Der Garten als Tusculum

Einleitung1

Mit der Einladung, über den „Wielandgarten“ zu sprechen, haben sie mich in einige Verlegenheit gebracht. Der Garten in Oßmannstedt ist ja mehr als nur der Garten des Literaten, seine Geschichte umspannt einen Zeitraum, der im Jahre 1756 beginnt und permanent endet. Das Engagement, den Park und seine Geschichte zu bewahren, war das Anliegen der Oßmannstedter und verdankte sich dem Einsatz vieler Bürger. Die Wiederbelebung des Gutshauses und des Parks wird momentan von dem bekannten Literaturprofessor Jan Philip Reemtsma vorangetrieben. Durch die großzügige finanzielle Unterstützung wird es möglich, sowohl Veränderungen am Garten vorzunehmen als auch ein Bildungskolleg einzurichten, das Wielandforschern aus aller Welt die Möglichkeit zum Gedankenaustausch gibt.

Einerseits muß ich zugestehen, daß ich kein profunder Wielandkenner bin, obwohl ich mich mit der Thematik intensiv auseinandergesetzt habe. Andererseits stellen kleine Gärten wie der Park in Oßmannstedt den Interpreten immer vor Schwierigkeiten, da es wenig Literatur dazu gibt, die Quellenlage also schwierig bleibt. Anders als große Barock- Renaissance- und Landschaftsgärten ist der Park eher eine Randerscheinung der Gartenkunst, was jedoch nicht bedeutet, daß das Gesamtkunstwerk Oßmannstedt zu vernachlässigen wäre. Durch den Aufenthalt Wielands erhält der Garten eine übergeschichtliche Bedeutung, er bleibt für das Kulturerbe und insbesondere für die Weimarer Klassik ein wichtiges Zeugnis, das man neben die berühmteren Anlagen, dem Park an der Ilm, dem Ettersburger Park, dem Tiefurter Park und Belvedere stellen kann. Leider erwähnt der berühmte Gartentheoretiker Hirschfeld den Oßmannstedter Park nicht, sondern wendet sich in seiner fünfbändigen „Theorie der Gartenkunst“ nur dem Park an der Ilm und dem Ettersburger Garten zu.

Mit dem Garten, seiner Entstehung, Planung, Veränderung beschäftigen sich Frau Schneider und Herr Dr. Freitag, sie sind wohl die profundesten Kenner der Oßmannstedter Anlage. Ich möchte Frau Angelika Schneider herzlich danken, von der ich wichtige Details erfuhr.

Entgegen der Ankündigung „Der Wielandpark in Oßmannstedt“ möchte ich einen anderen Einstieg wählen. Meinem Vortrag gebe ich die Überschrift „Der Garten als Tusculum“. Natürlich werde ich auf die Geschichte des Parks eingehen, daß Hauptaugenmerk liegt aber auf der Beziehung zwischen Wieland, seiner Literatur und Philosophie und dem Garten. Fragen sind in diesem Zusammenhang zu stellen, die beantworten, wie der Garten zu Wielands Zeit ausgesehen hat. Warum hat sich Wieland diesen Garten als Alterssitz auserwählt und was bewog Wieland letztendlich dazu, Gärten als „glückselige Inseln“ zu bezeichnen? Ich möchte den Vortrag in fünf Kapitel aufgliedern. Ein erster Teil beschäftigt sich mit der geistigen Situation der Zeit und ihren philosophischen Grundlagen, die für Wieland maßgeblich waren. Ein zweiter Teil nähert sich dem Garten in Oßmannstedt und seinen geschichtlichen Ursprüngen an. Ein dritter Teil wendet sich der Thematik des Todes und dem Gedanken vom Elysium zu. Der sich daran anschließende vierte Teil beschäftigt sich mit anderen Gärten, die Wieland kannte. Ein abschließender Teil sucht nach Wielands eigenen Vorstellungen vom Garten.

1. Der philosophische Hintergrund

Gärten spielten in Wielands Leben sowohl in seiner Heimatstadt Biberach, in Warthausen, wo sich seine ehemalige Verlobte Sophie von La Roche aufhielt, in Weimar und in Oßmannstedt eine besondere Rolle. Er suchte im Garten in allererster Linie einen Rückzug aus der Alltäglichkeit. Das Erlebnis der Intimität teilt Wieland zeitgleich mit dem berühmten Dessauer, dem Fürsten Franz III von Anhalt Dessau und mit vielen Adligen und Intellektuellen, für die der Garten die einzige Zuflucht war, um der höfischen und gesellschaftlichen Etikette zu entfliehen.

In der damaligen Naturpoesie und Naturphilosophie des französischen Aufklärers Rousseaus und des aufgeklärten englischen Ästheten und Moralisten Shaftesbury, die Wieland nicht nur dem Namen nach kannte, sondern sich mit diesen Philosophen schon in seiner frühen Biberacher Zeit, in seiner Züricher Zeit bei Bodmer und während seiner Philosophieprofessur in Erfurt, auseinandersetzte, verstand man den Garten als einen Ort der sinnlichen und freiheitlichen Selbstbestimmung des Individuums. Zwar kritisierte Wieland Rousseaus Vorstellungen von einer Lebensform vor der Zivilisation, er teilt aber mit diesem den Naturalismus und die Gesellschaftskritik. Ebenso kann er ihm zustimmen, wenn er die zivilisatorischen Stilblüten der modernen Kultur, die auch für ihn manches Befremdliche und Verdorbene mit sich führen, kritisiert. Rousseaus Forderung zum unbeschränkten „Zurück zur Natur“ und den Gedanken vom „état naturel“ teilt er nicht.2 Dennoch müssen, wie die Korrespondenz mit Julie von Bondeli belegt, Rousseaus Gedanken zur Natur, zum Garten und zur Erziehung auf Wieland Einfluß geübt haben. Im „Émile“ legt Rousseau eine neue Erziehungsmethode vor, in seinem Briefroman „Julie ou la Nouvelle Héloïse“ verlegt Rousseau das philosophische Gespräch mit Saint Preux in den Garten. Das Betreten des Gartens stellt die Liebenden vor schwierige Aufgaben. Der Garten wird zum Ort der Prüfung und der Selbstreflexion. In Wielands Schriften der „Republick des Diogenes“, in den „Beyträge(n)“ zur Geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens“ und in den Essays „Über J.J. Rousseaus ursprünglichen Zustand des Menschen“ setzt sich Wieland intensiv mit der Kulturtheorie Rousseaus auseinander. Auch Shaftesburys Denken beeinflußte ihn, dessen Schriften er im Original gelesen hat, da er sich die englische Sprache, die für seine Shakespeareübersetzung die Voraussetzung war, aneignete. Wie bekannt, las Wieland nicht nur englische Autoren, sondern auch die für die englische Aufklärung und Gartenrevolution maßgebliche Zeitschrift, den „Spectator“. Die Kritik an der Regierung Robert Walpoles, die Auseinandersetzung mit den Törries, durch aufgeklärte Whigs ließ den „Spectator“ zu einer liberal gesinnten Zeitschrift werden. Die moralische Wirkung der freien Natur und die in den Nummern 411-4213 durch Joseph Addison proklamierte neue wirkungsästhetische Beurteilung der Natur ist Wieland nicht entgangen.

