Der Süden Frankreichs, das Languedoc und Roussilion, das Gebiet der hohen Pyrenäen ist uraltes Kulturland. Hier siedelten bereits zu antiken Zeiten die Bebryker und Keltiiberer, welche Ptolemäus von Alexandria zu den tektosagischen Völkern zählte.
Das Land birgt noch heute Geheimnisse aus dieser uralten Zeit. Südlich der Festung von Montsegur, die ursprünglich schon von den Kelten errichtet worden sein soll, und die von den Römern das castellum montis securis (die Festung vom sicheren Berg) genannt wurde, erheben sich die mehr als 2.300 m hohen Gipfel des Pic de Saint Barthelemy und des Soularc, von deren Zinnen der Schnee auch im Sommer nur selten weicht. Der Pic de Saint Barthelemy wird von den Einheimischen auch Tabor, genannt, der „Berg des Lichtes“, nach dem Berg der Verklärung, wie er in der Bibel beschrieben wird.
Auf dem Weg zum Gipfel des Tabor kommt der Wanderer an einem dunklen, von hohen Felswänden eingeschlossenen See vorbei. Lac de Truites, der Forellensee oder Etang mal, der Sündenteich, heißt das Gewässer bei den Bauern des Weilers Montsegur, dessen Häuser wie Bienenwaben an einem Steilhang über der Schlucht von Lasset hängen.
„Werfen Sie nur keinen Stein in den See, denn er ist die Wiege des Donners,“ wird der unvorsichtige Fremde gewarnt. „Wenn Sie einen Stein hineinwerfen, wird sich ein Gewitter über den Bergen zusammenbrauen, und ein Blitz wird Sie erschlagen. In diesem See wohnt das Böse. Deshalb leben auch keine Fische darin….“
Woher aber rührt dann der Namen „Forellensee“?
„Eigentlich müsste man ihn „Lac de Druides“ nennen, den See der Druiden. Denn in den alten Zeiten haben die Druiden Gold, Silber und edle Steine dort versenkt. Das war zu einer Zeit, lange vor der Geburt Christi. An einer unerklärlichen Krankheit starben damals die Menschen in Massen dahin. Wer morgens noch gesund und stark war, konnte am Abend bereits tot sein. Nie zuvor hatte eine solche Krankheit hier in den Bergen gewütet. Da gaben die allwissenden Druiden den bedrängten Menschen des rat, all ihr Gold und Silber in diesen See zu werfen, als Tribut für den Unterirdischen – den Herrn über Krankheit und Tod. Auf Karren brachte man die Reichtümer zum See und warf sie in das unergründliche Wasser. Dann zogen die Druiden einen magischen Kreis um den etang. Da starben alle Fische, die vorher in seinem Wasser lebten, und der zuvor grüne See verfärbte sich schwarz. Von diesem Augenblick an waren die Menschen von der furchtbaren Krankheit geheilt. Alles Gold und Silber wird einst dem gehören, der den magischen Kreis der Druiden zu durchbrechen vermag. Doch sobald er die Schätze berührt, wird er an derselben Krankheit sterben, die einst die Menschen dahinraffte, bevor sie ihr Gold in den See warfen.“
Soweit die alte Pyrenäenlegende, die deutliche Hinweise auf einen keltischen Ursprung enthält. So lehrten die mehrfach erwähnten Druiden, dass die Erde und alles was sie birgt und trägt, eine Schöpfung des Todesgottes Dispater sei. Die Seele hingegen ist göttlicher Natur und unsterblich. Sie muß eine Wanderung von Körper zu Körper in der Welt der Materie durchmachen, um geläutert in die andere Welt, die des Geistes, eingehen zu können.
Der Druidismus war wohl weniger eine Religion als eine philosophische Doktrin, die Theologie, Astronomie, Naturwissenschaften, Medizin und Rechtskunde einschloß. Das Denkgebäude der keltischen Druiden weist in seinen Grundzügen eine überraschende Verwandtschaft mit östlichen Philosophien, insbesondere dem Gedankengut der Hindus und auch dem frühen Buddhismus auf.
Der oberste Gott, den die Druiden verehrten war Belenus oder Belis, wie ihn der griechische Geschichtsschreiber Herodianos nannte. Dispater hingegen ist mit Pluto gleichzusetzen, dem Fürsten der Unterwelt, Herrscher über die Seelen der Dahingeschiedenen und Bewahrer der unterirdischen Schätze. Die Druiden erachteten irdischen Reichtum für bloßen Tand. Auf ihr Geheiß versank das geraubte Gold aus dem Tempel des delphischen Orakels in dem Pyrenäensee.
Die Legende um den „See der Druiden“ steht in einem engen Zusammenhang mit der Überlieferung um die Plünderung Delphis durch keltische Krieger. An der Wende sechsten Jahrhunderts v. Chr. war das Land Keltika, wie Herodot, Aristoteles und Hipparch den zwischen der Garonne, dem Mittelmeer, den Alpen und dem Atlantik liegenden Teil Galliens nannten, von den Keltiiberern bewohnt – einem Mischvolk aus eingewanderten Kelten und den iberischen Ureinwohnern. Einer dieser keltiiberischen Stämme waren die tektosagischen Volken, in deren Gebiet die Hauptstadt Tolosa – das heutige Toulouse – und die Seestadt Narbo – heute Narbonne – lagen. Durch den ständigen Kontakt mit griechischen Kolonisten, die im Küstenland siedelten, nahm die Kultur der Volken immer stärkere hellenistische Züge an. Dieser Einfluß ging sogar soweit, dass das Griechische in diesem Teil der Keltika zur Amtssprache wurde und sich bin in das 3. Jahrhundert v. Chr. erhielt. Die Volken nahmen auch hellenistische Trachten an, errichteten Städte in griechischer Manier und pflanzten Wein und Oliven.
