„Ein Alptraum geht in Erfüllung“, heißt es auf einer Karteikarte. Aus den Notizen auf einer anderen Karte lässt sich die vorgesehene Zeit für Holzkreuze errechnen – 21 Sekunden. Ein DIN A4-Blatt weist alssiebten und letzten Punkt der Gliederung das Kapitel mit der Frage aus: „Wann wird sich Gott wieder in Ruanda schlafen legen?“ Diese und weitere Arbeitsmaterialien geben einen Einblick in die Ordnung des Erzählens, die Marcel Odenbach seiner Videoarbeit „In stillen Teichen lauern Krokodile“ zugrunde gelegt hat. Der 1953 geborene Videokünstler erzählt in dieser rund 30-minütigen Dokumentation über das Zusammenleben von Tätern und Opfern nach dem Bürgerkrieg in dem afrikanischen Land. Odenbach verbindet durch seine individuelle Kunst der Schnitttechnik und filmischen Montage in zutiefst berührender Weise das historische Ereignis von 1994 mit dem subjektiven Empfinden der dargestellten Personen, aber eben auch und vor allem mit dem der Betrachter.
Ein paar Schritte weiter sitzt ein auf sich selbst zurückgeworfener Mensch mit geschundenem Körper auf einem Stein, erwartend, dass der Faden seines irdischen Lebens gekappt wird. In seinem Rücken läuft das „Drama in sieben Kapiteln“ der Videoinstallation, der Blick aber fällt offenbar auf die 38 kleinen Fotografien, mit denen Michael Ashkin (geb. 1955) die Trostlosigkeit eines verlassenen Bergarbeiterstädtchens eingefangen hat. „Christus in der Rast“ heißt diese spätmittelalterliche Vollplastik, die den Betrachtern in zutiefst anrührender Weise von der Verzweiflung und Verlorenheit des Gottessohnes auf dessen Passionsweg erzählt. Es ist eine aus den biblischen Quellen gespeiste, dort aber nicht explizit beschriebene Vorstellung einer Szene auf dem Leidensweg Christi, die sich im Mittelalter als fester Typus herausgebildet und Eingang in die christliche Bildbetrachtung gefunden hat. Auch die Objekte, die um die erwähnten Arbeitsmaterialien der Videoinstallation gruppiert sind, folgen einer besonderen Ordnung des Erzählens: Hochrangige Exponate, wie etwa ein holländisches Gebetbuch (1490), ein mittelalterliches elfenbeinernes Diptychon mit Passions- und Auferstehungsszenen, ein Kreuz aus dem 17. Jahrhundert und anderes mehr, erzählen die wesentlichen Stationen der Passionsgeschichte Christi.
Die hier beschriebenen Geschichten und Objekte sind Teil der neuen Jahresausstellung von „Kolumba“, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, die dieser Tage eröffnet worden ist.„Der rote Faden“ lautet das Jahresthema, das von den „Ordnungen des Erzählens“ erzählt und in der neu konzipierten Ausstellung mit Objekten von der Gotik bis in die Gegenwart der Frage nachgeht, wovon und mit welchen Mitteln bildende Kunst berichtet. „Der rote Faden steht weniger für das Lineare einer Erzählung“, beantwortet Museumsdirektor Stefan Kraus diese Frage und fügt hinzu: „Es geht wesentlich um die Struktur einer Erzählung, um das, was für eine Erzählung ausgewählt, weggelassen oder gar hinzugefügt wird.“
Beim Rundgang durch die Ausstellung lässt sich dies an zwei prominenten Stellen ablesen: Die Videoinstallation von Odenbach war bereits vor sieben Jahren schon einmal zu sehen. Die von Beginn an zum festen Ausstellungsbestandteil gehörende Skuptur „Muttergottes mit Kind“ (1650) von Jeremias Geisselbrunn hat ihren angestammten Platz verlassen und soll in die nächste Jahresausstellung wieder zurückkehren.
Kraus und sein Team haben das Thema der Narration plakativ in der Mitte des Rundgangs entfaltet: Insgesamt 20 Tafeln umfassen die großformatigen Bilder aus dem 15. Jahrhundert, auf denen die Lebensgeschichte des Kölner Erzbischofs Severin (4./5. Jahrhundert) dargestellt wird. Weil die Kirche Sankt Severin derzeit saniert wird, haben die Tafeln als einjährige Leihgabe – die anderen rund 180 Ausstellungsobjekte stammen nahezu alle aus dem eigenen Bestand des Hauses – in Kolumba eine würdige und großzügige Präsentation gefunden. Die Gelegenheit, diesen ausladend gestalteten und malerisch erzählten Lebensweg zeigen zu können, war die Keimzelle für diese neunte Jahresausstellung seit Bestehen des spektakulären Museums in der Kölner Innenstadt.