Shaftesbury hatte einen maßgeblichen Anteil am neuen Naturbild. Das Verhältnis zwischen Natur und moralischer Erziehung wurde von ihm besonders gründlich bedacht. In seinem Werk „Die Moralisten“ verleiht er einerseits seiner neuplatonischen und andererseits seiner aufklärerisch fundierten Naturauffassung über die kosmische Gesamtheit und die Stellung des Menschen Gestalt. „Wielands eigene Erziehungsschriften waren von dieser Rezeption des englischen Philosophen beeinflußt, und der schärfer blickende Lessing bemerkt in den Literaturbriefen kritisch, daß der immer so christlich argumentierende Wieland hier den Falschen ,zum claßischen Schriftsteller' macht, denn: ,Shaftesbury ist der gefährlichste Feind der Religion, weil er der feinste ist'. Lessing bezweifelt außerdem, daß Wieland so ohne weiteres den Begriff der ,Kalokagathia' (Schöngutheit, Herv. S. G.) der Griechen mit dem von Shaftesbury's ,virtuoso' identifizieren dürfte.“4 Trotz der Kritik Lessings gibt es eine Vielzahl von Parallelen zwischen beiden Denkern. Der ironisch-sarkastische Stil Shaftesburys, der unter dem sogenannten „test of ridicule“ bekannt wurde, die Verbindung zwischen Vernunft und Affekten, wobei letztere nicht mehr wie in der platonischen und neuplatonischen Tradition üblich, negativ beurteilt wurden, prägt das Werk Shaftesburys, der sich mit der Affektenlehre an seinem Lehrer John Locke anlehnt. Die Beziehung zwischen Verstand und Gefühl zu ergründen, wurde ein Thema Wielands. Shaftesbury und Wieland teilen die Idee von der Beziehung zwischen Gutheit und Schönheit im Sinne einer universalen Harmonievorstellung. Den Kosmos begreifen sie als ein harmonisch geordnetes Ganzes, in dem Teil und Ganzes in wechselseitiger Beziehung stehen. Beide gewinnen ihr harmonisches Weltverständnis in der Auseinandersetzung mit der antiken Literatur. Wieland hatte bereits in seiner frühen Schrift „Die Natur der Dinge“ – in Tübingen verfaßt – kosmologische und anthropologische Ideen vorgestellt, die an das Lehrgedicht von Lukrez „De rerum natura“ anknüpfen. In „Die Natur der Dinge“ kritisiert Wieland bereits im ersten Buch den Monismus und Pantheismus Spinozas und redet explizit von der Unendlichkeit Gottes als des Schöpfers. Die Gottesrede erinnert stark an die platonische negative Theologie, mit der Naturphilosophie entwirft Wieland ein Bild der Natur, die er als schönes und harmonisches Abbild des Göttlichen versteht. Wieland verwirft nicht nur den Okkasionalismus Malebranches, die „harmonia praestabilitia“ und den „influxus physicus“ Leibniz', er hält an der „Kette der Wesen“ fest, denn er versteht wie beispielsweise Pseudo Dionysius Areopagita die Welt der Wesen als eine Stufenleiter, die vom höchsten bis zum niedrigsten Wesen herabreicht. Jedem Individuum ist es möglich, an der Kette der Wesen zu partizipieren, um zu Gott hin aufzusteigen. Der Tod wird in diesem Zusammenhang nicht als Schicksal erfahren, sondern als das notwendige Durchgangsstadium, das die Annäherung an Gott ermöglicht.

Wieland teilt mit Shaftesbury unter anderen die Vorstellung von der heilsamen Funktion der Ironie. Die Ironie ist das Maß der Mitte, mit ihr lassen sich dogmatische Vorstellungen entlarven, sie fungiert außerdem als Methode, die den Schein vom Sein trennt. Wie für Shaftesbury ist die Ironie für Wieland ein Gradmesser, mit deren Hilfe man Sophistereien kritisch hinterfragt. Auch der Witz hat für Wieland eine weitreichende Funktion. Im „Musarion, oder von der Philosophie der Grazien, in drey Büchern“ schreibt Wieland: „Bescheidne Kunst, durch ihren Witz geleitet, Gieb der Natur, so weit sein Landhaus sich verbreitet, Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt. Ein Garten, den mit Zephirn und mit Floren Pomona sich zum Aufenthalt erkoren; Ein Hain, worin sich Amor gern verliert, Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet; Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet, An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht; – im Garten einer Sonnenlaube […].“5

Wielands Vorstellungen zum Hofleben sind ambivalent, sie schwanken zwischen Akzeptanz und Ablehnung. Wieland kokettiert einerseits mit dem Weimarer Musenhof und dem Kaiserhof in Wien, andererseits übt er wie Shaftesbury Kritik am Hofleben, am Amüsement, an der Urteilsunfähigkeit und an der gelangweilten Selbstgenügsamkeit. Mit Shaftesbury sehnt er sich nach der Freiheit in der Natur und der damit verbundenen Autonomie des Subjektes. Wie Shaftesbury lehnt sich Wieland an die Antike an, diese wird als moralisches Vorbild verstanden. Mit der Wiederbelebung antiker Geisteshaltungen wollen sie der aufgeweichten Moralität des 18. Jahrhunderts begegnen. Der Rekurs auf die „heilige“ Antike zeigt bei beiden Denkern, daß man die Moderne durch die antike Weltsicht und die Vorstellung von einem Arkadien oder vom „goldenen Zeitalter korrigieren will. Wieland glaubt ebensowenig wie Shaftesbury an eine moralische Vorsehung, die mit dem Gedanken der Theodizee, d.h. mit der Frage nach dem Bösen in Verbindung steht. Die Erlösung vom Bösen, und dies ist eine lebenspraktische Maxime Wielands, ist an das Engagement des moralischen Ichs und an den als ein moralisches Wesen anzuerkennenden Adressaten ausgerichtet. Im fünften Buch der „Natur der Dinge“ schreibt er: „So schwindet nach und nach das Uebel aus der Welt, Das jetzt die Ordnung stört und unser Glück vergällt, So wird die Zukunft erst des Schöpfers Güte preisen. Dann löst sich alles auf; dem zweifelreichen Weisen, So wie dem Grübler, der vor Witz die wahre Bahn Verfehlte, wird das Buch des Schicksals aufgethan; Wer jetzt im Dunklen tappt, wird dann im Lichtmeer schwimmen […].“6 Der moralische Glaube an die sittliche Veränderung der Welt läßt Wieland zu einem aufgeklärten Denker werden.

Der Wunsch, der höfischen Welt zu entgehen und die damit verbundene Intensivierung des unmittelbaren freiheitlichen Erlebens korrespondiert mit den damaligen Freiheitsvorstellungen der englischen Aufklärer. Die englischen Adligen, die politisch enttäuscht wurden, zogen sich auf ihre Landsitze zurück, die sie nach ihren idealen Vorstellungen von der Welt und von der Natur ausstaffierten. Von dort aus betrieben sie Politik. Vor diesem Hintergrund kam es zur Unterscheidung zwischen der berühmten country-Partei und der berüchtigten court-Partei. Dichter wie Alexander Pope, Gartentheoretiker wie Horace Walpole suchten die Intimität und fanden sie in ihren eigenen Gärten in Twickenham oder in Strawberry Hill. Der Rückzug in die Intimität des Gartens hatte nicht nur einen antibürgerlichen oder antihöfischen Affekt, sondern ermöglichte den Individuen, den Garten als Ergänzung eigener Vernunftvorstellungen zu begreifen. Wieland schreibt am 25. 1. 1797: „ich muß aufs Land. Hier in Weimar wird mir der Geist durch den Hof, mein Körper durch das fatale Klima gemordet. Wollt ihr also mein längeres Leben, so misgönnt mir diese ländliche Ruhe nicht. Ich habe mir übrigens alle Nachtheile gedacht, welche diese Isolierung für mich haben kann. Allein Der ist glücklich, sagt Epiktet, der, was die Nothwendigkeit gebietet, gern thut. Mit dieser Lebensphilosophie bin ich immer ausgekommen.“7

Im Garten, und dies stimmt mit dem Aufklärungsdenken der damaligen Zeit überein, kommt es zu einer Auseinandersetzung mit der Natur. Der Garten – so hat ihn auch Wieland verstanden -, ist der Ort des schöpferischen Zu-sich-Kommens. Zeit seines Lebens betrachtete Wieland die Gärten, genauer seine Gärten, als Freiräume der Kreativität.

2. Der Oßmannstedter Garten

Der Gutspark in Oßmannstedt war zu Wielands Zeit weder ein gepflegter barocker noch ein englischer Garten, wenngleich der Lageplan Güssefeld's von 1776 nahelegt, daß es sich beim Gutsgarten in Oßmannstedt um einen Barockgarten handelt. Den Garten, den Wieland tatsächlich vorfand, war nicht mehr als eine landschaftliche Nutzfläche. Wieland, um dies bereits vorwegzunehmen, hat weder die barocke Gartengestaltung von Bünau und von Anna Amalia übernommen noch hat er das Gut in einen englischen Landschaftsgarten verwandelt. Wielands Leistung in Oßmannstedt ist viel bescheidener. Von einer Anlage im englischen Stil, die auf Wieland zurückgeht, kann man daher nicht sprechen.8 Gegen eine Parkanlage englischen Typs scheint auch zu sprechen, daß die ehemaligen Bassins der barocken Gartenanlage nicht modelliert wurden, wie dies in englischen Gärten damals üblich war. Das wellige Bodenmassiv wurde nicht verändert.