Doch mit den griechischen Schiffen kam aus dem Osten auch die Kunde von den sagenhaften Tempelschätzen des delphischen Orakels. Unter den Volken reifte der Plan, dieses Gold zu rauben, um es den eigenen Göttern zu weihen. Im Jahr 279 v. Chr. verließen 200.000 Mann zu Fuß und zu Pferd unter ihrem Anführer Brennus die Keltika und fielen in Griechenland ein. Der Fluß Spelchio stoppte zunächst als natürliches Bollwerk den Vormarsch der Kelten, zumal es den Kriegern unter Brennus durch die ständigen Gegenangriffe der Griechen nicht gelang, eine Brücke zu errichten. Doch eines Nachts durchschwammen zehntausend ausgewählte Krieger den Fluß und griffen das griechische Lager an. Die Hellenen mussten sich daraufhin zu den Thermopylen zurückziehen. Hier hatte sich schon einmal Griechenlands Schicksal entschieden, als im Jahr 480 v. Chr. dreihundert Spartaner unter Leonidas bis zum letzten Mann gegen eine weit überlegene persische Streitmacht kämpften.
Und nun, zweihundert Jahre später, versuchten die Kelten, den Engpaß zu erobern. Doch ihre wiederholten Angriffe wurden abgewiesen. Auch ein Umgehungsversuch von Heraklea aus über den Berg Oeta scheiterte am heroischen Widerstand der Griechen.
Nun sann Brennus auf eine List. Er gab 40.000 Kriegern zu Fuß und 800 Reitern den Befehl, Ätolien zu plündern, in der Hoffnung, die im griechischen Lager befindlichen Ätolier würden dann ihrer bedrängten Heimat zu Hilfe eilen. Der Plan des Keltenfürsten ging auf. Nach dem Abzug der Ätolier erzwangen die Kelten den Marsch durch die Thermopylen. Die griechischen Verteidiger zogen sich zum Hafen von Lamia zurück, wo sie von Schiffen aus Athen aufgenommen wurden.
Nun führte Brennus sein Heer ohne weiteres Zögern zum Parnaß. Als die keltischen Krieger gegen die Stadt Delphi anstürmten, brach ein gewaltiges Gewitter los, wie die Chronisten Pausanias und Justin melden. Riesige Felsblöcke stürzten von den Bergen und zermalmten Tausende Angreifer. In der darauffolgenden Nacht bebte der Parnaß erneut, es wurde eisig kalt, Hagel und Schnee fielen in großen Mengen. Die Belagerer erlitten wiederum große Verluste.
Die Delphier waren zuversichtlich gestimmt. Ihr Orakel hatte verkündet, dass Apollo sein Heiligtum nicht im Stich lassen werde. Sie sahen in dem Unwetter eine Bestätigung des Orakelspruches und unternahmen einen kühnen Ausfall. Von da ab gehen die Beschreibungen der Chronisten auseinander. Manche berichten, dass es den Griechen gelungen sein soll, das keltische Heer vernichtend zu schlagen und zum Rückzug zu zwingen.
Anderen Überlieferungen zufolge eroberten die Kelten die Stadt und den Tempel von Delphi. Sie plünderten das Orakel und brachten die geraubten Schätze nach Tolosa, ihrer Hauptstadt. Bereits auf dem Marsch dahin breitete sich eine tödliche und äußerst ansteckende Krankheit unter den Kriegern aus, die dann auch die Heimat der Kelten verheerte. Diese Krankheit soll der Fluch Apollos für die Schändung des delphischen Orakels gewesen sein.
Die Druiden erkannten, dass ihr Volk nur Heilung finden könne, wenn alle geraubten schätze in einem heiligen See versenkt würden. Das keltische Nationalheiligtum befand sich bis zur Christanisierung im beginnenden Mittelalter tatsächlich im Massiv des Pic de Saint Barthelemy befand. Die tektosagischen Volken waren auch für ihre Angewohnheit bekannt, alles Gold, das sie aus den Bergwerken gewannen, ihrem obersten Gott Abellio zu verehren.
Daher ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass die aus Delphi geraubten Schätze tatsächlich in dem unscheinbaren Pyrenäensee unterhalb des Pic de Saint Barthelemy ruhen. Der See weist einige bemerkenswerte Eigenarten auf, die zumindest als Indizien für das bewusste „Körnchen Wahrheit“ in der hier beschriebenen Legende dienen können. So leben tatsächlich keine Fische in dem See, nicht einmal Frösche oder anderes kleines Getier. Auch Wasserpflanzen gedeihen hier nicht.
Entnommene Wasserproben weisen einen außergewöhnlich hohen Anteil von Nitraten, Sulfiden und Eisenverbindungen auf. Obwohl der See von einer Quelle gespeist wird, die sich am nahen Gipfel des Pic de Saint Barthelemy befindet, würde ein Genuß des Wassers aus dem „Druidensee“ wohl recht unangenehme gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Woher allerdings der hohe Anteil der mineralischen Verbindungen im Wasser herrührt, ist vollkommen ungeklärt.
Für die Bauern und Hirten aus Montsegur allerdings gibt es keine Zweifel. Der magische Kreis der Druiden schützt den Tempelschatz von Delphi noch heute, der wohl besser bis in alle Ewigkeit auf dem Grund des „Druidensees“ ruhen sollte.
https://www.thomas-ritter-reisen.de
Literaturverzeichnis
Lange, Hans-Jürgen Otto Rahn – Leben und Werk, Arun Verlag, Engerda,1997
Lebègue, Antoine Lieux Insolites, Et Secrets des Pyrenees, Edition Sud Quest, Bordeaux, 1994