Deutschland hat eine neue soziale Frage. Inflation und absehbar steigende Kosten für Energie und Heizen verunsichern die Breite Mitte der Gesellschaft. Die Bundesregierung zeigt indes keine Lösungen auf, sondern verschärft mit ihrer Politik die Situation. Sie schafft neue Armutsrisiken und nimmt Abstand von ihren staatlichen Fürsorgepflichten. Schulden sollen die Wohlfahrt finanzieren. Solidarität, Hilfe zur Selbsthilfe und der Fokus auf den Einzelnen in unserer Gesellschaft werden als überkommen abgetan und ersetzt durch Umverteilung, Belastung und Bevormundung. Wir stehen vor der grundsätzlichen Frage nach der Zukunft der sozialen Marktwirtschaft. Diese kann und darf nur so beantwortet werden: Wir brauchen eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft mit ihren grundlegenden Prinzipien.
Unser Land braucht in krisenhaften Zeiten Sicherheit und Orientierung. Gerade der gesellschaftliche Zusammenhalt, das Vertrauen in den Staat und sein Handeln wurden durch die Pandemie und werden heute durch den russischen Angriffskrieg herausgefordert. Spaltung, Überforderung, Einmischung und Überfrachtung der Menschen mit immer kleinteiligerer Regulierung stärken nicht die Demokratie. Sie stärken nur die politischen Extreme.
Deutschland hat eine starke Wirtschaft mit einer wettbewerbsfähigen und innovativen Industrie und einem hervorragend aufgestellten Mittelstand, die gut bezahlte Arbeitsplätze anbieten. Die Beschäftigung in Deutschland ist hoch. Diese Situation ist durch die Politik der Ampelkoalition unter Druck geraten. Der Produktionsstandort Deutschland ist durch schleichende Deindustrialisierung, hohe Energiepreise und Wirtschafts- und Steuerpolitik ohne Augenmaß in Gefahr. Geboten sind Verlässlichkeit, planbar-klare real-politische Maßnahmen. Bürgergeld, Sanierungszwang, Heizungsmonopol und unsichere Energieversorgung sind all den Grundsätzen fremd, die unser Land im Herzen Europas und an der Seite unserer internationalen Partner stark und verlässlich gemacht haben.
Eine starke Sozialpolitik ist eine der Triebfedern der Marktwirtschaft und des wirtschaftlichen Erfolgs. Als Arbeitnehmer-Union haben wir bereits in der Vergangenheit unsere Vision unterstrichen und am heutigen Tag der Arbeit möchten wir angesichts der Dringlichkeit und des offenen Zeitfensterns zu entschlossenem Handeln aufrufen.
Der Tag der Arbeit ist kein Gedenktag für die deutsche Arbeits- und Sozialpolitik, er ist ein kraftvoller Aktionstag für die Zukunft guter Arbeit in Deutschland!
In kaum einem anderen Land wird Arbeit so hoch besteuert wie in Deutschland. Wenn Leistung sich am Ende des Monats lohnen soll, dann müssen wir die Steuer- und Abgabenlast gerade für kleine und mittlere Einkommen senken. Hier machen nicht so sehr die Steuern, sondern Sozialabgaben den größeren Teil aus. Zusätzliche Freibeträge in der Sozialversicherung wären ein Instrument zur Entlastung geringer Einkommen. Wir brauchen zudem weitere steuerliche Entlastung beim Faktor Arbeit. Zudem darf nicht vergessen werden, dass in Zeiten hoher Inflation die kalte Progression nicht aus den Augen verloren wird. Wir brauchen auch eine Verbesserung der Situation für Alleinerziehende und eine Reform der Steuerklassen. Es muss insgesamt gelten: Wer arbeitet, muss mehr haben, als jemand, der nicht arbeitet.
Erfüllt der Staat hier ein Entlastungsversprechen, müssen auch andere Instrumente nachjustiert werden. Mehr Netto vom Brutto ist nicht allein eine Frage der Belastungen, es ist insbesondere auch eine Frage der geltenden Lohnhöhen. Wir müssen noch stärker und noch gezielter die Tarifstrukturen in unserem Land stärken. Die Sozialpartnerschaft ist ein besonderes Modell, das sich bewährt hat und das für gute und faire Löhne sorgt. Rufe nach einem politisch erhöhten Mindestlohn sind lediglich ein Ausweis dafür, dass die Tarifabdeckung noch nicht weit genug gediehen ist. Hier muss der politische Fokus liegen. Der Mindestlohn selbst ist ein wichtiges Instrument der Absicherung geringer Einkommen. Dennoch darf er kein politischer Spielball werden. Für Deutschland muss gelten: Ein starker Tariflohn ist die Grundlage guter Entlohnung.
