Der tanzende Schwan Der neue Erler „Parsifal“

Der neue Erler Parsifal, Foto: Hans Gaertner

„Ostern in Erl“ – das ist zweierlei: Bachs „Matthäuspassion“, gerahmt von Wagners „Parsifal“. Gerahmt und kontrastiert. Hier Johann Sebastians Christus-Leid, dort Richards Amfortas-Harm. Schmerzensmänner sind sie beide, der König der Menschheit und der König eines Männervereins. Nicht jedermanns Sache sowohl der eine als auch der andere. Für den „Parsifal“ am Gründonnerstag, Beginn 17 Uhr, füllte sich das Winter-Festspielhaus nicht ganz – ein Drittel blieb leer. Ins Passionsspielhaus, wo Maestro Kuhn sonst seinen Wagner zelebriert, konnte man, wegen der nur frühlingshaften Temperaturen, mit Richard Wagners Bühnenweihfestspiel nicht ziehen – was eine neue Erler Erfahrung generierte: den verdeckten Orchestergraben.

„Wilder Kaiser statt Grüner Hügel“ – so warb der Tiroler Festspiel-Gründer und Künstlerische Leiter Gustav Kuhn für sein bravouröses Unternehmen an der bayerischen Grenze im Vorjahr, als er das Zwanzigjährige feierte. Sein „Grüner Hügel“ schaut anders aus als der von Bayreuth. Das beginnt bei so Wesentlichem wie dem unsichtbaren, dafür aber nicht eben „verdeckt“ klingenden, herrlichen Orchester der Tiroler Festspiele Erl – manches kam zu direkt, zu manifest, zu wenig „mythisch“, das meiste aber meisterhaft aus Kuhns Unterbau – und das endet bei einem szenischen Raffinement, das es wohl nur in Erl, genau: in Erl 2018, gibt: Des tumben Tors im Fluge tödlich getroffener Schwan ist eine grazile blonde Tänzerin, die aus Tschaikowskys Ballett entsprungen sein könnte. Katharina Glas trippelte fabelhaft und war als Überbringerin des Speers ebenso im Einsatz wie als Parsifals Gehilfin im 3. Akt, wo der zu Amfortas` Nachfolger bestimmte „Erlöser“ gottlob nicht wie üblich im Harnisch daherkommen muss, sondern im schicken blauen Anzug bleiben darf.

Schick – das trifft auf die angenehmen Kostüme von Karin Waltenberger wie auf Peter Hans Felzmanns Ausstattung der breiten Bühne zu: helles schweres Designer-Mobiliar, langer Mitteltisch, der sich, aufgeklappt, als Grals-„Hüter“ erweist, wenn sich zu den lichten segelartigen Dreiecken bei der Eröffnung des heiligen Gefäßes zwei schwarze Deko-Teile vor die mal grünlich, mal bläulich, mal rötlich ausgeleuchtete offene Landschaft schieben. Meistens versinkt alles in nächtlichem Dunkel, Klingsors Garten (erregt auf der Leiter: Michael Kupfer-Radecky) bleibt nur angedeutet, die präsente, klang-füllige Chorakademie ist nur schemenhaft zu sehen – ein geheimnisvolles Ambiente. Hier wird gemessenen Schritts gegangen, alles in Gelassenheit erledigt, selbst der an seiner klaffenden Sünden-Wunde laborierende Amfortas beherrscht sich in Ausdruck und Dulder-Gebaren.

Den König singt Thomas Gazheli mit überstarkem, anrührendem Aplomb, aus der Ferne röhrt Donald Thomson als sein Vater Titurel. Pavel Kudinov als Gurnemanz zu erleben ist ein Privileg: sympathisch im coolen väterlichen Habitus, mit einem Erzähl-Bass von Gottes Gnaden. Das zentrale Paar: eine Idealbesetzung mit dem jungenhaften, fein austarierenden Ferdinand von Bothmer als Titelheld und der bildhaft schönen Kundry-Neuentdeckung Nicola Beller Carbone. Ihr weicher, vollrunder Sopran müht sich weder in der „Lach“-Höhe noch in der „Dienen, dienen“-Tiefe. Den Blumenmädchen einen ganzen Strauß weißer Glückwunsch-Rosen! Sie dürften zu den in ihrer Glanz-Szene im 2. Akt vom Himmel baumelnden roten Pfaffenhütchen gut passen. Ach ja, und die Erler Kinder – wieder mal, mit Brotkörbchen oder brennenden Kerzen, ein Extra-Hingucker dieser Neuproduktion.

Nur eine zweite (angeblich restlos ausverkaufte) „Parsifal“-Aufführung am Karsamstag? Schade. Diese insgesamt ruhige, musikalisch beachtliche Neu-Inszenierung hat eine lange Überlebens-Chance – jede Partie, selbst die der Gralsritter und Knappen, wurde vorsorglich schon mal doppelt besetzt. Gustav Kuhn ist ein Meister – in der Musikalischen und Szenischen Leitung wie im Management.

Foto: Hans Gärtner

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.