Sowohl die fünf Terrassen, die aus der barocken Anlage stammen und heute noch sichtbar sind als auch die Einsenkung der Becken, verdeutlicht, daß es sich im Gutspark um eine Anlage im barocken Stil handelte. Fraglich ist, woher Bünau das Konzept seiner Anlage übernommen hat. Er kannte mit Sicherheit barocke Anlagen aus Dresden. Die Grottenanlage mit dem wasserspeienden Delphin wurde nach dem Vorbild des Nymphenbades in Dresden angelegt. Analysiert man den Plan Güssefelds, dann zeigt sich der barocke Gestus der Anlage par excellence. Wie noch heute zu erkennen ist, hat diese Anlage tatsächlich bestanden. Betritt man das Anwesen durch die Mitteltür, heute geht man von Osten in die Anlagen, dann begegnet einem die barocke Brunnenanlage mit dem wasserspeienden Delphin. Es verwundert, daß man, wenn man das Hauptportal mit seinen Vasen aus Sandstein im Rokokostil betritt, auf die Hinterseite einer Staffage stößt, die die Sichtbeziehung zur Gartenanlage verstellt. Auf der linken Seite befindet sich das Gutspächterhaus, auf der rechten Seite die Vierflügelanlage mit dem geschlossenen Innenhof. Im ersten Stock zur Straße hin befand sich Wielands Arbeitszimmer. An das Wohnhaus Wielands sich anschließend, findet sich der Küchengarten, der sich fast bis zum mäandrisch anmutenden Flußbett der Ilm erstreckte, die Orangerie und vor derselben der ehemalige Rosengarten. Das für den Barockgarten unverzichtbare Corps de logis fehlt. An die Stelle des barocken Schlosses mit Innenhof treten zwei Luststücke und zwei Terrassen. Verfolgt man die Sichtachsenbeziehung, die sich aus dem Plan ergibt, zur Ilm hin weiter, dann schließen sich an den oberen Teil des Gartens ein großer Platz mit einer Terrasse und zwei Appareillen gegen die oberen Cabinets an.

Betritt man den Gutshof, der heute als barocke Anlage erscheint, dann sieht man die vier Putten, die die vier Jahreszeiten symbolisieren und die dort in den 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgestellt wurden. Diese moderne Gestaltung deckt sich nicht mit der Legende Güssefelds. Im Plan sieht man keine barock-floralen Muster, der Gutshof war wahrscheinlich, wie damals üblich, mit einer reinen Kiesbettfläche ausgestattet. Steht man vor dem Brunnen und blickt über die Terrassen zur Ilm herab, dann sieht man im Plan Güssefelds vier barocke Flächen, die durch eine Mittelachse getrennt sind. Auf einer zweiten, tiefer zur Ilm hin gelegenen Fläche teilt sich der Garten wiederum in vier Flächen auf. Folgt man der Querachse, dann findet man im Plan zwei Pavillons. Diese waren mit Zeichnungen Oesers, der 1794 nach Weimar gekommen war, ausgeschmückt. Zu Wielands Zeiten waren die Pavillons jedoch nicht mehr vorhanden. Bei den beiden Pavillons enden die beiden großen Lindenalleen am östlichen und westlichen Rand des Gartens. Im mittleren Teil der barocken Gartenanlage befand sich eine doppelte Terrasse, die den oberen und den unteren Garten teilte. Südlich von dieser Terrasse befand sich im unteren Parterre ein Theater, ein „Caroussel“, ein Salon und Boscagen, die in der Zeit, als Anna Amalia der Garten gehörte, angelegt wurden. Der untere Teil des Gartens besteht aus einer großen Boscage mit Alleen, zwei Bassins, zwei kleinen Kaskaden, zwei Bosquets und einem „Bolingrin mit Fontaine“. Der ansonsten ummauerte Garten endet im Süden am Flußarm der Ilm, die die natürliche Grenze des Gartens bildete. Schon in der barocken Anlage findet der Besucher einen „belt walk“, der für den englischen Garten typisch werden sollte. Dieser Umgangsweg folgt aber nicht der Hogarth'schen S Kurve, sondern ist geometrisch. Trotz dieser geometrischen Wegführung ist nicht zu übersehen, daß der Weg, wie später im englischen Garten, Blickpunkte in die ungezähmte Natur freigibt und es dem Betrachter erlaubt, von der domestizierten in die freie Natur zu blicken. Wieland ist diesen Weg öfters gegangen.

Wenn man unter einem Gartenprojekt ein detailliert-ausgeführtes Programm versteht, das auf kunsthistorische und philosophische Konzeptionen Bezug nimmt, zählt der sogenannte Wielandgarten in Oßmannstedt nicht dazu. Selbst der Name „Wielandgut“ ist befremdlich, da der Literat der Vorklassik, des Rokoko und der Prinzenerzieher von Carl August keinen eigenen Gartentyp schuf, der mit den übrigen Gärten in Weimar konkurrieren konnte. Sechs Jahre, von denen er sich nur zwei Jahre intensiv mit dem Garten auseinandersetzte, reichen nicht aus, um ein Gartenprojekt im großen Stil umzusetzen. Carl August und Goethe verwendeten weit mehr Energie, um ihre Gärten an einem Gartentypus auszurichten als dies bei Wieland der Fall war. Wieland verfolgt die Gartengestaltung in Weimar. Schon bevor er nach Oßmannstedt kam, teilt er mit Goethe die Freude, ein Bürger Weimars zu sein, weil er einen Garten erwarb. In einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi schreibt er:

„Habe ich Dir schon gesagt, das Göthe und ich zu gleicher Zeit, jeder einen Garten vor der Stadt gekauft haben, und in Kraft dessen förmlich und feierlich Bürger von Weimar geworden sind? […] Bilde Dir ein, daß es ungefähr so ein Garten ist, wie das kleine Gut, das Plinius dem Sueton kaufen will, ein Landgut war, d.i. gerade so, wie ihn ein Müßiggänger meiner Art vonnöthen hat; Bäume genug um Schatten zu haben, und groß genug, daß meine Mädchen sich müde darin laufen können. Seitdem die Kirschbäume zu blühen angefangen haben, bin ich nun den ganzen lieben Tag draußen, und habe es schon so weit gebracht, daß mir in meinen vier Mauern in der Stadt nirgends wohl ist, bis ich meinen Stab in der Hand habe, um hinauszugehen, und im Freien, im Grünen, unter meinen Bäumen im Angesicht meiner eigenen kleinen Planzungen, zu leben und zu wallen, und den unendlichen Erdgeist einzubeziehen, mit dem ich je länger je mehr Sympathie und Verwandtschaft fühle.“9

Eine andere Stelle belegt die Freude über den Erwerb des Gutes.

„Tiefurt muß jetzt ein wahres irdisches Elysium seyn. Auch mein verwildertes Osmantinum ist in seiner noch rohen Gestalt nicht ohne Reiz, wenigstens für einen so schwärmerischen alten Liebhaber der Natur […]. Vielleicht macht gerade dieser Umstand, daß noch so sehr viel daran umzuschaffen und zu verbessern, auszurotten und zu pflanzen, einzureißen und zu bauen ist, einen wesentlichen Theil des unerschöpflichen Interesses aus, den dieses kleine Besitzthum für mich hat.“10

Überblickt man die Jahre von 1797-1803, in denen Wieland in Oßmannstedt Zuflucht suchte, dann nutzte Wieland, wie die neuere Forschung belegt, den Garten vorrangig zum landwirtschaftlichen Anbau. Die Zahl der Pflanzungen – speziell von Obstbäumen – belegt, daß Wieland seinen Garten als Nutzfläche verstand. 1798 schreibt Wieland in einem Brief an Heinrich Merck, der ein treuer Freund von Anna Amalia war, in Darmstadt:

„Ich sollte also sagen, ich habe mein Vergnügen daran, überall fruchttragende Bäume und eßbare Pflanzen zu sehen, und in Beet voll blühender Erbsen macht mir ebensoviel Spaß als einem Blumisten ein Beet voll stolzierender Tulpen oder Hyacinthen, und ich freue mich über jede kleine Schote, die aus ihrem weißen Westerhemdchen [Taufhemdchen] hervorwuselt, als ob mir gar viel daran gelegen wäre, und gucke alle Tage zwey dreymal, wie sich ihre Zahl stündlich vermehrt, und wie es um meine Päffbohnen, Zuckerschoten, Frühmöhren, Salatstöcke u.s.w. steht.“11

Ganz anders beschreibt Goethe das Landgut, wenn er in einem Brief an Schiller am 21. Juni 1797 bemerkt:

„Vorgestern habe ich Wieland besucht, der in einem sehr artigen, geräumigen und wohnhaft eingerichteten Hause, in der traurigsten Gegend von der Welt, lebt, der Weg dahin ist noch dazu meistentheils sehr schlimm. Ein Glück ists, daß jedem nur sein eigner Zustand zu behagen braucht, ich wünsche, daß dem guten Alten der seinige nicht verleiden möge! Das Schlimmste ist wirklich nach meiner Vorstellung, daß bei Regenwetter und kurzen Tagen an gar keine Kommunikation mit andern Menschen zu denken ist.“

Anders als Goethe beurteilt Wieland seine neue Residenz. Er schreibt am 1. April 1797 an Anna Amalia:

„Meine Villa verhält sich zu jener, welche Ew. Durchlaucht in dem hiermit zurückgehenden schönen Briefe so reitzend dargestellt und charakterisiert haben, ungefähr wie die Stadt Weimar zur Stadt Rom, oder wie das ehemalige Tiburtium … zu dem Sabino eines Horaz sich mag verhalten haben. Von letztem habe ich schon lange die Kunst, mit wenigem vergnügt zu seyn abzulernen gesucht, und auch ich kann, wie er, sagen: die Götter haben mehr für mich gethan, als ich einst nur zu wünschen gewagt. Ich hoffe im Schoß der Natur und der Ruhe, mit den Meinigen und den Musen, die ihren alten Priester nie ganz verlassen werden, den Rest meiner Tage so glücklich zu verleben, als meine Freunde mir nur wünschen können: aber niemals! Niemals! Werde ich der wohltätigen Hand vergessen, durch welche das Schicksal mir ein so liebliches Looß zu Theil werden ließ! Immer werde ich, Gnädigste Herzogin, in Ew. Durchlaucht und in dem Durchl. Herzog, Ihrem würdigsten Sohn und Erben Ihre Liebe zu allem was Schön und Groß in Natur und Kunst ist, die gütigen Schöpfer meines Glückes mit dankvollen Herzen verehren, und in diesem Gefühl bis ans Ende meines Lebens beharren.“

Die von Wieland ersehnte Flucht aus der Urbanität und aus dem höfischen Zwangskorsett wurde ihm in seinem „Osmantinum„, das er nach dem „Sabinum“ von Horaz benannte, möglich. Bereits in Goethes „Werther“ finden sich Anspielungen, die den Gegensatz zwischen der als unangenehm empfundenen Stadt und der „paradiesisch“ ländlichen Landschaft betonen. Zwar war Wielands Verhältnis zu Goethe nicht ungetrübt, dennoch erkannte er den Adlaten des Weimarer Musenhofes als genialen Dichter an. Anders als Fritsch sah er in Goethe nicht einen Karrieristen, sondern einen Herzensmenschen. In einem Brief an seinen Freund und Briefpartner Friedrich Heinrich Jacobi schreibt er über Goethe: „Wie ganz der Mensch bei'm ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde, da ich am nämlichen Tage an der Seite des herrlichen Jünglings saß! […] Seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Goethe, wie ein Tautropfen in der Morgensonne.“ Trotz Goethes Kritik an Wieland, der er in seiner Schrift „Götter, Helden und Wieland“ Ausdruck verlieh, konnte ihm der weitaus Ältere und von seinen Freunden liebenswert genannte „Papa“ Goethes Keckheit nicht Übel nehmen. Während der Oßmannstedter Zeit kam es zu mehreren Begegnungen zwischen beiden Denkern.

Durch Schicksalsschläge wurde der Aufenthalt zeitlich begrenzt, denn Wieland floh aus der Idylle, nachdem seine Frau (1801) und Sophie Brentano (1800) frühzeitig verstarben. Die ersehnte Idylle, die er bis an sein Lebensende auskosten wollte, blieb ihm damit versagt, denn ab 1803, nachdem er sich zwei Jahre mit dem Verkauf des Gutes beschäftigte, hat er sich nach Weimar zurückgezogen, wo er 1813 als achtzigjähriger starb. Ab dem Jahre 1802 hielt er sich wieder öfter in Weimar auf. Die Schuldenlast und die Einsamkeit verleideten ihm das Landleben. Aus diesem Grund ist es verständlich, daß es ihm nur noch um den Verkauf des Gutes ging. Sein Schwiegersohn Carl Wilhelm Stichling, der mit Wielands Tochter Juliane verheiratet war, kümmerte sich um den Verkauf. Im Jahre 1803 erwarb der Hamburger Hofrat Christian Johann Martin Kühne das Gut im Wert von 30000 Reichstalern. Der Preis war gerechtfertigt, da Wieland während seines Aufenthaltes das vernachlässigte Gut mit 300 Obstbäumen und einer Scheune aufwertete.12 Bereits am 19. Dezember 1797 schrieb Wieland an seinen Verleger Georg Joachim Göschen: „Ich habe über 300 fruchtbare Bäume gepflanzt, von deren größerem Teile, sofern sie gut durch diesen Winter kommen, ich wenigstens die ersten Früchte zu erleben hoffen kann […].“ Wie Böttiger in einem Brief an Göschen in Leipzig schreibt, ging es Wieland im letzten Jahr des Aufenthaltes in Oßmannstedt nicht besonders gut. Tagsüber sei er mit den Griechen beschäftigt, abends und nachts überkommt ihn die Schwermut über den Verlust der Angehörigen. Die Angst, die Wieland beschlich, daß der Garten und die Grabstelle nach dem Verkauf nicht mehr zugänglich werden, hatte er bereits im August 1802. In einem Brief an Georg Joachim Göschen schreibt er: „[…] der Garten, sage ich, soll, so lang es nur immer möglich seyn wird, bei meiner Familie bleiben, und dies um so mehr, da er das heilige Grab meiner Geliebten, und dereinst auch das meinige, neben ihr, in sich schließt“.13

Die enge Beziehung, die Wieland mit seiner Fürstin pflegte, wurde mit dem Umzug Wielands nach Weimar – in die Nähe des Wittumspalais – wieder intensiver. Während Wielands Oßmannstedter Zeit ließ die Fürstin ihm Depeschen und Botschaften zukommen und stellte ihm im Tiefurter Schloß Räume zur Verfügung, damit der Dichter auf seiner Reise nach Oßmannstedt Zwischenstation machen konnte. Von einem Abbruch der Beziehungen während der Abwesenheit Wielands in Weimar kann daher nicht und zu keiner Zeit gesprochen werden, denn zu intensiv war die Beziehung zwischen dem Prinzenerzieher, Libretto- und Operndichter (Alceste) Wieland. Bei der Prinzenerziehung gab es anfangs Unstimmigkeiten. Anna Amalia freute sich aber dann doch über die Rückkehr des Literaten.14 In einem Brief vom 14. Februar 1803 schreibt sie: „Lieber bester alter Freund unendlich habe ich mich gefreut, daß Sie so vorteilhaft Ihr Oßmannstedt verkauft haben, ein Wunsch den ich lange insgeheim gefühlt habe. Aber dafür will ich so viel es in mein Vermögen stehet (versuchen) Ihnen die Stadt so angenehm zu machen, daß Sie das Landleben darüber vergessen und bey uns wieder jung werden.“