„Die Darstellungen auf dem Zyklus mit ihren verzweigten Haupt- und Nebenwegen haben wohl wenig mit dem tatsächlichen Leben des Erzbischofs zu tun und sind daher ein wunderbares Beispiel für das Erzählen, Hinzufügen oder Nicht-Erzählen von Einzelheiten und Begebenheiten“, so Museumschef Kraus. Dass der Zyklus über mehrere Räume hinweg präsentiert und dabei nur sehr sparsam mit anderen Objekten in Dialog gesetzt wird, tut diesen Bildern, die gleichsam wie eine eigene Ausstellung innerhalb der Gesamtschau gezeigt werden, in ihrer Wirkung und Atmosphäre gut. Neben dem letzten Bild kauert eindrucksvoll „Der Wanderer“, ein visuelles Gleichnis des Menschen auf der Wanderschaft, von Michael Buthe (1944 bis 1994).
Es sind die Dialoge zwischen den Objekten, die sich allesamt der christlichen Ikonografie widmen oder sich von dieser inspirieren lassen und zu neuen Erzählkontexten verdichten, Beziehungen suchen, Vernetzungen bilden – oder sich eher konfrontativ gegenüberstehen und irritieren. So wetteifert etwa das Gemälde „Der Dämon des Fortschritts“ von Konrad Klapheck (geb. 1935) in seiner geradezu brachialen Wirkung mit der ebenso drastischen Darstellung eines Cruzifixus Dolorosus aus dem 14. Jahrhundert im Vordergrund. Mit den Alben von Ilya Kabakov (geb. 1933) werden zehn Charaktere aus der sowjetischen Welt dargestellt. In den dazugehörigen Vitrinen befinden sich unter anderem ein spätmittelalterlicher Heilsspiegel oder das Buch eines achtjährigen Mädchens über eine ganz normale Krake, die „ein Loch in das Akwarium geschniten hat“. Neben der bildenden Kunst ist es eben gemeinhin die Literatur, die spezifische Formen des Erzählens realisiert. Unabhängig von der künstlerischen Gestaltung – ob nun als bildende Kunst oder literarische Vorlage – ist die „Erzählung stets ein genuiner Zugang zum Menschen, weil sich eine Geschichte immer an ein Gegenüber richtet, ohne den sie ins Leere laufen würde“, betont Stefan Kraus.
Das gilt auch für in die Gesamtschau implementierte Sonderausstellung. Die Installation „Transzendentaler Konstruktivismus“ von Anna (78) und Johannes Blume (1937 bis 2011) füllt einen eigenen Raum. Mit höchst unterhaltsam zusammengefügten und im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückten Fotoarbeiten löst sich manch düsterer Schatten des vorherigen Rundgangs, bei dem sich die Themen Leid, Tod, Vertreibung und Krieg immer wieder wie ein roter Faden aufnehmen lassen, in unterhaltsames Staunen auf. Ob gerade diese Halt- und Formlosigkeit der rote Faden dieses Raums sein mag? „Jeder hat die Gelegenheit, die Arbeit selbst zu interpretieren“, sagt Anna Blume.
Das gilt für die gesamte Schau: „Kolumba“ lädt unaufdringlich dazu ein, den in vielfältiger Weise in den Räumen und Präsentationen dargebotenen roten Faden zu ergreifen oder aber selbst einen solchen zu spinnen und die aufgenommene Geschichte zu Ende zu bringen.
Kolumba Kunstmuseum des Erzbistums Köln:„Der rote Faden Ordnungen des Erzählens“, bis 22. August 2016, täglich außer dienstags 12 bis 17 Uhr, Kolumbastraße 4. Es werden zudem in Kooperation mit dem Schauspiel Köln jeden Samstag frei gewählte Texte vorgestellt. www.kolumba.de
Fotos (Hoensbroech):
Kolumba1:
In stiller Betrachtung: ,Christus in der Rast’nimmt offenbar die Fotos über ein verlassenes Bergarbeiterstädtchen in den Blick
Kolumba2:
Auf sich selbst zurückgeworfen: Christus in der Rast
Kolumba3:
Spamnnender Dialog; „Der Dämon desFortschritts“und ein Cruzifixus Dolorosus
Kolumba4:
Spannender Dialog: ,Christus in der Rast‘ und die Videoinstallation ,In stillen Teichen lauern Krokodile‘
Kolumba5:
Ausladend und verschwenderisch ausgestaltet: drei Tafeln aus dem 20-teiligen Bilderzyklus über das Leben des Heiligen Severin
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