Der Papst und die Pius-Brüderschaft

Alois Schifferle, Die Pius-Brüderschaft, Informationen – Positionen – Perspektiven, Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer 2009, ISBN: 978-3-7666-1281-6, Preis: 29.90 Euro – Eckhard Nordhofen (Hg.), Tridentinische Messe – ein Streitfall, Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer 2009, 2. Auflage, ISBN: 978-3-7666-1305-9, Preis: 14,90 Euro

Wie sehr der Fall der Pius-Brüderschaft nicht nur zu innerkirchlichen Anfeindungen führte, sondern mit der Kritik der Bundeskanzlerin an Papst Benedikt XVI. auch zu politischen, ist allerorten gegenwärtig. Eine ganze Bibliothek läßt sich mit zu diesem Thema kontrovers und hitzig geführten Debatten und Publikationen mittlerweile füllen.
Gleich mit zwei Neuerscheinungen, genauer: mit einer neuen und einer zweiten und neu eingeleiteten Auflage, wartet der Verlag Butzon und Bercker zum Thema Pius-Brüderschaft und Liturgiereform auf. Da ist zum einen die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der Brüderschaft um Erzbischof Lefebvre, die von Alois Schifferle, Professor für Pastoraltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, jetzt vorliegt, andererseits der höchst kenntnisreich eingeleitete Band zur Liturgiereform von Eckhard Nordhofen, Professor für theologische Ästhetik und Bildtheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
In seiner glänzenden Studie zeichnet Alois Schifferle, der über Marcel Lefebvre promoviert wurde, nicht nur dessen Vita nach, analysiert Lefebvres Verständnis von christlicher Religion, referiert die „Ansichten“ des exkommunizierten Erzbischofs über Liberalismus, Modernismus und Protestantismus, sondern gibt auch profunde Einblicke in die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie in das Liturgieverständnis des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Josef Kardinal Ratzinger, dem jetzigen Benedikt XVI.
Für alle Interessierten kommt damit ein Standardwerk zu dieser Thematik auf den Buchmarkt, das einen glänzenden Einblick für diejenigen bietet, die sich fundiert über die Pius-Brüder in Kenntnis setzen wollen. Schifferle analysiert nicht nur die theologischen Positionen der Gemeinschaft, die an den Grundfesten des Konzils von Trient festhält, er erklärt ebenso den innerkirchlichen Konflikt und zeichnet die Entwicklung der traditionalistischen Bewegung bis zu den jüngsten Ereignissen nach. Dabei rekonstruiert er an zentralen Themen – Kirchenbild, Verständnis von Tradition, Einstellung zur Religionsfreiheit, Verhältnis zu anderen Religionen und christlichen Kirchen – die Hintergründe des aktuellen Streites, ergänzt diese durch eine Vielzahl von Originaldokumenten, die es dem Leser erlauben, sich ein eindrucksvolles Urteil über die derzeitige Streitsache Nummer eins in der katholischen Kirche zu bilden.[1]
Darüber hinaus erfreut auch das neuaufgelegte Buch „Tridentinische Messe – ein Streitfall, Reaktionen auf das Motu prorio ‚Summorum Pontificum’ Benedikts XVI.“, das sich nunmehr dem eigentlichen Streitfall, der Tridentinischen Messe, zuwendet und diese aus dem Blickwinkel des akademischen Diskurses beleuchtet. „Tridentinische Messe“ bündelt ein Streitgespräch über die Liturgiereform, das aus einer Podiumsdiskussion im Frankfurter Haus am Dom, am 20. August 2007, hervorgegangen ist. Dieses Streitgespräch ist letztendlich auch eines, das sich vor dem Hintergrund der Thematik des Profanen und des Sakralen lesen läßt. Gesprächspartner waren der renommierte Philosoph Robert Spaemann, dessen letzte Publikationen „Der letzte Gottesbeweis“ und „Das unsterbliche Gerücht“ für Aufsehen sorgten, der Büchner-Preisträger Martin Mosebach, der mit seinem Buch „Häresie der Formlosigkeit, Die römische Liturgie und ihr Feind“ die Diskussion über die Liturgiereform des Zweiten Vaticanums entzündete, als auch der katholische Kirchenhistoriker Arnold Angenendt und der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards. Moderiert wurde die Frankfurter Podiumsdiskussion vom katholischen Theologen und Lehmann-Biographen Daniel Deckers. Obgleich alle Diskurs-Partner sich zur katholischen Kirche bekennen, entbrannte über die Liturgiereform alten oder neuen Stils eine heftige Kontroverse, die im Buch festgehalten wurde.
Daß Benedikt XVI. mit seiner Rehabilitierung des alten Ritus nicht nur Reformtheologen wie Hans Küng, der sich als damals junger Theologe für das Zweite Vaticanum verantwortlich zeigte, sondern auch „gestandene“ Theologen und Liturgiewissenschaftler erneut herausforderte, zeigte sich in aller Deutlichkeit in der Dramatik des Streitgespräches.
