„La Clemenza di Tito“ unter Kirill Petrenko neu am Münchner Nationaltheater
Will doch gerade die Bayerische Staatsoper immer so dicht am Zeitgeschehen sein. Auch dem dort debütierenden Regisseur Jan Bosse war an „zeitgenössischer Relevanz“ gelegen, als er W. A. Mozarts letzte Oper „La Clemenza di Tito“, 1791 in Prag uraufgeführt, hier inszenierte. Warum, so fragt sich der Besucher der 4. Vorstellung, gab Bosse dann nicht Order, die Abendspielleitung möge den Ascheregen, der sich nach dem Niederbrennen des römischen Kapitols, angezettelt von Imperator Titus` Busenfreund Sesto (auf Drängen Vitellias, der den Kaiserthron begehrenden Tochter des verstoßenen Vespasian), auf die Ewige Stadt ergoss, aus Sahara-Sand bestehen zu lassen?
Sonst war alles augenfällig zeitnah gemacht, ortsnah zumindest. Bosses Bühnenbildner Stéphane Laimé bediente sich an der Nationaltheater-Innenarchitektur und baute, für den 1. Akt ganz, für den 2. Akt halb, die Proszeniumsloge nach, allerdings nur in gräulicher Marmorhelle. Das nervte und langweilte zugleich. Und gab eine Stimmung wieder, die abständig-klassizistisch wirkte, weit weniger römisch-antik. Titus regierte von 79 bis 81 n. Chr. Er war bekannt für seine Nachgiebigkeit, seine Güte und Milde („clementia“). Man kennt die tragische Geschichte mit Intimus Sextus, der ihm ans Leben wollte, weil er der Geliebten Vitellia gefallen wollte, die sich als Thronerbin sah.
Wer hat nicht Probleme, das Geflecht der Liebes-Story auf Anhieb zu durchschlagen? Bosse ist es hoch anzurechnen, die Verwicklungen transparent gemacht zu haben. Auch wenn dazu ein überromantisierend schwelgerischer, Metastasio folgender Mozart auf die Bretter und in den – warum eigentlich? – weiß ausgetünchten, ins Geschehen einbezogenen Graben gebracht wurde – mit allen Mitteln, die Regisseur und Dirigent zur Verfügung standen. Das Publikum nahm`s beiden, so schien es, gern ab. Es fühlte sich wohl in den zwei unterschiedlichen Bildern – zuerst luzider Titus-Thronsaal, dann alles Bühnen-aschig (ohne Sahara-Regen) im Eimer.
Titus war darin nicht umgekommen. Toby Spence lebte. Nach seiner ihn belastenden Schilddrüsen-Erkrankung bewundernswert präsent und taff, sah und hörte man den Tenor von bester Seite. Der Schöne, Sanfte, in fließend reines Weiß Gekleidete schritt oder thronte majestätisch. Er sangschön von der Reue, die mehr wert sei als die Treue – jedem Wortverspielten zur Freude und jedem christlich Empfindenden die verbürgte Bestätigung seiner Nazaräer-Gefolgschaft.
Umgeben ist Roms Kaiser Titus von in alle Liebes-Richtungen verstrickten „Weibern“: Servilia (wunderschön unschuldsvoll und grandios im Ausdruck: Hanna-Elisabeth Müller), Sestos Schwester, die Annio (sehr überzeugend: Angela Brower in langer roter Mähne) liebt und eben Vitellia, die den ganzen Wahnsinn verschuldet – mit der scharf und schrecklich zu spielen verdammten, ihre weit ausladenden Roben (Kostüme: Victoria Behr) wie ihren hell leuchtenden Sopran zur Schau tragenden Kristine Opolais kostbar besetzt.
Sesto, verkörpert vom jungen, ambitionierten Ensemblemitglied Tara Errauhgt mit betörend weich modulierendem Mezzo, war ein Gewinn für diese Neuproduktion. Figürlich ist Erraught alles andere als ideal, aber gesanglich absolutes Plus. Was GMD Kirill Petrenko, der so gut mit den Sängern kann, wohl wichtiger war als dass die kleine pummelige Erraught perfekt ins Optische passte, wo ohnehin etliches quer lag. Das fing bei den bescheuerten Video-Füllseln der nachgebauten Nationaltheater-Säulengänge an und endete bei der Oberkörpernacktheit des tadellos singenden Nachwuchs-Haus-Basses aus Kuwait, Tareq Nazmi, im 2. Akt. Auch darüber sah Petrenko Titus-ähnlich gnädig lächelnd hinweg. Ihm war, neben den Solisten und dem balsamisch singenden, sich spielerisch im Senats-Bild einvernehmlich einbringenden Chor am meisten an seinem Staatsorchester gelegen. Das konnte er gleichermaßen für die unvermittelten Dehnpausen, die ungewöhnlichen Verzögerungen und den schmelzend-romantischen Mozart-Stil begeistern. Der mochte bei Petrenko überraschen. Die Ironie des Salzburgers liegt ihm weniger als seine Klangopulenz und die Sehnsüchte, die er der widerlich ehrgeizigen Vitellia und dem zum Henker seines Freundes gewordenen Sesto so unwiderstehlich in die Kehle zu legen verstand. Petrenko sorgte jedenfalls, auch mit seinen nur spektakulär, nirgendwo aber zwingend ins Bühnengeschehen integrierten Bassetthorn- und -klarinette-Solisten für ein, wenn auch szenisch halbseidenes, so musikalisch doch bleibendes mozartisches Nationaltheater-Ereignis.
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