3. Der Tod und das Elysium

Die Thematik des Todes, die Buttlar15 unter dem Stichwort der Transzendenz beschreibt, erlangte nicht nur im Wörlitzer Garten, sondern auch im Oßmannstedter Park Bedeutung. In Wörlitz stellte der Fürst an transparenter Stelle die „Goldene Urne“ auf, die als Grabstätte einer seiner Töchter diente. Von der Urne ergibt sich eine dreifache Sichtachsenbeziehung zum Wörlitzer klassizistischen Schloß, zur „Neugotischen Kirche“ und zur „Muschelsucherin“. Diese Art der Bestattung im Garten ist für die damalige Zeit ungewöhnlich, ja sie bedeutet eine Revolution des Bestattungswesens. Mit der Verlagerung der Grabstätte in den Garten kommt es zu einem säkularen Bestattungswesen. Symbolisch wird der Tod von der kirchlichen Grablege gelöst und in den Garten verlagert. Diese säkulare Bewegung oder Transformation vom Gotteshaus und vom Gottesacker hin in die Natur zeigt, daß man sich in der Aufklärung vom rituellen Bestattungswesen distanzierte. Der Gedanke vom Tod wird in Wörlitz nicht verdrängt, sondern man reflektiert auf den Tod als einen transzendenten und weist auf diese Macht hin, um der Toten zu gedenken, und um sich selbst die Endlichkeit vor Augen zu halten. Urnen, Grabmäler und Sarkophage, wie beispielsweise der Sarkophag vor der Wörlitzer Kirche und die „Dietrichsurne“ unterstreichen die Todesthematik. Im Oßmannstedter Park steht ein Obelisk. Ihm zu Füßen befinden sich an drei Seiten die Gräber von Wieland, seiner Frau und Sophie Brentano. Unweit von der Grabstelle befindet sich das Grab der Eheleute Grant, die 1858 das Gut erwarben und es fast vierzig Jahre zu einem geistigen Zentrum machten.

Der Obelisk des Wielandgrabes trägt als Inschrift das Distichon des Dichters: „Liebe und Freundschaft umschlang die verwandten Seelen im Leben. Und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein.“ Der platonische Hintergrund ist nicht zu übersehen, handelt es sich – gerade im Hinblick auf Sophie Brentano – um eine idealisierte Liebe.

Das Leben im Angesicht des Todes konnte Wieland nicht erschrecken. Seine streng reglementierte und organisierte Tagesplanung zeigt, daß er bereits in Oßmannstedt dem Ideal eines asketischen Lebens nahestand. Die Einübung in das Schicksal, das im Tod endet, war Wieland nicht fremd und verband ihn mit dem römischen Gelehrten Cicero. Das Bild vom Weisen oder Weltgelehrten entnahm er sicherlich vom römischen Staatsgelehrten und folgte dessen Maxime „Wer selbst will, den führt das Schicksal, wer nicht, den reißt es fort“ Der alte Wieland war nicht nur ein „poetischer Landjunker“, der sich zurückzog, sondern er war eine sittliche und moralische Persönlichkeit, die sich ethischen Idealen verpflichtete. Wie sein Vorbild Seneca betonte Wieland, daß es das Ziel des Menschen sei, sich harmonisch mit der Natur zu vereinigen. Nur die Natur und der Umgang mit ihr – auch die ist eine Parallele zwischen ihm, Cicero und Seneca – schenkt dem Menschen Glückseligkeit. Wie für Cicero wird auch für Wieland dieses Ziel nur erreicht, wenn der Mensch seine sinnlichen Neigungen beherrscht und vom sogenannten unteren Begehrungsvermögen abläßt. Im gleichen Maße betont der alte Wieland, der sich von manch früherer Frivolität distanziert hat, daß rein sinnliche Affekte, denen kein Geist oder keine Ratio als ordnendes Prinzip zugrunde liegt, einen falschen, d.h. unsittlichen Wert darstellen. Wie der Stoiker Cicero wird ihm die Seelenruhe oder die Apathie zum philosophischen und damit lebensweltlichen Heilsgeschick. Das innere Gleichgewicht, das Wieland sucht, ist identifizierbar mit der Tugendlehre der Stoa, denn die wirklichen Tugenden werden mit der Idee des Guten oder des höchsten Guten verbunden. Für Cicero war das Ziel des Menschen, seine Selbstbehauptung zu bewahren und von diesem Standpunkt ausgehend, ein Verhältnis zu den Menschen herzustellen. Die Pflicht des Menschen bestand darin, gemäß der Natur und den sozialen Wesen zu handeln. Das sozialphilosophische Engagement der Stoiker hat Wieland – wenngleich nicht im Garten, so doch in einer Bildungseinrichtung mit Johannes Daniel Falk – aufgegriffen und weitergeführt.

Mit der griechischen und römischen Kultur verband Wieland die Vorstellung vom Elysium. Die Sehnsucht nach dem Tod, die heitere Gelassenheit und „stille Größe“, die Vorstellung von einem sagenumwobenen Land am Westrand der Erde, mit dem man das Land der Seligen und den ewigen Frühling identifizierte, war Wieland nicht nur aus der Literatur bekannt, sondern zählte zu den Neuentdeckungen der Gartenkunst des 18. Jahrhunderts. Die Idee von einem abgegrenzten Land, in dem die verdienten Helden in ewiger Seligkeit lebten, begleitete Wielands literarisches Schaffen von Beginn an.

Im Gegensatz zu den Landschaftsgärten in Stowe, Rousham und Wörlitz, wo sich elysische Felder und Täler finden, verstand Wieland seinen Garten – insbesondere die ovale Partie an der Ilm – als elysisches Reich. Die Nähe zur Ilm, die Bodensenken und Erhöhungen des Gartens, die Abgeschlossenheit des Refugiums durch die alte Gartenmauer machen den Gutspark zu einem locus amoenus. Bereits Petrarca (Vita solitaria) verstand den locus amoenus als einen durch Abgeschiedenheit gekennzeichneten Ort, in dem eine leichte Brise weht. Zumeist versteht man unter einem locus amoenus einen Platz auf einem Hügel mit klarem Wasser und einer mit Blumen bewachsenen Wiese.

Zwar ist fraglich ob Wieland die „Hypnerotomachia Poliphili“ (1499) von Francesco Colonna gekannt hat, sicher ist, daß Wielands Leben Züge des Poliphilus trägt. Mit seiner Frau – im Roman die Nymphe Polia – lebt Wieland in Oßmannstedt in einer allegorischen Welt. Die innige Beziehung zur Kaufmannstochter, die ihm weniger eine Muße wie es Sophie von La Roche oder Bibbi gewesen waren, aber die beste Mutter seiner Kinder und Enkel war, legt nahe, daß er sein Gut als eine selige Insel verstanden hat, die an die Beschreibungen Colonnas von der Insel Kythera erinnern. Um die Abgeschiedenheit zu intensivieren, erbaute sich Wieland – wahrscheinlich oberhalb der heutigen Grablege – eine Schutzhütte, um sich zurückzuziehen. Ähnlich wie Carl August – zuerst im „Oßmannstedter“, dann im „Römischen Haus“ (1794) suchte Wieland nach einem intensiven Umgang mit der ihn umgebenden Natur. Wissenschaftlich nachgewiesen ist, daß Wieland den Telemach-Roman des Kardinals Fénelon kannte, den er nicht nur in seiner Bibliothek aufbewahrte, sondern der zum damaligen Bildungsgut zählte. „Der Dichter hat die hier dargestellte Welt des östlichen Mittelmeers bereits als Kind aus den Lehrbüchern der Biberacher Lateinschule kennengelernt. Sowohl in seinem Jugendroman ,Geschichte des Agathon' (1766/67) als auch in seinen Alterswerken, etwa in „Aristipp und einige seiner Zeitgenossen (1800/02), bildet sie den immer wechselnden Schauplatz der Handlung, den die Hauptpersonen auf ihren Reisen durchmessen.“16 Die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth gestaltete ihren Garten in Sanspareil auf der Grundlage des Fénelon-Romans, die Abenteuer von Odysseus Sohn kamen in Staffagen und Gartenpartien zur Geltung. Vielleicht hat Wieland die Beschreibung der Grotte der Calypso, wie sie Fénelon schildert, so fasziniert, daß er die barocke Grottenanlage im Garten als literarisches Zitat verstand. Grotten standen in der Antike für geheimnisvolle Orte, wo sich die Nymphen trafen, wo das ausgelassene und elegische Spiel der Sinnenfreude, des Rausches und der Verzückung stattfand. Im Telemach-Roman heißt es: „Doch was an Kunst gebrach, ersetzte die Natur, die gleichsam ungeschmückt hier im Triumphe fuhr. Die Grotte war gewölbt aus Felsen ausgeführet: Die Wand mit Kieselstein und Muscheln ausgezieret, um die von aussen sich, mit seiner fetten Hand, ein junger Rebenstock voll süßer Trauben wand. […]“17 Nymphengestalten faszinierten Wieland von Anfang an. Bereits in seiner Schweizer Zeit, wo er sich dem Reich der Geister in seinem Stück der „Frühling“ zuwendet, schreibt er: „Indem sie schlummern, so wachen Sylphen und Nymphen, ätherische Geschöpfe von mittlerer Gattung Zwischen den Menschen, und denen die dem Olympus beiwohnen. Daß kein nachahmender Strahl der urbildlichen Schönheit des Schöpfers Unaufgefaßt sey, daß keine Quelle genießbarer Freuden Ungeschöpft zerrinne, und keinem Theile des Raumes Oder der Zeit seiner Byrger mangle, bewohnen sie Thäler Oder marmorne Wasserkammern.“18