So spricht sich der Kirchenhistoriker Angenendt dagegen aus, für den Kampf um die Liturgie den Seelenfrieden in der Kirche aufs Spiel setzen zu wollen. Argumentationslogisch folgt er dabei der Devise, daß das, was historisch gewachsen sei auch wieder verändert werden kann. Gerade das dialogische Prinzip des neuen Ritus sei es, das der heutigen Zeit angemessener ist, was sich deutlich darin zum Ausdruck bringt, daß nunmehr in der Muttersprache gebetet wird, die für mehr Authentizität und Unmittelbarkeit steht. Angenendt argumentiert daher nicht nur gegen die enthobene Zeitlosigkeit des Ritus, sondern letztendlich auch gegen eine Überbeanspruchung der Liturgie, ihrem überzogenen Stellenwert im Gefüge der Religion, gegen die Verdinglichung des Göttlichen. Aus dem ersten Christengebot leitet Angenendt dann seinen Grundsatz gegen eine Sakralsprache im Christentum ab, der darin kulminiert, daß Gott zwar in der Muttersprache auch nicht unbedingt besser zu verstehen sei, jedoch gelinge durch die Muttersprache der intensivere und letztendlich innigere Zugang zum Göttlichen im persönlichen Gebet, auf das der Gläubige als seine spezifische Form zurückgreife, um seine Herzensangelegenheit in aller Deutlichkeit zu veranschaulichen. Kurzum: Zur Wesenhaftigkeit des Ritus gehört ebenfalls seine Genese, seine Veränderung. Eine Sakralsprache paßt nicht mehr ins 21. Jahrhundert, denn auf eine mystische Sprache zu rekrutieren, die man selbst nicht versteht, dies widerspricht jeder religiösen Logik. Der Sinn des Christentums liegt ja im Verstehbarwerden und Verstehbarmachen des Glaubens und soll sich nicht im gebetsmühlenhaften Formelritus erschöpfen – das Gebet bleibt der persönliche und nicht zu vermittelnde Zugang zum Göttlichen.
Demgegenüber unterstreicht Martin Mosebach den „außergewöhnlichen Ritus“, den er der anarchischen Idee der Formlosigkeit, dem „Freestyle Katholizismus“ gegenüberstellt. Mosebach tritt nicht nur vehement für den alten Ritus ein, sondern beschwört dessen ästhetische Schönheit und Zeitlosigkeit, verwehrt sich gegen die schon von Kardinal Ratzinger kritisierte „Bastelei“ innerhalb der Liturgie, den Verselbständigungseffekt der Liturgiereform, der einem – ebenfalls von Benedikt XVI. kritisierten – Kreativitätsschub die Tore öffnet. Die Sehnsucht nach dem alten Stil ist für ihn die berechtigte Sehnsucht nach einer Theologie und Liturgie, die sich von aller Banalität verabschiedet, die das Absolute oder Göttliche dort abholt, wo sich dieses ereignet, in der Feier der Eucharistie. Auch unterstreicht Mosebach, daß der Trend zur Banalisierung des unendlich Erhabenen und Jenseitigen, dies geschieht übereinstimmend mit Benedikt XVI., vielerorts durch das neue Missale geradezu als eine Ermächtigung „oder gar als Verpflichtung zur ‚Kreativität, aufgefaßt“ wird […], die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte“. Für Mosebach bleibt die Liturgie nur als formelhaftes Ereignis denkbar, Ausdruck übersubjektiven Geschehens, in dem sich das Göttliche dem Ich mitteilt, das seinerseits daran festhalten kann, daß „ich den Ritus als etwas von mir nicht Beeinflußtes, von mir nicht Gemachtes“ erlebe.
Diese Auffassung teilt auch Robert Spaemann, der mit Mosebach an der Zeitlosigkeit des ästhetischen Ereignisses festhält. Für den Philosophen steht dann auch ganz klar fest, daß nicht derjenige in die Begründungspflicht gestellt ist, der am traditionellen Ritus festhält, sondern derjenige, der diesen erneuern will. Ungeachtet dieser Begründungspflicht aber hat der neue Ritus die Säkularisierung auch nicht abgewendet, die neue Liturgie keineswegs, wie einst erhofft, die Leerung der Kirchen verhindern können. Zwar hält auch Spaemann das Nebeneinanderstehen der beiden Liturgien für nicht ideal, aber er sieht in der vollen Anerkennung des alten Ritus eine wirkliche Rückkehr der Kirche zur Normalität. Während der alte Ritus einem Schatz gleichkommt, hatte die neue Liturgie nur Freiräume eröffnet, die selbst wiederum auf dogmatische und fanatische Weise neu besetzt wurden, die aber für die Authentizität des religiösen Erlebens völlig sekundär bleiben.
In eine ganz andere Richtung geht die Argumentation von Albert Gerhards, der stark bezweifelt, daß es durch die Wiederzulassung des alten Ritus zu einer tieferen Verinnerlichung und Anbetung des Heiligen kommt. Auch verwehrt er sich rigoros dagegen, die Liturgiereform als Verrat an den Ideen des Zweiten Vaticanums zu sehen. Immer wieder unterstreicht Gerhards, der sich bereits frühzeitig gegen eine völlige Freigabe des alten Ritus ausgesprochen hat, daß das zweite Vatikanische Konzil keineswegs mit der gesamten Tradition der abendländischen Kirche gebrochen habe, vielmehr sei die neu Liturgiereform konform zum Konzil; eine Verklärung oder Glorifizierung „vorkonziliarer Zustände“ à la Spaemann und Mosebach lehnt er daher ab.

