblutung und Entzündung auch individuelle Risiken und Komplikationen des Eingriffes besprochen. Hiernach hat der Patient eine weitere Bedenkzeit, gfls. wird ein weiteres Aufklärungsgespräch durchgeführt, bevor dann ein Termin für den Eingriff vereinbart wird.

Für einen ästhetisch-chirurgischen Eingriff gibt es – so die Definition -keine medizinische Notwendigkeit. Ausschlaggebend ist allein der Wunsch des Patienten. Gäbe es auch Operationen, die Sie aus ethischen Gründen ablehnen würden? Gerade in den USA scheinen ja den Wünschen der freiwilligen Patienten keine Grenzen gesetzt zu sein, ganz nach dem Motto Hauptsache schön ….

Ja, ästhetische chirurgische Eingriffe dienen der Verbesserung der Lebensqualität und es liegt in der Verantwortung des Arztes, dies bei einem empathischen Arzt-Patientenverhältnis mit dem Patienten ausführlich zu besprechen und in Abwägung und Aufklärung über die Risiken eine Entscheidung mit dem Patienten zusammen zu finden. Trotzdem gibt es immer wieder Situationen, in denen wir einen Eingriff ablehnen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Erwartungen des Patienten sowie seine subjektive Eigenwahrnehmung sich zu weit von einer klinisch-operativen Realisierbarkeit entfernen oder das zu erwartende Ergebnis bei der subjektiven Erwartung des Patienten das Operationsrisiko nicht rechtfertigt. In diesem Falle haben wir als Chirurgen die Verantwortung, dies dem Patienten mitzuteilen.

Das Kreiskrankenhaus in Starnberg bei München wirbt mit der Atmosphäre eines 5 Sterne Hotels? Was kann Ihre Klinik den selbstzahlenden Kunden/innen während des Krankenhausaufenthaltes an Annehmlichkeiten bieten? Wie lange ist im Durchschnitt der stationäre Teil der Behandlung?

Das UKJ sowie die Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie/Plastische Chirurgie gehört zu einem der modernst ausgestatteten Universitätskliniken in Deutschland. Neben Einzelbettzimmern mit Internetanschluss und Kabelfernsehen werden weitere Annehmlichkeiten wie Essen nach Menükarte vorgehalten. Die durchschnittliche stationäre Verweildauer kann pauschal nicht festgelegt werden, da in der Regel für unterschiedliche Eingriffe unterschiedliche Verweildauern existieren. In Einzelfällen werden auch in Absprache mit dem Patienten und bei entsprechend engmaschigen Nachsorgeterminen sehr kurze stationäre Verweildauern gewählt.

Sie sind ja in erster Linie ärztlicher Direktor der konventionellen Mund-, Kiefer und Gesichtschirugie und beispielsweise spezialisiert auf die operative Therapie kraniofazialer Fehlbildungen wie Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten oder Kieferfehlstellungen / Dysgnathien. In wieweit kommt Ihrem Zentrum hier ein überregionaler Stellenwert zu?

Die Behandlung von angeborenen Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten oder kraniofazialen Fehlbildungen ebenso wie Kieferfehlstellungen und Dysgnathien ist tatsächlich ein überregionaler Schwerpunkt unserer Klinik. Dies zeigt sich u. a. an der Tatsache, dass in unserer Klinik ein universitäres Lippen-Kiefer-Gaumen-Spaltzentrum etabliert ist, bei dem interdisziplinär Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten betreut werden. In diesem Zentrum behandeln wir Patienten nicht nur aus der Thüringer Region, sondern auch aus den angrenzenden Regionen der benachbarten Bundesländer. Wir führen im Jahr eine Vielzahl an primären und sekundären Eingriffen bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten oder angeborenen Fehlbildungen bis hin zu komplexen Fehlbildungenssyndromen durch. Auch im Bereich der skelettalen Fehlbildungschirurgie führen wir die hohe Anzahl von 140 Umstellungsosteotomien pro Jahr durch.
Zusammenfassend kann man daher mit Recht sagen, dass die Behandlung von angeborenen Fehlbildungen und Dysgnathien zu den Schwerpunkten unserer Tätigkeit gehört.

