Scheitern als Prinzip, so könnte man das Leben des 1777 in Frankfurt an der Oder geborenen Heinrich von Kleist prägnant umschreiben. Dabei hatte der Dichter die besten Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Karriere; der Aufstieg in die etablierten Kreise der damaligen Gesellschaft schien ihm in die Wiege gelegt. Doch schon frühzeitig verspürte er Unbehagen am Militärdienst und fühlte sich zu Philosophie und Experimentalphysik hingezogen. Seit seiner frühesten Jugend war Kleist ein Reisender, umtriebig und stets erfüllt von der Suche nach dem wahren Glück. Doch so sehr der Dramatiker dies alles begehrte, es sollte ihm bis zu einem Freitod am 21. November 1811 nicht zuteil werden. Und immer wieder scheiterte Kleist grandios, der ewige Ruhm, nach dem er verlangte, blieb ihm versagt, während Goethe und Schiller in Weimar Erfolge feierten. Mit seinen journalistischen Unternehmungen, dem „Phöbus“ und den „Berliner Abendblätter(n)“ ging er, übrigens als einer der ersten Journalisten mit einer Tageszeitung, pleite. Das Unbehagen an der Gesellschaft, der beständige Kampf um die Existenz – dies alles hat ihn letztendlich die Philosophie des Schönen Scheins, die noch für Schiller die wahrhafte Idee der Klassik sein sollte, verleidet. An eine Erlösung und eine Erziehung durch die Kunst – davon war er als Realist weit entfernt. Eher war es das Fragmentarische und Bruchstückhafte, das ihn interessierte, das Leben mit seinen ewigen Abgründen und absurd-menschlichen, allzumenschlichen Dramatiken.
Das Brüchige, das Disparate, macht letztendlich auch seine Helden aus, die nicht frenetisch über ihren Alltag gebieten, die sich nicht als intellektuelle Weltbeherrscher verstehen; Kleist blieb als Skeptiker der große Moralist. Und das Prinzip dieser Existenz war das Scheitern, die Isolation und der beständige Kampf gegen die Intrige, das ständige Aufbegehren gegen die weltliche und menschliche Ordnung, das immerwährende Anstreiten gegen das spießbürgerliche Leben. Lieber zu Grunde zu gehen, als sich der „Prosa der Verhältnisse“ unterzuordnen. Anstelle von idealischer Schönheits- und Harmoniesehnsucht tritt die Begierde des Wettkampfs, statt selbstzufriedenem Glück, das nur Episode sein konnte, feiert Kleist den Rausch der Existenz, die sich allein in Kampf und Krieg bewährt.
Was Goethe einst am Dramatiker Kleist kritisierte, jene Verwirrung der Gefühle, bringt aber dem Frankfurter Adligen im 21. Jahrhundert gerade wieder Sympathien ein – er wird gelesen, eine Vielzahl von Biografien sind mittlerweile erschienen. Und bei fast allen zeigt sich – Kleist bleibt ein Geheimnis. Aber gerade für den heutigen Leser erweist sich Kleist als ein prägnanter Analytiker der gesellschaftlichen und individuellen Disharmonien. Er rückt das Leiden des Subjektes in den Mittelpunkt, das zwischen bürgerlicher Welt und je individuellem Lebensentwurf hin- und hergerissen ist, das beständig auf der Suche nach seinem Ich ist, und das statt Geborgenheit nun wie Sisyphus beständig die Steine des Immergleichen rollen muss, um aus diesem Tun möglicherweise Sinn und Glück zu beziehen. Kleist destruiert die Welt, und der tut dies wie das zerbrechliche Ich im postmetaphysischen Zeitalter – der Sinn bleibt der beständige Kampf, er allein verleiht der Existenz – bei aller Absurdität – jenes Mindestmaß an individueller Würde. Kleist seinerseits ist an den Verhältnissen seiner Zeit gescheitert, der Suizid am Wannsee die für ihn einzig möglich erscheinende Konsequenz.
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