Kurzum: Für den interessierten Leser versammelt der kleine Band auf höchst eindrucksvolle Weise die unterschiedlichen Reaktionen auf die Rehabilitierung der alten Liturgiereform. Er ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die kultivierte Streitkultur innerhalb der katholischen Kirche. Wer dieser vorwirft, daß sie nur univok spreche, daß sie den Geist der Kritik zugunsten der päpstlichen Autorität eingetauscht hat, muß sich hier eines Besseren belehren lassen.

Zum Hintergrund:

Papst Benedikt XVI., für den die Liturgie der Kirche auch im Zentrum seines theologischen Denkens steht, rehabilitierte 2007 mit der Veröffentlichung seines Motu proprio „Summorum Pontificum“ die lateinische Messe nach Tridentinischem Ritus. Für viele bedeutete diese Rehabilitierung, die lateinische Messe war nie verboten, nur ihr „Gebrauch“ eingeschränkt, ein klerikales Abgleiten in die Vorzeit des Mittelalters, ein Schlag ins Gesicht der liberal-aufgeklärten Theologie, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil endlich den Zeitpunkt sah, wo die katholische Kirche aus ihrem dogmatischen Schlummer erweckt wurde. Für andere, so auch für die Lefebvre-Bruderschaft, war die unter Johannes XXIII. beginnende und durch Paul VI. verwirklichte Liturgiereform jene Häresie der Formlosigkeit, die mit der Tradition der Christenheit und mit der bis dato unangefochtenen lateinischen Kirchensprache brach.
Mit seiner Schrift „Summorum Pontificum“ wollte Benedikt XVI. eben jene Kluft schließen, die zwischen den Verfechtern der alten und der neuen Liturgie nicht nur Priester, Bischöfe, sondern auch die Gläubigen in zwei Lager spaltete. „Summorum Pontificum“ stand und steht als Versöhnungsangebot für eine Kirche, die in Zeiten der Krise, ihr Fundament zu bewahren sucht und damit auch ihre Legitimation. Im Begleitbrief zum Motu proprio, der sich ebenfalls im Buch findet, unterstreicht der Pontifex mit aller Nachdrücklichkeit, daß die „Wiederzulassung“ des alten Ritus die Bedeutung des Konzils und der Liturgiereform keineswegs verletzt, denn diese „Befürchtung ist unbegründet“. Der alte Ritus sei als Forma extraordinaria neben dem von Papst Paul VI. veröffentlichten und dann in zwei weiteren Auflagen von Johannes Paul II. neu herausgegebenen Missale die normale Form – die Forma ordinaria. In diesem Zusammenhang sei es auch mißverständlich von zwei Riten zu sprechen, es handelt sich vielmehr „um einen zweifachen Usus ein und desselben Ritus“.

[1] Eine ausführliche Besprechung dieses Buches folgt.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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