250. Geburtstag: Der Philosoph Hegel gilt als Meisterdenker. Doch mit Corona-Partys hätte er große Schwierigkeiten

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Der Philosoph Hegel gilt als Meisterdenker. Doch mit Corona-Partys hätte er große Schwierigkeiten. Einen Hauptgrund sieht er darin, dass die Protestler nicht zwischen Freiheit und Willkür unterscheiden könnten.

Der Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) ist zu seinem 250. Geburtstag in aller Munde, war er doch neben den deutschen Idealisten Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joeseph Schelling der prominenteste Denker des Deutschen Idealismus. Auch er war Schüler des Königsberger Meisterdenkers Immanuel Kant und ging doch eigenständige Wege. Mit Hölderlin und Schelling teilte er sich im Tübinger Stift, der damaligen Intellektuellenschmiede, ein Zimmer. Vielleicht vergleichbar, wenn die Superhirne Bill Gates, Steve Jobs und Elon Musk in einer WG ihre Visionen von morgen geschmiedet hätten. Idealist war Hegel, weil er ein Prinzip suchte, das über der sinnlichen Welt als allgemeingültiges Prinzip regiert. Idee, absoluter Geist wird er dazu sagen, aber es wird immer die Freiheit sein, die er in sein groß angelegtes System einzubetten sucht.

Hegel  wurde am 27. August 1770 in Stuttgart geboren. Er stammte aus einem typischen Beamtenhaushalt, in dem – ganz wie in der damaligen Zeit üblich – der Pietismus regierte. Strenge Gläubigkeit war jedoch Hegels Sache nicht und so wurde er nicht Pfarrer, sondern Philosoph. Als dieser hat er Weltgeschichte geschrieben, denn seine Dialektik hatte später Karl Marx maßgeblich beeinflusst und mit ihm die kommenden Generation, die in die Fußstapfen des Dialektischen Materialismus treten sollten. Böse Zungen behaupten gar, ohne Hegel hätte es Faschismus und Kommunismus gar nicht gegeben, ohne ihn, wenngleich falsch interpretiert, wäre das gesamte 20. Jahrhundert nicht zum Millionengrab geworden. Doch all diese Interpreten haben den Stuttgarter letztendlich falsch verstanden. Hegel ging es um die Freiheit. Er kritisierte die bürgerliche Gesellschaft, die sich immer weiter in arm und reich spaltete. Er hielt wenig vom Neoliberalismus und sah in ihm die eigentliche Gefahr seiner Zeit. Und dieser Hegel war es, der noch vor Marx den Begriff der Arbeit mit der Anerkennung in Zusammenhang brachte.

Insbesondere der Philosoph Reimund Popper hatte Hegel als preußischen Staatsphilosophen verunglimpft, begriff ihn als Denker des Totalitarismus. Bei ihm sei der einzelne Mensch letztendlich nichts und der Staat alles, so ein Vorwurf, der dem Stiftler immer wieder gemacht wurde. Doch Hegel war von früh an liberal gestimmt. Er galt als einer der frenetischsten Verehrer der Französischen Revolution und ihrer Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Diese Ideen sollten ihn sein Leben lang begleiten  und jedes Jahr wird er am Nationalfeiertag, den 14. Juli, ein Glas Champagner auf die Revolution erheben. Und so wird er nicht müde, Preußens Restaurationsbemühungen nach den Karlsbader Beschlüssen zu kritisieren.

