Nichts geht ohne sie. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts trat sie auf der US-politischen Bühne in Erscheinung. Das Besondere an PC (Political Correctness): Sie kann von jedem auf jeden angewendet werden, sei die Person lebend oder tot, vom „linken“ oder vom „rechten“ Lager.
In der „Euphemismus-Tretmühle“
Der für seine Provokationen berüchtigte Philosoph Žižek wies als einer der Ersten darauf hin, dass sich „politisch korrekte“ Begriffe mit der Zeit „abnutzen“. Was wiederum dazu führt, dass sie schließlich die Bedeutung des Wortes, das sie ersetzen sollten, bekommen. Außer: Die soziale Wirklichkeit verändert sich tatsächlich. Neuschöpfungen und Euphemismen allein verhindern, geschweige denn lösen die tatsächlichen Ursachen von Rassismus, Sexismus und Behindertenfeindlichkeit nicht, sondern verschieben sie. Fazit: Wir landen mit PC in einer „Euphemismus-Tretmühle“ (Žižek), in der jeder Begriff durch den folgenden seinerseits unter Diskriminierungsverdacht gestellt und entwertet werden kann. Ist an diesem Ansatz etwas dran? Und wenn ja, welche Folgen hat dieser „Euphemismus-Effekt“ auf den Akt der freien Rede?
Der Wille zur Selbstzensur
Der Akt der freien Rede ist einer, der Mut erfordert, weil er durch seine rückhaltlose Offenheit riskiert, die Zuneigungen zu verspielen oder den Zorn bestimmter Personen auf sich zu ziehen. „Genauer gesagt, ist Parrhesia (Hirn: das Wahrsprechen) eine verbale Aktivität, in der ein Sprecher seine persönliche Beziehung zur Wahrheit äußert und dabei sein Leben riskiert, weil er das Aussprechen der Wahrheit als Pflicht erkennt, um andere Menschen zum Besseren zu bekehren oder ihnen zu helfen (wie auch sich selbst). In Parrhesia verwendet der Sprecher seine Freiheit und wählt Offenheit statt Überzeugungskraft, Wahrheit statt Lüge oder Schweigen, das Risiko des Todes statt Lebensqualität und Sicherheit, Kritik anstelle von Schmeichelei, sowie moralische Pflicht anstelle von Eigeninteresse und moralischer Apathie.“[1] Was nicht heißt, dass der Parrhesia nicht Grenzen gesetzt sind. Eine davon lässt sich eben unter dem Begriff der politischen Korrektheit fassen, die man durchaus als eine Form der Selbstzensur auffassen kann. Dies kann Dialog ermöglichen, aber auch Diskussion verhindern. Wenn nämlich der freie Austausch von Ideen zugunsten eines „Safe Space“ beschränkt werden und der Sprechende angst hat, seine Meinung (oder z.B. auch wissenschaftliche Ergebnisse) zu äußern, um nicht unabsehbare Dissonanzen bei dem Zuhörern hervorzurufen.
„Safe Spaces“ oder das „Recht auf Behaglichkeit“?
Niemandes Stimme ist über den Diskriminierungsverdacht erhaben, der den demokratischen und zivilgesellschaftlichen Wert, alles ansprechen zu dürfen (Stichwort: Meinungsfreiheit), vergessen lässt. Es ist anzunehmen, dass die auffallende Stimmlosigkeit in den westlichen Demokratien vom nun geforderten „Recht auf Behaglichkeit“ (Žižek) zum Schweigen gebracht wird. Der moderne Ausdruck dafür ist „Safe Space“. Dieser wird unter Berufung auf dieses „Recht auf Behaglichkeit“ gefordert – auch vermehrt in Forschung, Kunst und an Universitäten. Da wird dann z.B. darüber diskutiert, ob manche Shakespeare-Stücke aufgrund obszöner oder brutaler Szenen überhaupt noch im Unterricht gelesen werden sollen oder Kant nicht aufgrund mehr oder weniger eindeutiger Aussagen des Rassismus und der Misogynie schuldig ist und damit nicht mehr in den aktuellen, zeitgemäßen Lehrplan gehört.
Denken ist gefährlich, Political Correctness auch
Political correctness ist dort gefährlich, wo sie angewendet wird, um Kritik unmöglich zu machen. Diskussion muss in funktionierenden demokratischen Systemen möglich sein, auch wenn sie manchmal wehtut. Dies soll jedoch nicht als Freibrief für Beschimpfungen oder aggressive Äußerung von Frustrationen (vgl. Shitstorms) verstanden werden. Ganz im Gegenteil. Kritik soll konstruktiv und logisch nachvollziehbar geäußert werden. Empathie zeigen heißt nicht, alles gutzuheißen, aber andere Meinungen und Urteile verstehen zu wollen. „Wobei niemand schärfer urteilt als der Ungebildete, denn der kennt weder Gründe noch Gegengründe und glaubt sich immer im Recht“ (Feuerbach). Es braucht die Bereitschaft des Einzelnen, seine eigene Meinung und Vorurteile unbedingt zu hinterfragen. Nur dann kann politische Korrektheit auf lange Sicht erfolgreich sein, weil sie dann nicht nur eine oberflächliche, sprachpolitische Maßnahme bleibt. Nietzsche meinte, dass Faulheit und Feigheit die Ursachen sind, dass die meisten Menschen zeitlebens unmündig blieben und sich wenige andere zu ihren Vormünder aufwerfen würden. Das ist wohl wahr, denn zu schweigen ist bequem. Die Frage ist aber nicht, was wir gewinnen, wenn wir schweigen, sondern vielmehr, was wir damit verlieren.
[1] Michel Foucault: Discourse and Truth: The Problematization of Parrhesia. Foucault.info. Abgerufen am 11. Juni 2016.
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