4. Wieland und einige Gärten seiner Zeit

Anders als kleine deutsche Fürsten- und Fürstentümer, die mit ihren Landschaftsgärten nicht nur reformpolitische und bildungspraktische Veränderungen anstrebten, suchte Wieland im Garten nur das privatissimo. Von den antiken Gartenvorstellungen übernahm er die Vorstellung der villa rustica vor den Toren der Stadt. Hier war man von der urbanen Kultur unabhängig, konnte aber auch die Reize des Stadt- und Kulturlebens genießen. Wieland kannte französische und englische Gärten. Einen ersten Eindruck vom englischen Garten bekam er in Warthausen, wo Friedrich Reichsgraf von Stadion (1761-1868) die französische Anlage ab dem Jahre 1762 – also fast zeitgleich mit Wörlitz und Gotha, die Wieland kannte – gestaltete. Von Wörlitz und seinen Schöpfer, dem Fürst Franz und seinem Architekten Erdmannsdorff spricht Wieland 1774 gegenüber Carl August von einem Glück, „ein paar Jahre von einem Fürsten, wie Franz von Dessau, zu lernen, sein Beispiel vor den seinigen zu haben“.19 Wieland schreibt: „Gärten und Parkanlagen im englischen Stil machen dieses Haus für einen Menschen wie mich zu einer Köstlichkeit.“20

Auch das Seifersdorfer Tal nahe Dresden, einen englischen Staffagegarten mit unendlich vielen Anspielungen auf die Literatur und mit sinnbildlichen Zitaten bereichert, kannte Wieland durch einen Besuch. Die Besitzer des Gartens – die Brühls – initiierten wie Fürst Franz III. in Dessau am „Drehberg“ Gartenfeste, an denen die Dorfbevölkerung Anteil nahm. Die Beschreibung, daß der alte Wieland unter der Dorflinde in Oßmannstedt saß, legt nahe, daß er das Landleben und die damit verbundenen Annehmlichkeiten genoß. Festlichkeit und Intimität schlossen sich nicht aus. Johannes Daniel Falk, der einige Zeit bei Wieland zubrachte, schreibt an Karl Morgenstern am 9. Januar 1800: Es tat mir wohl, den ehrwürdigen Wieland zu sehen, wie der edle Greis im hundertjährigen Schatten der Linde da saß und mit ruhigem Mut als Gutsherr den muntern Burschen Bescheid tat […].“21

Wieland besuchte das Seifersdorfer Tal im August 1794 und schrieb an Gräfin Johanna Margareta Christina (genannt Tina) „für den schönen Traum oder die interessanteste Vision“ dankend, die er „vielleicht in seinem ganzen Leben gehabt hatte“.22 Ihm zu Ehren stellten die Seifersdorfer eine Büste des Dichters in den „Tempel der Musen„. Aber nicht nur im „Tal„, sondern auch im Schloßpark Belvedere in Weimar widmete man Wieland am „Viergelehrtenplatz“ ein Standbild.23 In Tiefurt erinnert ein Gedenkstein mit einer Inschrift Goethes an den Oßmannstedter. Wieland, so scheint es, hatte ein gesteigertes Interesse am sentimentalischen Garten als sein Gartennachbar Goethe, der fast zeitgleich ein Gut im benachbarten Oberroßla erwarb. Goethe schreibt: „Eine unwiderstehliche Lust nach dem Land- und dem Gartenleben hatte damals die Menschen ergriffen. Schiller kaufte einen Garten bei Jena und zog hinaus; Wieland hatte sich in Oßmannstedt angesiedelt. Eine Stunde davon, am rechten Ufer der Ilm, ward in Oberroßla ein kleines Gut verkäuflich, ich hatte Absichten darauf. […] Hier entstand mir auch eine nachbarliche Gemeinschaft mit Wieland.“24

In Darmstadt gerieten Goethe, Herder und Wieland in den „Kreis der Empfindsamen„.25 Goethe verabschiedete sich mit seinem Werk „Triumph der Empfindsamkeit“ bereits 1778/9 vom sentimentalen Garten und läutete mit seiner Kritik an diesem Typus frühzeitig die klassische Periode des Landschaftsgartens ein. Goethe kritisierte vor dem Hintergrund seiner sentimentalen Prosa, dem „Werther“ und dem „Götz“ die gekünstelte und übertriebene Ausstaffierung der Gärten. Bedeutende Gartenkünstler wie Skell, Lenné und Fürst Pückler werden ihm folgen. Daher verwundert es nicht, daß Goethe beispielsweise über das von Becker beschriebene Seifersdorfer Tal harsch urteilt, wenn er auf einen Brief Schillers aus dem Jahre 1795 antwortend schreibt: „Die Abbildung des Seifersdorfer Unwesens kenne ich; Sie kennen ja die Trude, die es bewohnt und die es so ausgeschmückt hat. Wielands Empfang und Bewirtung selbst im Sommer 1774 gäbe eine vortreffliche Geschichte, wenn er sie aufsetzen wollte, wie er sie erzählt.“26 Goethe hatte sicherlich recht, wenn er an der gekünstelten Gartenwelt Kritik übte. Wieland seinerseits sah vielleicht in den Staffagen Sinnbilder seiner antiken Vorstellungen. Mit den Bauten, mit den Zitaten und den Inschriften, die im sentimentalen Park nicht fehlen, fühlte er sich nach Arkadien und in die Hirtenlandschaft am Peleponnes zurückversetzt, selbst wenn er auf Architekturzitate verzichtete.

In Wielands Werken finden sich viele Gartenbeschreibungen, so in der „Geschichte des Agathon„, wo die Handlung in den Garten verlegt wird. Die Beschreibung des Gartens und der Atmosphäre, die Wieland in der Sprache des Rokoko feiert, beziehen sich nicht nur in diesem Werk auf antike Vorbilder. Inspirationen verdankt er Platon, Epikur, Cicero, Catull Properz, Horaz, Ovid und Plinius, mit dessen Werken er seit seiner Kindheit vertraut war und einige von ihnen später übersetzte. Die Beschreibung der Gärten, die sich in seinen Briefen findet, erinnert sehr stark an Plinius. Wie Plinius unterscheidet er zwischen Stadt- und Landleben, wägt die Vor- und Nachteile ab. Plinius schreibt: „Da hast Du die Stadtneuigkeiten; schreibe mir Deinerseits die vom Lande, Was machen Deine Bäumchen, Deine Weinberge, Deine Felder, Deine so zarten Schäfchen?“27 Die Emphase, mit der Wieland seine Gärten beschreibt, findet sich auch bei Plinius. „Du wunderst Dich, warum mir mein Laurentinisches oder, wenn Du lieber willst, mein Laurentisches Gut so große Freude macht; Du wirst aufhören, Dich zu wundern, wenn Du die Reize des Hauses, seine günstige Lage, seine Ausdehnung am Strande kennenlernst. Es ist siebzehn Meilen von der Stadt entfernt, so daß Du nach Erledigung dessen, was zu erledigen war, noch fast den ganzen, ungeschmälerten Tag Dich dort aufhalten kannst.“28 Stellt man dieser Briefpassage von Plinius Briefe Wielands an die Zeitgenossen Karl August Böttiger und an seinen Verleger Georg Joachim Göschen gegenüber, fallen die Parallelen sofort ins Auge. Neben die tiefe Dankbarkeit, ein „horazisches Sabinum“ erlangt zu haben, gibt Wieland eine detaillierte Beschreibung des Inventars und der Aussteuer. Der Kauf des Gutes im Frühjahr 1997 belastete den Literaten finanziell, obwohl er eine Pension von 1000 Talern von den Weimarern erhielt, auf große Einnahmen aus seinem literarischen Werk zurückgreifen konnte und seine Zeitschrift – den „Teutschen Merkur“ – gewinnbringend vermarktete.