Doch so sehr Hegel sich die Freiheit auf die Fahnen schreibt, gibt es Zeiten, wo der Philosoph vor allzu viel Freiheit warnen würde. Dies wäre der Fall in Zeiten von Pandemien. Hegel hatte sie selbst erlebt und ist 1832 an der Cholera gestorben. So verwundert es kaum, dass er heute gegen Corona-Partys wäre, sich für ein Verbot derselben aussprechen würde. Wenn sich in der Berlin vor dem Reichstag oder bundesweit Menschenansammlungen finden, die ihre Proteste gegen die von der Bundesregierung erlassenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie als Freiheitskampf verstehen, würde Hegel dem entgegensetzen: Hier handelt es sich nicht um Freiheit, sondern um Willkür. Gegen die wütenden Bürger, die ihre Freiheitsrechte unter Corona in Frage gestellt glauben, keine Masken tragen und keinen Abstand halten, würde Hegel entgegenschleudern: Eine Freiheit, die sich nur als Verantwortungslosigkeit zeigt, ist das Ende der Freiheit. Sein Veto gegen die Protestler findet sich in seiner Unterscheidung von Freiheit und Willkür. Was in Berlin passiert sei pure Willkür und hat letztendlich nichts mit Freiheit oder höchstens mit einer falsch verstandenen zu tun. Grund dafür ist Hegels Begriff vom Staat, den er ausführlich in seinen „Grundlinien einer Philosophie des Rechts“ entwickelt. Der Staat repräsentiert für Hegel die höchste Freiheit, ja, er ist die Sittlichkeit selbst. Und dieser hegelsche Staat muss die Freiheit aller seiner Bürger garantieren. Daher auch die Willkür begrenzen. Und für diese Willkür stünden heutzutage Reichsbürger, „Covidioten“ und alle Kritiker, die gegen den Staat in der Coronakrise protestieren. Hegel versteht unter Freiheit eben nicht die Möglichkeit zu tun, was man will. Genau in diesem Auswählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten sieht er nur die Willkür am Werk. Von Freiheit kann man erst dann sprechen, wenn die Vernunft den Willen bestimmt, denn „die Freiheit ist das Denken selbst.“ Und „wer das Denken verwirft und von Freiheit spricht, weiß nicht, was er redet.“ „Der Wille ist nur als denkender frei.“

Nur der Ausnahmezustand rechtfertigt die Einschränkung bestimmter Rechte

Wer also glaubt, den Reichstag zu stürmen, wilde Corona-Partys zu feiern oder Kontaktsperren zu umgehen, ist auf dem Holzweg, wenn er sich als Teil des Staates als Gemeinwesen begreift und diesem zu dienen, so die Auffassung Hegels, verpflichtet ist. Die vom Staat erlassenen Beschränkungen, dies klingt für moderne Ohren sehr gewöhnungsbedürftig, heben nur die Willkürfreiheit, nicht die Vernunftfreiheit auf. Wenn der Staat also in die Bewegungsfreiheit eingreift, Quarantänen und Ausgangssperren verhängt, um die Bürger vor Covid-19 zu schützen, dienen diese Maßnahmen einzig und allein dem Zweck der Sicherung und der Garantie des Rechts auf Leben und der Gesundheit aller. Dieses höhere Recht auf körperliche Unversehrtheit versteht er als etwas weitaus fundamentaleres. Aber weitreichende Eingriffe in die Natur des Rechts, wie derzeit in der Corona-Pandemie, würde auch der deutsche Idealist nur in gewissen Ausnahme- oder Notsituationen tolerieren. Nur im Fall von Naturkatastrophen, Kriegen oder eben Epidemien darf der Staat den Not- oder Ausnahmezustand verhängen – doch dieser Eingriff ist zeitlich zu legitimieren.

Eine Pandemie wie Corona wäre auch für Hegel genau jene Ausnahmesituation mit allen ihren verhältnismäßigen Folgen. Doch mit dem Ende der Pandemie muss auch der Staat zur Normalität zurückkehren. Sollte er dennoch die Rechte der Einzelnen über die Ausnahmesituation hinaus weiter einschränken, hat der einzelne Bürger ein unbedingtes Recht auf Widerstand – ein ebenso gültiges und grundlegendes Freiheitsrecht. Sollte der Staat dennoch seine unbeschränkte Macht und die Einschränkung gewisser Grundrechte weiterhin ungerechtfertigt aufrechterhalten, in Notstandsgesetzen oder gar sich peu à peu in eine Diktatur verwandeln, darf der Bürger tatsächlich gegen den Staat aufstehen. Und erst dann gehört es zu seinen staatsbürgerlichen Pflichten, gegen den Leviathan auf die Straße zu gehen, gegen staatliche Willkür zu protestieren. Wenn der Staat ohne Legitimation in einer Notsituation sein Vetorecht missbraucht, hätte auch Hegel nichts gegen Demonstrationen und womöglich auch nichts gegen die Besetzung des Reichstages. Doch bis dahin bleibt Hegel zu Haus, allein ist er dabei nicht. Für viele bleibt Corona ein tödliches Virus – und die staatlichen Eingriffe seitens der Bundesregierung in die Bewegungsfreiheit nachvollziehbar, sinnvoll und legitim.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".