Das Kunstmuseum des Erzbistums Köln legt eine kreative Denkpause ein. Es gibt dieses Jahr keine neu gestaltete Jahresausstellung. Der von den Verantwortlichen in „Kolumba“ mitunter plakativ vorgetragene Anspruch, jedes Jahr nach einer mehrwöchigen Schließzeit die Ausstellung mit Objekten aus dem eignen Bestand für ein Jahr thematisch in neuem Gewand zu präsentieren, wird nicht erfüllt. Dies mag für manche Besucher aus dem in zehn Jahren gewachsenen Stammpublikum überraschend, vielleicht sogar enttäuschend sein. Doch Stefan Kraus, Direktor des Hauses, stellt lapidar fest: „Dieser Kosmos hat es verdient, noch ein weiteres Jahr gezeigt zu werden.“
In der Tat ist es ein weiter Kosmos, der sich da von Gefäßen und Urnen aus römischer Zeit über mittelalterliche Andachtsbücher und Kruzifixe bis in die Gegenwart mit abstrakten Malereien und Videoarbeiten seit einem Jahr ausbreitet. Nicht alles lässt sich so leicht rezipieren in dieser Welt mit den geschickt zusammengestellten archäologischen Funden und kunstvoll gestalteten Alltagsobjekten einerseits und den künstlerischen Werken andererseits. Doch nicht zuletzt das Publikumsinteresse an den mitunter als gewagt, vielleicht sogar verstörend empfundenen Dialogbeziehungen zwischen den Objekten so unterschiedlicher Provenienz ist ein weiteres Argument für die Verlängerung dieses ästhetischen Crossovers. Hinter allem Ausgestelltem und perspektivisch Hergestelltem stehen gelebte und lebendige Traditionen, Alltägliches, gesellschaftliche Konventionen, religiöse Handlungen und tief empfundener Glaube, „facettenreiche und sehr bunte Geschichten“, so der Direktor des Römisch-Germanischen Museums, Marcus Trier. Zeitlos schöne Objekte von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart haben die Kuratoren von „Kolumba“ sowie des RGM im Bestand des jeweiligen Hauses identifiziert, um sie als kulturelles Erbe aus heidnischer und christlicher Zeit zusammen auszustellen, mehr noch: fast spielerisch miteinander zu präsentieren und in Beziehung zu setzen.
So erhält formal jeder Schritt der „Pas de deux“ (Tanz zu zweit) betitelten Ausstellung sein eigenes Jahr. Insbesondere ist es aber der inhaltliche Ansatz, der die Weiterführung um ein weiteres Jahr rechtfertigt. Es sind die interdisziplinären kulturhistorischen Perspektiven, die den Besuchern beim Gang durch die Schau eröffnet werden oder einfach vom jeweiligen Besucher ganz individuell entdeckt werden wollen.
Gleichwohl wurden kleine Kontextverschiebungen vorgenommen. Da ist beispielsweise die aufgeschlagene Seite mit der die Darstellung von Jesus vor Pilatus in dem neu ausgelegten ziselierten Stundenbuch des Goldranken-Meisters aus dem 15. Jahrhundert. Es korrespondiert mit drei römischen Gläsern aus dem dritten Jahrhundert, die den berühmten Kölner Schnörkel, einen virtuos aufgetragenen farbigen Glasfaden auf der Oberfläche, tragen. Da ist etwa die Sonderausstellung „Bewegliche Mythen“, die die Arbeit des Ethnologen und Filmemachers Michael Oppitz thematisiert und als Schau in der Schau einen vor allem geografisch erweiterten Blick über den Tellerrand des römisch-germanischen Kolumba wirft. Da ist etwa im größten Ausstellungsraum das weit ausladende Podest mit römischen Töpferwaren und alltäglichem Geschirr durch weitere Exponate behutsam erweitert worden – ein Blick auf die Serienproduktion bewährter Formen über Jahrtausende hinweg. An der langen grauen Wand hinter diesem Kaleidoskop scheint ein elfenbeinernes Kruzifix eindrucksvoll zu schweben. Einzigartig ist diese Arbeit aus dem zwölften Jahrhundert, noch einzigartiger aber ist die zeitlose Botschaft des Kreuzes, das als Gegenstand in den zurückliegenden Jahrhunderten freilich auch seriell und massenhaft gefertigt worden ist.
Äußerer Anlass der vor drei Jahren aufgenommenen Kooperation der beiden Museen, die gemeinsam auch das riesige Ausgrabungsareal „Archäologische Zone“ in der Kölner Innenstadt verantworten, war die aufgrund von Renovierungen anstehende mehrjährige Schließung des RGM ab Ende dieses Jahres an seinem bekannten Standort neben dem Dom. Ein schöner Zug war in diesem Zusammenhang denn auch die im Römisch-Germanischen Museum platzierte Eröffnungsveranstaltung für die Verlängerung der Jahresausstellung.
Darüber hinaus senden Kraus und sein Team vom „Museum der Nachdenklichkeit“, das sich immer wieder mal gegen Trends verhalten hat, noch eine weitere klare Botschaft aus: Entschleunigung, Innehalten, Durchatmen. So wie das mittlerweile ungesunde Motto des „Schneller, Höher, Stärker“ den olympischen Sport unterminiert, droht sich landesweit ein oftmals immer rascher um sich selbst kreisender Museumsbetrieb auszuhöhlen. Noch spektakulärere noch einzigartigere Ausstellungen in noch außergewöhnlicheren Räumlichkeiten heischen um die Aufmerksamkeit und Resonanz in Medien und beim kulturinteressierten Publikum. Das römisch-germanische Kolumba geht ein weiteres Jahr einen anderen Weg: Es produziert kein neues Thema oder gar Ereignis, sondern konzentriert sich, auch zur Entlastung des eigenen Personals, auf die Grundlagen der alltäglich anfallenden Museums- und Hintergrundarbeit und rekurriert auf die klassische Dreiteilung musealen Arbeitens: Sammeln, Erforschen, Vermitteln.
Weil das Museum dies gleichsam wie in einem Speicher aufnimmt und diesen dann durch seriöse und kreative Ausstellungen aufschließt, „erfüllt Museumsarbeit ihren Bildungsauftrag und kann zum fruchtbaren Kitt einer auseinanderdriftenden Gesellschaft werden“, betont Stefan Kraus. In diesem Sinne wird der Verzicht darauf, sich trotz genügend Themen und Ideen anders zu erfinden, für Museumsmacher wie für Besucher eine herausfordernde Erfahrung. Auch dadurch kann der Umgang mit dem Vorhandenen oder Bekannten, aber auch der mit der eigenen Glaubwürdigkeit neu befragt werden.
Bis 19. August 2019, täglich außer dienstags, 12 bis 17 Uhr.
Fotos
– Stundenbuch (15. Jh.) mit Darstellung „Christus vor Pilatus“ sowie drei römische Gläser (3. Jh.)
– „Christus in der Rast“, (um 1480), „Red Painting“ (2000) von Joseph Marioni sowie drei Graburnen (1. Jh.)