Den Zustand des Gartens beschrieb Wieland bei der Übernahme als „verwildertes Osmantinum“, „[…] aber aus Mangel an arbeitenden Händen geht es mit allem, besonders auch mit meinen landwirthschaftlichen Bauwesen so schneckenmäßig, daß ich, wenn unserm Herrn Gott etwas abzuverdienen wäre, das Himmelreich bloß und allein durch die unglaubliche Geduld, womit ich diesem allen zusehe, reichlich verdienen würde.“29

Die Absicht, landwirtschaftlich tätig zu werden, bringt Wieland in die Nähe zu englischen Gartenvorstellungen, wie man sie in Kent' s „Rousham“ und in Shenstone's „Leasowes“ findet. Dort verband man das Schöne mit dem Nützlichen. Nicht nur das pittoreske und das bukolische Ideal wurden hier angestrebt, sondern der Gedanke der „ferme ornée“ oder der sogenannten „ornamental farm“ hielt Einzug. Der Gedanke von Schönheit und Rentabilität geht auf Stephen Switzer zurück, der 1715 in seinem Traktat „The Nobleman, Gentleman, and Gardener's Recreation“ und in seinem Werk „Ichonographia Rustica“ auf die Einheit von Nützlichkeit und Pittoreske hinwies. Shenstone machte den Gedanken der „ornamental farm“ publik. Im anhaltinischen Landschaftsgarten zu Wörlitz beispielsweise griff der Dessauer Fürst, sich auf Shenstone's „Leasowes“ berufend, das er von der „Grand Tour“ kannte, die Verbindung zwischen pittoresker Schönheit im Sinne der Landschaftsmalerei von Lorrain, Poussin, Rosa, Gainsboroh u.ä. auf und verband diese mit landwirtschaftlichen Nutzflächen wie dem „Weidenheger“ und den „Neuen Anlagen„. Viehzucht, Obst- und Forstwirtschaft30 und die Kultivierung mediteraner Gewächse standen ebenso auf dem Programm, wie die Idealisierung der Landschaft. Vielleicht, dies ist nicht mehr als eine Vermutung, greift Wieland mit dem Projekt, Garten und Nützlichkeit zu verbinden, Goethes Kritik am empfindsamen Park auf. Goethe kritisierte den rein empfindsamen Park als rein gekünsteltes ästhetisches Produkt, da der Obstbau vernachlässigt wurde. Wielands Vorgehen im Park erinnert an die praktische Umsetzung der Ornamental-Vorstellung.

Insgesamt gesehen griff Wieland mehr ikonologisch als ikonographisch auf die Tradition der antiken Welt zurück. Statuen, Tempel, Vasen, Mausoleen, antike Heiligtümer, Sarkophage wie in Wörlitz, Tempel wie der der „Alten Tugend“ und der „Tempel der Neuen Tugend“ in Stowe finden sich im Gutspark nicht.

Wenn Sophie von La Roche in ihren „Schattenrisse(n) abgeschiedener Stunden in Offenbach, Weimar und Schönebeck“31 Wielands Gut beschreibt, stimmen ihre Erinnerungen, daß es sich beim Garten, „welcher sich an den Ufern der Ilm mit einem Birkenwäldchen schließt, unter dessen Lauben die edelsten Schatten Griechenlands ihren Freund unbelauscht und ungestört besuchen können“ mit Wielands Vorstellungen vom Garten überein. Wieland hatte nicht nur zu wenig Geld, ein groß angelegtes ikonographisches Programm auszuführen, seiner Vorstellung vom Tusculum bedurfte keiner Staffagen, um die Antikensehnsucht neu zu beleben.

5. Wielands eigene Vorstellungen vom Garten

Wielands Tusculum, so meine These, konnte weder ein barocker noch ein englischer Garten sein. Der Ordo-Gedanken, die Dominanz der Architektur über die Landschaft, wie sie sich in den Barock- und Rokokogarten von Versailles, von Chantilly, in der Villa Aldobrandini, in der Villa Albani, in der Villa Carzoni u.ä. finden, decken sich nicht mit den naturalistischen Vorstellungen Wielands, nicht mit den Ideen der rationalen Wirkungsästhetik und nicht mit dem neu empfundenen Naturalismus. Vielleicht, dies ist nicht mehr als eine ungeschützte Hypothese, faszinierte Wieland der verwilderte Barockgarten von Bünau und von Anna Amalia, wenn sich auch kein Beleg findet, daß Wieland den Garten bereits in den 80iger Jahren besuchte und die Anlage vor der Verwilderung kannte.

Analysiert man Wielands Werke, findet man immer Passagen, in denen er über das Wechselspiel zwischen Natur und Vernunft reflektiert. Wielands literarisches und philosophisches Denken steht nicht dem barocken Gartenideal nahe, sondern der Vorstellung des Gartens als einer idealisierten Natur, in dem der Mensch – über die Naturerfahrung vermittelt – zu seinem Wesen gelangt. Der Freiraum der rationalen und sensiblen Anlage bindet das Geschöpf an seine naturalen Anlagen zurück. Die Synthese zwischen Geist und Leib, ihr wechselseitiges Beziehungsgeflecht ermöglicht es dem Einzelnen, sich in die universale und panharmonische Ordnung des Universums einzufügen. Sicher ist, daß Wieland den Garten als Ort begriff, der Intimität erlaubte und in dem Diskurse mit Seelenverwandten stattfinden sollten. Die beachtliche Zahl prominenter Vertreter aus der damaligen Geistes- und Unternehmerwelt, die Wieland in seinem Garten besuchten, belegt, daß Wieland an eine Gesprächskultur anknüpfte.

Wenn der barocke Garten mit seinen Parterres, mit den Broderien, den Hecken, den Kaskaden, den Pavillons und der symmetrisch-geometrischen Aufgliederung die Natur zugunsten der Rationalität aufhebt, stehen Wielands Vorstellungen vom Garten dem englischen Typus näher. Die Idealisierung der Natur, die Verbindung von einer scheinbar nicht gestalteten Gestaltung, die den Anschein erweckte, daß es sich im Garten um eine Selbstproduktion der Natur handle, der Gedanke von der Erziehung durch die Natur und die damit verbundene moralisch-sittliche Läuterung der Subjekte, die Freiheit der Entfaltung und der kompositorischen Anlage haben Wieland am englischen Garten fasziniert. In vielen seiner Schriften folgt er der Naturästhetik Rousseaus und Shaftesburys, die damals als Heroen – neben Addison und Pope – der neuen Gartenkunst und der Gartenrevolution in England den Weg bereiteten. Der Bruch mit dem Regelkanon des Barocks, die Aufhebung der Linear- und Zentralperspektive, die Unterordnung der Architektur unter die Landschaft, die unendlich vielen Antikenzitate, das bukolische und pittoreske Ideal eingeschlossen, das man aus der Landschaftsmalerei von Poussin, Lorrain, Rosa, Gainsborough entlehnte, ließen den Garten zum Symbol eines – wie Adrian von Buttlar schreibt – „liberalen Weltentwurfes“ werden.

Die Idealisierung der Natur und die damit verbundene Programmatik war ein finanziell aufwendiges Unterfangen und für freischaffende Literaten – mit Ausnahme von Horace Walpole – kaum möglich. Wieland standen keine finanziellen Mittel zur Verfügung, da er sich mit dem Kauf seines Landgutes im Wert von 22000 Talern finanziell übernahm. Im Gutspark Oßmannstedt fanden sich zu Wielands Zeiten – bis auf Ausnahme der barocken Brunnenanlage und dem barocken Brunnenbecken sowie zwei Brunnenköpfen im manieristischen Stil – keine Staffagen, keine Antikenzitate, keine angelegten Sichtachsen oder point de vue`s, kein Ha-Ha, keine Tempel u.ä., d.h. Architekturen, die man in den berühmten englischen Gärten „auf der Insel“ und „auf dem Kontinent“ fand. Aus dem Briefwechsel mit der Kammerzofe Anna Amalias, der Freifrau von Göschhausen wissen wir, daß Wieland beständig nach Arbeitern suchte, die seine landwirtschaftlichen Bestrebungen tatkräftig unterstützen sollten. Wieland beschäftigte sich in seiner Oßmannstedter Zeit vorrangig mit landwirtschaftlichen Fragen. Fragen zur ästhetischen Gestaltung des Gartens, wie sie von Gärtnern wie Bridgeman, Kent, Chambers, Brown, Repton und Erdmannsdorff gestellt wurden, lagen nur begrenzt im Interesse Wielands.