Mit einer zeitgemäßen Entlohnung gehen auch zeitgemäße Arbeitsmodelle einher. Das seit Jahrzehnten bestehende Arbeitszeitsystem hat sich in Deutschland bewährt. Fortentwicklungen, die die Arbeitsrealität der Bevölkerung widerspiegeln, stehen wir offen gegenüber. Sie dürfen aber zu keiner versteckten Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse führen. Höchstarbeitszeiten stellen einen besonderen Schutz dar und dürfen nicht zur Entgrenzung der Arbeitszeit führen.
Vermögensbildung darf kein Stichwort aus der Vergangenheit sein. Das Eigenheim, eigener Grund und Boden sind wichtige Bestandteile eines unabhängigen Lebens. Vermögensbildung muss stärker steuerlich gefördert werden. Der Erwerb eines selbstgenutzten Eigenheims muss von der Grunderwerbsteuer freigestellt werden. Sanierungen sollten auch im selbstgenutzten Eigenheim steuerlich besser privilegiert werden. Vermögensbildung aus guter Arbeit ist aktive Altersvorsorge und Armutsprävention.
Die von der Bundesregierung initiierte, sogenannte Wärmewende ist ein negativer Impuls für die private Bildung von Vermögen. Durch rein politisch motivierte Vorgaben und einseitige Sanierungszwänge wird nicht die persönliche Unabhängigkeit gefördert, sondern finanzielle Abhängigkeit und seitens der Ampel ungedeckten staatlichen Fördermaßnahmen.
Wohnen und Bauen sind auch im Bereich der steuerlichen Entlastungen zentrale Bestandteile für die Lösung der sozialen Frage. Statt kleinteiliger staatlicher Sanierungsüberregulierung sollte man private energetische Sanierungsmaßnahmen nicht nur im Bereich der Handwerkerleistungen, sondern nach der Investitionssumme selbst steuerlich abzugsfähig gestalten. Man sollte überlegen, wie man den Erhalt von Bausubstanz sowie deren energetische Sicherung in der Erbschaftssteuer gezielt fördern kann und man sollte den Bürgerinnen und Bürger über die Flexibilisierung der Grunderwerbssteuer Anreize setzen, um energiebewusst zu investieren.
Klimaschutz ist eine große, globale Menschheitsaufgabe. Dennoch muss jegliches Handeln sozial gedacht und sozial abgefedert werden. Wohnen, Heizen, Energie sind Grundlagen des Lebens. Wer hier politisch bewusst zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger entscheidet, wer keine Kompromisse eingeht, wenn es darum geht auch die Nöte des Einzelnen in unserer Gesellschaft zu betrachten, der legt die deutsche Sozialgeschichte zu den Akten.
Neue Wege müssen auch und vor allem in Bezug auf die ältere Generation gegangen werden. Die Rentenlücke und die unter Umständen hinzukommenden Pflegekosten sind Treiber eines Lebens in Altersarmut. Wenn wir heute an die Struktur der Steuer- und Abgabenlast gehen, so müssen wir auch die Sozialabgaben kritisch beleuchten und Reformschritte in unseren Versorgungssystemen gehen.
Als Arbeitnehmer-Union sprechen wir uns seit vielen Jahren für eine Fortentwicklung des Rentensystems aus, unter Beibehaltung der umlagefinanzierten Rente. Ebenso fordern wir, dass die aktuelle soziale Pflegeversicherung zu einer Pflegevollkostenversicherung reformiert wird. Aus Verantwortung für die kommenden Generationen ist es erforderlich, dass wir heute den Grundstein legen, dass die Solidargemeinschaft auch zukunftsfähig ist.
Es gilt, echte Entlastungen vorzunehmen. Wir sind überzeugt: Wir fördern und setzen mehr Anreize durch Entlastungen, als es über vermeintliche Subventionsprojekte durch abermaliges Verschieben von Steuergeld oder die Aufnahme von neuen Schulden je möglich wäre. Wir müssen uns von diesem Taschenspielertrick verabschieden. Es gilt, den Staat als eigenverantwortlichen Dienstleister zu gestalten. Es gilt, staatspolitische und haushalterische Verantwortung für das erarbeitete Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger zu zeigen und es gilt, mit den Menschen die Zukunft gemeinsam zu gestaltet, als elitär über sie hinweg zu regieren.
Der deutsche Sozialstaat ist immer noch einzigartig. Wir müssen für seine Zukunft sorgen. Das verantworten wir vor den kommenden Generationen. Wir kämpfen weiter für unsere christlich-sozialen Ideale.
Dr. Volker Ullrich, MdB
Landesvorsitzender der CSA