Der „Islamophobie“-Vorwurf soll Kritiker mundtot machen

Allah und die Linke

islamische gebet silhouette moschee mann religion, Quelle: mohamed_hassan, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Ob nach der  Ermordung von Samuel Paty oder dem Attentat auf Salman Rushdie: aus Furcht, Rechten Zündstoff zu liefern, schweigt die parteipolitische und außerparlamentarische Linke zum Thema Islam. Der „Islamophobie“-Vorwurf soll Kritiker mundtot machen. Es ist an der Zeit, die Zurückhaltung im Umgang mit dem politischen Islam aufzugeben. Galt nicht Religionskritik spätestens mit Voltaire einmal als Selbstverständlichkeit? Ein Plädoyer für Denk-, Rede- und Meinungsfreiheit. Von Helmut Ortner.

Die Tat war barbarisch: Am 16. Oktober 2020 wurde der 47-jährigen Lehrer Samuel Paty nahe seiner Schule im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine auf offener Straße  enthauptet. Der Täter: Abdullah Ansorow, ein islamistisch motivierter 18-Jähriger tschetschenischer Herkunft. Patys »Verbrechen«: in seiner  Unterrichtsstunde zur Meinungsfreiheit hatte er Mohammed-Karikaturen aus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo gezeigt. Er wollte Denken lehren, nicht Glauben.

Der Mord löste Entsetzen aus. Präsident Macron hielt danach auf einer Trauerfeier ein Plädoyer für Meinungsfreiheit und verteidigte die religionskritischen Karikaturen und Texte. Dafür bekam er viel Kritik, vor allem in der islamischen Welt. Das sunnitische Rechtsinstitut Al Azhar in Kairo verurteilte Macrons Aussagen als »rassistisch und dazu geeignet, die Gefühle von zwei Milliarden Muslimen in der Welt entflammen zu lassen«. Kurz darauf kam es zu »entflammten« Protesten in muslimischen Ländern und zu Boykottaufrufen gegen Frankreich. Beschämend aber: Macron erhielt kaum Rückendeckung aus Europa, auch nicht aus Deutschland. Keine klaren Worte aus der Politik. Keine Zeitung druckte die Karikaturen (über die Paty aufklären wollte ) nach, nirgendwo gab es Solidaritäts-Demonstrationen. Man blieb im Allgemeinen, verurteilte den »Terror, woher auch immer er kommt…«. Von religiösem Wahn wollte niemand reden.

Nach Paris kam Nizza, dann Wien: Allahs verwirrte Bodentruppen setzten ihren mörderischen Amoklauf fort.  Er ist der blutige Begleitrahmen eines Prozesses, der seit einigen Jahren in Gange ist: die Einschüchterung des Denkens, das Bekämpfung des Rechts auf freie Meinung, einschließlich des Rechts auf Spott.  Während die Kritik an den Kirchen und am Christentum –  inklusive derber Witze über Papst und Klerus – als legitim anerkannt ist,  wird Kritik am Islam mit dem Vorwurf der Islamophobie zum Schweigen gebracht.  Der Islam wird großflächig exkulpiert.

Dass der mörderische Terror »nichts mit dem Islam zu tun hat«, das behaupten gerne weite Teile des linken Polit-Milieus. Wer den Islam als doktrinäre, meinungs- und frauenfeindliche Ideologie brandmarkt, wird schnell des Rassismus verdächtigt. Der Begriff Islamophobie wird zum Verteidigungs-Kampfbegriff gegen jeden Kritik am Islam gemacht. Das  kritische linke Welt-Bewusstsein – ansonsten jederzeit und allerorten gegen abrufbar – kommt zum Erliegen.  Eine fragwürdige linke Einäugigkeit. Was ist da los?

Warum schweigt die politische Linke, präziser: das linksliberale  Moralmilieu, wenn die Werte der Aufklärung durch fundamentalistische Islamisten bedroht werden? Wie ist es möglich, dass einer sich als emanzipatorisch verstehenden Linken ausgerechnet in der Auseinandersetzung mit dem Islam ihre Sprache abhandenkommt? Man sollte meinen, für Aufklärung und Freiheit zu kämpfen, gehöre zur politischen DNA der kulturell-politischen Linken.

Schon nach dem Mordanschlag auf  die Charlie Hebdo-Redaktion am 7. Januar 2015, als zwei maskierte Täter in die Pariser Redaktionsräume der Satire-Zeitschrift eindrangen und elf Menschen bestialisch ermordeten (darunter ein zum Personenschutz abgestellter Polizist und ein weiterer Polizist auf der Flucht), gab es zahlreiche französische linke Intellektuelle, die die „Verantwortungslosigkeit“ des Satiremagazins beklagten. Sie machten Charlie Hebdo letztlich selbst für das Blutbad verantwortlich, weil Zeichnungen im Blatt immer wieder islamfeindlich gewesen seien. Beispielsweise auf einer Titelseite aus dem Jahr 2006, die Kurt Westergard gewidmet war, der wegen seiner Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten ebenfalls von Fundamentalisten mit dem Tod bedroht worden war. Was war auf dem Titelblatt zu sehen?