Laut Ihrer Homepage betreuen Sie jährlich ca. 1400 Patienten. Siegarantieren Ihnen eine speziell auf Sie zugeschnittene Behandlung und professionelle Rahmenbedingungen auf dem Standard einer Universitätsklinik. Die Hälfte Ihres Angebotes beläuft sich auf plastische, ästhetische Eingriffe. Können Sie uns sagen, ob es sich die Hälfe der Patienten auch solchen Operationen unterziehen?

Auf der Homepage haben wir das Spektrum plastisch ästhetische Eingriffe sowie die Behandlung von medizinisch indizierten Eingriffen bei Erkrankungen unseres Fachgebietes. Das dargestellte Angebot an plastisch ästhetischen Eingriffen führen wir natürlich auch regelhaft durch. Darüber hinaus sind wir als Grund- und Regelversorger sowie Maximalversorger als Universitätsklinik natürlich an der traumatologischen Behandlung von mehrfach verletzten Patienten sowie der Behandlung von Tumorpatienten mit bösartigen Erkrankungen im Kopf-/Halsbereich maßgeblich beteiligt. Das Spektrum der plastischen Chirurgie umfasst sowohl plastisch ästhetische Eingriffe als auch plastisch rekonstruktive Eingriffe an den Weichgeweben und den Knochenstrukturen, so dass eine strikte Trennung nicht immer vorgenommen werden kann.

Momentan herrscht in vielen Fachbereichen ein starker Nachwuchsmangel an engagierten Ärzten. Wie sieht es bei Ihnen an der Klinik aus? Bedeutet Mund-, Kiefer- und Gesichtschirugie immer die Bereitschaft auch plastisch-ästhetisch tätig sein zu wollen?
In unserer Klinik haben wir keinen Nachwuchsmangel, im Gegenteil, wir haben eine höhere Nachfrage als zur Verfügung stehende Ausbildungsstellen. Für die Facharztausbildung zum Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und zur Erlangung der Zusatzbezeichnung „Plastisch Ästhetische Operationen“ gehört natürlich, entsprechend der Weiterbildungsordnung, auch die Notwendigkeit und Bereitschaft, sich plastisch ästhetisch chirurgisch zu engagieren. Die Tätigkeit eines Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, auch in der Grund und Regelversorgung, ebenso wie in der Maximalversorgung, ist immer mit einem hohen Anteil an ästhetischer Komponente verbunden.

Die Nachsorge und Rekonvaleszenz der operierten Patienten obliegt dem Pflegepersonal und dessen Qualität spielt demnach eine große Rolle und ist mitverantwortlich für eine gute Reputation. Inwieweit herrscht Pflegenotstand in Ihrem Fachbereich? Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen Pflegepersonal und Ärzten auf Ihren Stationen?

Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegepersonal ist für eine qualitätssichernde und optimale Patientenbehandlung von besonderer Bedeutung und hat einen hohen Stellenwert. Um im Sinne der Patienten die optimale Versorgung zu gewährleisten, werden die Visiten und Besprechungen gemeinsam bei uns in der Klinik durchgeführt. Auf diese Weise wird ein optimaler Informationsfluss, der für eine reibungslose Zusammenarbeit Voraussetzung ist, sichergestellt. Alle Planstellen der Pflege auf unserer Station sind besetzt, so dass ich einen Pflegenotstand durch nicht zu besetzende Stellen im Bereich der Pflege nicht sehen kann.

Gestatten Sie uns noch eine letzte Frage: Inwiefern spielt das eigene ästhetische Empfinden und der eigene Anspruch an ein gepflegtes Äußeres eine Rolle, um Ihren Beruf erfolgreich ausüben zu können?

Ich denke, eine Gepflegtheit und Sensibilität für Ästhetik spielt generell in der Medizin eine Rolle. Sie haben aber recht, ich denke gerade in unserem Fachbereich mit einem hohen Anteil an Gesichtschirurgie, ist ein Empfinden für Symmetrie und Ästhetik kein Nachteil. Ich denke, wir alle versuchen diesem Anspruch täglich gerecht zu werden.

Das Gespräch führte Dörte Fehling
Vielen Dank für das Interview!
Jena, den 25.1.09

Finanzen

Über Schultze-Mosgau Stefan 1 Artikel
Prof. Dr. Dr. Stefan Schultze-Mosgau ist seit 2005 Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Chirurgie der Friedrich-Schiller Universität Jena. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Award Best Paper 2000 im Int J Oral Maxillofac Surg und den Deutschen Millerpreis 2002.

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