Der klassische Arbeitsmarkt ist Geschichte

Vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt

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Fachkräftemangel oder doch nicht?

Viele Arbeitnehmer haben es längst gemerkt – manch ein Arbeitgeber aber noch nicht: Bewerber haben mehr Macht und nutzen diese auch. „Der klassische Arbeitgebermarkt ist Geschichte, Personal muss man heutzutage intensiv suchen und umwerben. Die Rollen haben sich schlicht getauscht, und das ist auch gut so. Nun müssen sich endlich auch mal die Arbeitgeber strecken, um die besten Fachkräfte zu bekommen und auch halten zu können“, weiß Dirk Kreuter, Multiunternehmer, Speaker und Verkaufstrainer. Ausruhen und zu glauben, dass Recruiting von selbst funktioniert, das ist eine Sackgasse. Employer Branding bekommt nun eine immer wichtigere Bedeutung, denn der Kampf um die Fachkräfte tobt längst. „Spitz könnte man fragen, ob es überhaupt einen übergreifenden Fachkräftemangel gibt. Branchenspezifisch lässt er sich sicher nicht wegdiskutieren, aber viele Arbeitgeber ruhen sich auch einfach darauf aus“, so Kreuter.

HR im Fokus

2022 und 2023 lag die Zahl der offenen Stellen in Deutschland auf einem Rekordhoch, Anfang dieses Jahres gab es einen leichten Rückgang. Trotzdem: Um die 800.000 Stellen sind aktuell unbesetzt.[1] „Arbeitnehmer von heute wollen etwas geboten bekommen, sie warten lieber länger auf die passende Stelle, als sich für einen Arbeitgeber zu committen, der nicht den eigenen Vorstellungen entspricht“, so der Spiegel-Bestseller-Autor. „Arbeitgeber müssen geeignetes Personal intensiv suchen und sich um die Kandidaten bemühen.“ HR-Abteilungen entwickeln sich zusehends zu Verkäufern, die ihr Unternehmen, ihre Werte und Benefits den potenziellen Kandidaten näherbringen müssen. Doch was wollen die Bewerber eigentlich? Kreuter beschreibt es so: „Im Kern geht es immer um Wertschätzung. Auch Anerkennung, Vertrauen und Atmosphäre sind hier wichtige Stichworte. Talente wollen mit ihrer Individualität vom Arbeitgeber wahrgenommen und geschätzt werden. Dazu gehört auch der Wunsch nach Weiterentwicklung, individueller Förderung der Fähigkeiten, selbstbestimmterem Arbeiten und Teilhabe an Entscheidungen.“ Daneben haben sich Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle fast schon zu einer Art Selbstverständlichkeit entwickelt.

Das liebe Geld?

Auch eine gerechte Entlohnung ist eine Form der Wertschätzung. „Wer vernünftige Gehälter zahlt, zeigt seinen Mitarbeitern, dass sie es wert sind“, verdeutlicht der Speaker. „Abseits des Geldes kann man Wertschätzung natürlich auch noch anders ausdrücken – sei es mit offener Kommunikation, einem Belohnungssystem oder mit Mitarbeiter-Awards, die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Und genauso individuell: Die Art der Wertschätzung muss zum Mitarbeiter passen und kann auch schlicht Geld sein.“ Besonders um die Top-Performer zu halten und auch um Talente von Mitbewerbern für das eigene Unternehmen zu gewinnen, ist der monetäre Faktor nicht zu unterschätzen. Ziehen Unternehmen nicht bei der aktuellen Lohnrunde mit, haben sie langfristig das Nachsehen und verlieren ihre besten Kräfte. „In einem gesunden, wachsenden Unternehmen sollte dies auch eine Selbstverständlichkeit sein“, erläutert Kreuter. Trotzdem bleibt der Lohn natürlich nicht die einzige Stellschraube, eher eine Grundvoraussetzung. Die Vision, der Spirit eines Unternehmens und die Atmosphäre in den Teams sind den heutigen Bewerbern wichtiger denn je. Der Multiunternehmer weiß: „Arbeitnehmer sollten Benefits anbieten, die sonst nur wenige gewähren. Kostenloser Kaffee oder der berühmt-berüchtigte Obstkorb unterscheiden Unternehmen nicht mehr von der Konkurrenz. Außergewöhnlicher sind beispielsweise immer noch die sogenannte Workation, kostenlose Massagen oder ein Babysitter-Service.“ Gerade die Möglichkeit, mal die Kinder entweder an den Arbeitsplatz mitzubringen oder durch eine Betreuung des Arbeitgebers gut untergebracht zu wissen, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. „Das ist nicht nur ein interessanter Aspekt, um Kandidaten vom Unternehmen zu überzeugen, sondern auch eine tolle Möglichkeit, Fehlzeiten aufzufangen. Also insgesamt ein Boost für die Arbeitgebermarke und für die wirtschaftliche Situation des Unternehmens“, so Kreuter.

Die Marke macht’s

Es ist höchste Zeit, in die Arbeitgebermarke zu investieren. Denn der Arbeitsplatz entwickelt sich zum Produkt, der Arbeitnehmer zum Kunden. „Nicht alle HR-Verantwortlichen haben das in Gänze verstanden. Employer Branding gehört daher ganz oben auf die Agenda – damit lassen sich nämlich gleichermaßen neue Mitarbeiter werben und bereits Bestehende an das Unternehmen binden“, betont Kreuter. Neben einer spitz zugeschnittenen Arbeitgebermarke bringt auch eine Vernetzung mit möglichen Kandidatenzielgruppen so manches Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Fachkräften weiter. Individuelle und persönliche Kommunikation ist hier der Schlüssel. „Verläuft dann das Recruiting schnell und zielgerichtet, fühlen sich Bewerber wertgeschätzt und lassen sich eher auf eine Stelle ein“, berichtet der Unternehmer. Allein der Recruitingprozess hat sich in den letzten Jahren immens weiterentwickelt: Social Recruiting ist das Motto der Stunde. Ads und Funnel auf Instagram, LinkedIn und Co. haben eine hohe Sichtbarkeit und die Schwelle, sich zu bewerben, ist zumindest beim ersten Schritt niedriger. So angeln sich Unternehmen heutzutage ihre Fachkräfte. Für Führungskräfte gibt es kein Vorbeikommen am Headhunter. „Qualifizierte Arbeitnehmer wollen gefunden werden. Gleichzeitig schieben immer noch zu viele Unternehmen ihren Personalengpass auf den Fachkräftemangel. Die qualifizierten Kräfte arbeiten eben meist nur in Betrieben, die ihnen mehr Perspektiven bieten“, stellt Kreuter fest.

 

[1]https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Fachstatistiken/Gemeldete-Arbeitsstellen/Gemeldete-Arbeitsstellen-Nav.html

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