Ein bärtiger Mann mit Turban hält seinen Kopf zwischen den Händen. Er weint oder ist sehr ärgerlich. In der Sprechblase steht: „Schon hart, wenn einen Idioten lieben…“. Die Zeilen über der Zeichnung erläutern: „Mohammed beklagt sich… Er wird von Fundamentalisten überrollt!“. Der Prophet beklagt sich also über die Haltung seiner fanatischen Anhänger. In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft nennt man das politische Karikatur. Nicht jeder muss über diese Karikatur schmunzeln, jeder darf sich beleidigt fühlen. Aber Frankreich hat den Blasphemie-Paragraphen, dieses „imaginäre Verbrechen“ (Jaques de Saint Victor) schon 1871 abgeschafft.

Die Beschwörung des »Respekts vor religiösen Anschauungen«

In der Beschwörung des „Respekts vor religiösen Anschauungen“ sind sich alle Religionen einig, und mittlerweile nicht nur die. Pochten früher nur ultra-religiöse und konservative Kreise auf unbedingte Einhaltung der „Gewissens- und Religionsfreiheit“ (deren Einschränkung ja nirgendwo propagiert wird, allenfalls das Recht, Religionen, ihre Dogmen und Verkünder zu kritisieren oder diese zu verspotten), machen sich mittlerweile auch vermeintlich progressive, antirassistische Bewegungen für die Einschränkung oder Abschaffung der Meinungsfreiheit stark. Das Bündnis zwischen Religionsvertretern und progressiven Denkern sagt viel aus über die geistige dogmatische Verwandtschaft. Alle diese Bedenkenträger äußern, dass die „Laizität“ achtenswert sei, »solange sie alle religiösen Anschauungen« akzeptiere. Dabei hat der Laizismus stets die Gläubigen, nie aber eine einzige Religion beschützt. Viele halten politische Karikaturen, in denen Propheten und Götter nach Gusto des Zeichners „sichtbar“ gemacht werden für strafwürdige Blasphemie und Charlie Hebdo nach wie vor für eine islamophobe, rassistische Zeitung. Ein heuchlerischer Vorwurf.

Cinzia Sciuto, in Deutschland lebende Korrespondentin der italienischen kultur-politischen Zeitschrift MicroMega beschreibt in ihrem lesenswerten Buch »Die Fallen des Multi-Kulturalisimus«,  ein simples Experiment, um den instrumentellen Charakter des Wortes Islamophobie zu verdeutlichen:

»Auf Demonstrationen sieht man seit jeher aggressiv anti-religiöse und blasphemische Schilder und Slogans, was die [christliche] Kirche gewiss nicht erfreut. Man kann diese Slogans unangebracht, unangemessen, geschmacklos und noch vieles mehr finden, aber bisher wurde noch niemand, der sie präsentiert hat, der ‚Christophobie‘…«.

Während die Kritik an den Kirchen und am Christentum – inklusive derber Witze über Papst und Klerus – als legitim betrachtet wird, wird Kritik am Islam mit dem Vorwurf der Islamophobie zum Schweigen gebracht, gerne mit dem Hinweis, dass es sich dabei um die Religion einer Minderheit handelt, die häufig rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sei.

»Warum schweigt die politische Linke, präziser: das linksliberale  Moralmilieu, wenn die Werte der Aufklärung durch fundamentalistische Islamisten bedroht werden? «

Tatsache ist: wenn es um den politischen Islam geht, ist ein großer Teil der bundesdeutschen Linken bislang fatalerweise sprachlos. Sie sollte ihr unangenehm auffälliges Schweigen beenden.  Es steht der Vorwurf im Raum, in linken Weltbildern gebe es „richtige“ und „falsche“ Opfer oder Täter. Das linke Schweigen ist ignorant und beschämend. Und es wird ausgenutzt. Es ermöglicht den Fundamentalisten einerseits und Funktionären der muslimischen Verbände anderseits, den öffentlichen Diskurs und das kollektive Bewusstsein zu besetzen. Beispielsweise wenn sie – aufgerufen und organisiert von DITIB und anderen Islamverbänden – auf die Straße gehen. Nicht gegen den Terror irrsinniger Glaubensbrüder oder für Meinungs- und Religionsfreiheit, noch weniger aus Solidarität mit den Opfern und deren Angehörigen. Ihr demonstrativer Abwehr-Mechanismus: „Es ist nicht unsere Schuld, wir müssen uns nicht rechtfertigen“.

Immerhin: nach den neuerlichen Attentaten in Paris, Nizza und Wien im Herbst 2020 kritisierten nun auch endlich einige linke Prominente in das Schweigen.  SPD-Vielredner Kevin Kühnert sprach im Oktober 2020 von einem „blinden Fleck der Linken“ und forderte die Linken in einem SPIEGEL-Gespräch  auf, »ihr Schweigen zu beenden«. Kurz darauf meldete sich auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch: „Die Linke sollte ihre falsche Scham ablegen“, forderte er einem SPIEGE-Beitrag., ebenfalls Schluss mit der Zurückhaltung! Spät, aber immerhin: Neue Töne aus dem linken Toleranz-Universum.