Den Garten verstand Wieland nicht allein als elegisches Gefilde, sondern gestand, wie damals üblich, ihm eine propädeutische Funktion zu. Die Erziehung des Menschen durch einen weisen Herrscher oder Regenten, der sich seinen Untertanen annahm, um die guten Eigenschaften herauszuarbeiten, die schlechten dagegen zu vermindern, war nicht nur ein Ergebnis des „Goldenen Spiegels“ – einer Art Fürstenspiegel -, sondern Wieland verstand sich im intimen Kreis als philosophisch weitsichtiger Lehrer. Im Gegensatz beispielsweise zu Machiavelli ging es Wieland weder um die Anerkennung der absoluten Oligarchie und des fürstlichen Despotismus, der in Tyrannei und Blutopfern endet, sondern um das bildungspolitische und sozialaufklärerische Engagement eines aufgeklärten Fürsten oder einer Fürstin, das sich in ihren guten Werken widerspiegelt.

Resümierend ist festzuhalten: Wieland kannte Gärten verschiedenen Typus, dennoch entschied er sich für die Idylle und die nicht domestizierte Natur. Wie der Philosoph Danischmend, den Wieland zur Hauptfigur seines gleichnamigen Romans auserwählte, suchte er nach einer Natur- und Gemeinschaftsidylle, „deren Wertezentrum die Familie ist. Diese Lebensform setzt auf interaktionsnahe Sozialität, in deren Rahmen sich Konflikte in zwischenmenschlicher Verständigung auf der Ebene von Familien und Nachbarschaftsbeziehungen abwickeln lassen. […] Der Danischmend-Roman reflektiert eine völlig veränderte Lebensform des Autors […]“.32 Die Zurückgezogenheit und der Genuß des Altwerdens prägten spätestens seit der Erfurter und Weimarer Zeit Wielands Denken. Der Garten als Tusculum blieb der imaginäre Ort, wo er Kraft und Inspiration schöpfte. Die Alterswerke, der „Agathodämon“ und der „Aristipp“ zeigen, daß sich Wieland wie „Agathodämon“, der sich als neupythagoreischer Philosoph in die elysische Landschaft Kretas zurückzog, einen abgeschiedenen Landsitz auserwählte. Mit dem Sokratesschüler „Aristipp“ verband Wieland die Utopie des glücklichen Lebens unter vernünftigen Menschen in einem Garten. Wieland begeisterte „die halbwilde Natur, von welcher ich hier auf allen Seiten umgeben bin, über Alles liebe“. Man sieht, daß Wieland nicht die domestizierte Natur, sondern die sich selbst gestaltende Natur verehrte, wie die Briefstelle an Elisabeth von Solms-Laubach in Utphe, abgefaßt in Belvedere vom 9-11. Juni 1808, nahelegt. In der Natur fühlte Wieland wieder die Nähe zu Cicero, Horaz, Shaftesbury u.a. und damit seine innigste geistige Welt, von der er sich – auch durch Schicksalsschläge angeschlagen -, nicht entfernt hat.

1 Schriftliche Version des am 11. 8. 2001 in Oßmannstedt gehaltenen Vortrages. Die „Oßmannstedter Vorträge“ sind Bestandteil eines Kulturprojektes, das sich um die Sanierung der Kirche und des Wielandgartens bemüht. Initiator und Förderer des Kulturprojektes „Wielandgut Oßmannstedt“ ist der Hamburger Professor Jan Philipp Reemtsma.

2 Dazu: Wieland, Epoche – Werk – Wirkung, hg. v. S.-A. Jørgensen, H. Jaumann, J. McCarthy und H. Thomé, München 1994, S. 87.

3 Dazu: Gamper, M., „Die Natur ist republikanisch“, Zu den ästhetischen, anthropologischen und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert, Würzburg 1998, S. 2.

4 Wieland, Epoche – Werk – Wirkung (1994), S. 44.

5 Wieland, Musarion, oder die Philosophie der Grazien, in drey Büchern, Leipzig 1768, S. 92.

6 Wieland, C.M., Sämmtliche Werke, Erster Band, hg. v. J.G. Gruber, Leipzig 1824, S. 180.

7 Böttiger, K. A., Literarische Zustände und Zeitgenossen, hg. v. C. W. Böttiger, Leipzig 1838, Bd. 1, S. 204.

8 Anders: Jäger, J., Goethe – Gärten in Weimar, in: Gärten der Goethezeit, hg. v. H. Günther, Leipzig 1993, S. 92.

9 Wieland, Brief an Friedrich Heinich Jacobi in Düsseldorf, Weimar 10.5.1776.

10 Wieland, Brief an Luise von Goeschhausen in Tiefurt, Oßmannstedt am 13. 1. 1798.

11 Die folgenden Zitate sind entnommen: Marbacher Magazin, Sonderheft 40/1986, Gärten in Wielands Welt, bearbeitet von H. Bock und H. Radspieler, Marbach 21999.

12 Freitag, E., Das Wielandgut Oßmannstedt und seine Geschichte, in: Das Wielandgut Oßmannstedt, Vergangenheit und Zukunft, Ein Aufruf des Freundeskreises des Goethe-Nationsmuseums e. V. Weimar, Berlin 2000, S. 16.

13 Wieland, Brief an Georg Joachim Göschen in Leipzig, Oßmannstedt im August 1802.

14 Werner, C.M., Goethes Herzogin Anna Amalia, Fürstin zwischen Rokoko und Revolution, Düsseldorf 1996, S. 301.

15 A.a.O., S. 47-61.

16 Gärten in Wielands Welt, bearbeitet von H. Bock und H. Radspieler, in: Marbacher Magazin, Sonderheft 40/1986, S. 101.

17 Die Begebenheiten des Prinzen von Ihaca […] in deutsche Ferse gebracht […] von B. Neukirch, Nürnberg 1762, 1. Tl., S. 10.

18 Gärten in Wielands Welt (1986), S. 168.

19 Ligne, K. J. P., de, Überblick von Beloeil, und über die Gartenkunst, Dresden 1797, S. 11.

20 Wieland, Brief an Johann Zimmermann in Brugg, Biberach, 22.6.1762.

21 Sintenis, F., (Hg.), Briefe von Goethe, Schiller, Wieland, Kant, Böttiger, Dyk und Falk an Karl Morgenstern, Dorpart 1875, S, 21. Entnommen von Freitag (2000), S. 14.

22 Zitiert nach: Franz, K., Das Seifersdorfer Tal, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 134.

23 Jäger, J., Goethe – Gärten in Weimar, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 85.

24 Goethe, J.W., Tag- und Jahreshefte als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse 1797/98.

25 Günther , H., „Da ist doch ein ganzes Land voll Gärten, welches mein System begünstigt: die Natur aufzusuchen, und, sich nicht erst eine Natur um sich her zu schaffen“, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 39.

26 Zitiert aus: Franz (1993), S. 134.

27 Plinius, Sämtliche Briefe, Brief an Arrianus, in: C. Plinius Caecillius Secundus, Sämtliche Briefe, hg. v. W. Rüegg, Eingeleitet und übersetzt von André Lambert, Zürich und München 1969, S. 85.

28 Plinius, Brief an Gallus, A.a.O., S. 92.

29 Wieland, Brief an Luise von Goeschhausen in Tiefurt, Oßmannstedt am 13. 1. 1798. Zitiert aus: Bock/Radspieler (1986).

30 Niedermeier, M., Goethe und die „Revolution“ in der Gartenkunst seiner Zeit, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 19.

31 La Roche, S., Schattenrisse abgeschiedener Stunden in Offenbach, Weimar und Schönebeck, Leipzig 1800, S. 44ff.

32 Wieland – Epoche, Werk – Wirkung (1994), S. 90.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2159 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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