Freilich, es gab – auch wenn mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt –  einzelne, wenige Zeichen linker Solidarität gegen den Islamismus. Etwa 1989, als Salman Rushdies »Satanische Verse« erschienen und der iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini mit einer Fatwa dazu aufrief, den Schriftsteller wegen Gotteslästerung zu töten. Die linke Tageszeitung taz  wollte sich nicht nur auf die Berichterstattung beschränken und veröffentlichte   – auch weil kaum jemand die »Satanischen Verse« kannte – auf ihrer Titelseite verteufelte Auszüge aus dem Buch mit einem Foto von Salman Rushdie. Es war ein mutiges Bekenntnis der Solidarität und ein eindeutiges Plädoyer für Meinungsfreiheit, zumal sich andere angesehene Tageszeitungen eher bedeckt hielten. Seither war Rushdie immer gefährdet und er wusste dies auch. Unverhohlen wollte und will das iranische Mullah-Regime den britisch-indischen Schriftsteller umbringen lassen – seit 34 Jahren. Begründet wird dieses Todesurteil damit, Rushdies Buch sei nach wie vor „gegen den Islam, den Propheten und den  Koran”.

Politiker und Intellektuelle haben Rushdie im Stich gelassen

Trotzdem hat er sich in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit gezeigt, hat weitere Bücher verfasst und Vorträge gehalten.  Seit der Jahrtausendwende lebte er überwiegend in New York City, wo er nun vor wenigen Wochen kurz vor Beginn einer öffentlichen Veranstaltung über die USA als ”Ort des Asyls für Autoren und andere Künstler und als Heimat der Redefreiheit“ mit einem von einem 24jährigen islamistischen Fanatiker Messer attackiert und schwer verletzt wurde. Rushdie hat überlebt.

Der iranische Regierungssprecher Nasser Kanaani gab nach dem Mordversuch Rushdie in einer zynischen Stellungnahme selbst die Schuld: “Bei diesem Angriff ist niemand anderer als Salman Rushdie und seine Unterstützer verantwortlich zu machen oder gar zu verurteilen.“ Indem er die heilige Sache des Islam beleidigt und damit für mehr als 1,5 Milliarden Muslime rote Linien überschritten habe, habe sich Rushdie “selbst dem Volkszorn ausgesetzt.“ Niemand habe das Recht, der Islamischen Republik Iran die Schuld zuzuweisen, so Kanaani. Eine infame, abstruse Schuldzuweisung. Und doch meinen gläubige Islam-Experten einmal mehr davor warmen zu müssen, den Islam generell zu kritisieren.  Sie sehen in dem Attentäter – wieder einmal – einen verwirrten Einzelgänger. Eine bequeme  Realitätsverweigerung.

Für Hamed Abdel-Samad, libanesisch-deutscher  Politikwissenschaftler und als Autor islamkritischer Bücher ebenso geschätzt  (seine Bücher sind allesamt Bestseller),  wie verhasst (von Islamisten jeglicher Couleur) pure Heuchelei. In einem Interview in der ZEIT macht er seinen Ärger Luft: ”Mich macht wütend, wenn es im Westen heißt, islamistische Attentäter seien nur einzelne Spinner, auch dürfe man religiöse Gefühle nicht verletzen. Das ist keine Toleranz, sondern Heuchelei – sie schafft Rückzugsräume für autoritäre Subkulturen. Westliche Politiker und Intellektuelle haben Rushdie im Stich gelassen, weil sie nicht zur Meinungsfreiheit standen. “

Ja, alle Tageszeitungen berichteten über das Attentat. Niemand aber hatte den Auszüge aus den Satanischen Versen zu veröffentlichen, möglichst – wie weiland die taz – auf der Titelseite.  Warum eigentlich nicht?   Ob links, liberal oder konservativ:  alle  müssen die  Stimme erheben, weil es auch ihre proklamierten Werte sind, die bei ausnahmslos jedem islamistischen Terroranschlag mit Füßen getreten und mit Sprengsätzen in die Luft gejagt werden. Es geht um den Kampf gegen Terror und religiöse Anmaßung ­ ­–  um die Verteidigung der Weltlichkeit unseres demokratischen Verfassungsstaates und gegen religiösen Wahn.

Übrigens: der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy hat im „Journal du dimanche“ vorgeschlagen, Rushdie mit dem Literatur-Nobelpreis 2022 auszuzeichnen. Eine gute Idee.

Buch-Hinweis:

Helmut Ortner

WIDERSTREIT – Über Macht, Wahn und Widerstand

Nomen Verlag, 248 Seiten, 20 Euro

Über Helmut Ortner 96 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.