Der Europa-Terrorismus – Der Islamismus wird zum mörderischen Kumpan

Der Terror zentriert sich, wird zum einen eurozentrischer, zum anderen konzentriert er sich auf die Türkei, die mit ihrer neuen Flüchtlingspolitik ins Fadenkreuz des „Islamischen Staates“ rückt, weil die Türken den „ungläubigen“ Europäern bei der Eindämmung der unkontrollierten Migration helfen. Damit befindet sich die Türkei mittlerweile selbst in einer prekären Zwickmühle. Denn einerseits finanziert sie den „IS“, andererseits stärkt sie die eigentlichen Feinde desselben, die aufgeklärte europäische Welt, mit nicht so ganz moralischen Mitteln und Methoden bei der Flüchtlingsrückführung.

Erdoğans Spagat

Das Engagement der Türkei für den Westen wird den Türken also auch in Zukunft immer mehr Terror ins Land bringen, das Land zum Schauplatz blutiger Anschläge machen und so die Stabilität des Staates untergraben. Durch die damit verbundene innere Instabilität könnte Erdoğan vielleicht seine Europa-Politik doch wieder ändern, einen Kurswechsel einläuten, der darauf hinausläuft, das Abkommen mit der EU, den im März 2016 eingefädelten Deal, wieder zu kippen. Merkels Plan, einer Befriedung und Begrenzung der Flüchtlinge mit Hilfe der Türkei würde spätestens dann wieder scheitern und die derzeitige Ruhe in einen erneuten tosenden Flüchtlingssturm verwandeln.

Erdoğan
derzeitiger Kurs der „Mitte“, des wohlfeilen Vermittlers, gleicht einem Spagat, den er sich hart erkauft: Visafreiheit und materielle Verwestlichung für die Bevölkerung einerseits. Dem gegenüber steht andererseits seine Vision vom radikal religiös durchgestrickten repressiven Glaubensstaat – samt einem fundamentalistischen religiösen islamisch-konservativen Grundbau: Radikalisierung, Patriarchatund Meinungsdiktatur inbegriffen. Erdoğan schwankt zwischen Konformismus und Opportunismus und seinen moralisch nicht ganz integeren Allmachtsphantasien einem Neosultanat beziehungsweise türkischen Großreich.

Kompensationskrieg eines schwächer werdenden „Islamischen Staates“

Während Erdoğan – zumindest bei der deutschen Kanzlerin – in Kurs und Wert steigt und auf dem politischen Parkett dadurch zunehmend geadelt wird, selbst wenn die Mehrzahl der Deutschen (nur 21 Prozent sind für eine finanzielle Unterstützung des Landes und nur 4 Prozent plädieren für einen Beitritt in die EU) und der Europäer mit der Türkeipolitik der Kanzlerin nicht übereinstimmen, die CSU gar ganz auf Konfrontation geht, verliert der „Islamische Staat“ zunehmend an Boden, seine militärische Präsens schwindet. Die Bombardierungen und militärischen Luftschläge des amerikanischen Militärs haben die Terrorgruppe zunehmend in der Defensive gedrückt. Die Gehälter der Terrormilizen wurden drastisch reduziert und fast um die Hälfte gekürzt. Auch die Waffenruhe in Syrien schwächt den „IS“, beziehungsweise ist dessen Gewalt- und Geltungspolitik nicht dienlich. Der „Islamische Staat“ ist finanziell am Ausbluten. Seine Gebietsverluste sind enorm und die Hochburgen Mossul und Al-Rakka isoliert. Viele Gefolgsleute desertieren. Allein im Irak haben die Dschihadisten 40 Prozent des zwischenzeitlich eroberten Territoriums verloren, ihr Herrschaftsgebiet schrumpfte um 14 Prozent. 10.000 IS-Kämpfer, darunter wichtige Anführer und viele der erfahrensten Kämpfer der ersten Generation, wurden getötet. Der Traum, bis Ende 2016 ein Kalifat im Nahen Osten auszurufen, läßt sich damit nicht mehr verwirklichen. Und auch die „IS“-Strategie, Selbstmordattentäter in westliche Gesellschaften einzuschleusen, hat einen erheblichen Dämpfer dadurch erlitten, dass den Sicherheitsbehörden geheime Personalbögen der IS-Kämpfer zugespielt wurden.

Der Verlust an eigenem Boden zwingt den „IS“ zu einer Umstrukturierung seiner geopolitischen Taktik in Richtung Europa. Die Anschläge von Brüssel sind damit nur zum Teil als Vergeltungsakte für die Gefangennahme des Pariser Attentäters Salah Abdeslam zu begreifen. Je mehr der syrische Diktator Assad die vom „IS“ besetzten Gebiete zurückerobert, desto mehr fordert er die Krieger heraus. Getroffene Hunde bellen, heißt es bekanntlich. Der Terror in Europa so ist die Logik einer Kompensation für die vielen Niederlagen der Heiligen Kämpfer in Syrien und im Irak. Auf Machtverlust antwortet der „IS“ mit einem gesteigerten Willen zur Macht und damit mit noch mehr Anschlägen und mehr Gewalt. Während der „IS“ auf dem Schlachtfeld zusehends das Nachsehen hat, ist er mit seinem Terror in Europa kaum wirkungsvoll zu bekämpfen. Damit ist es nur logisch, wenn er die Front seiner asymmetrischen Kriegsführung in westliche Großstädte verlegt.

Deutschland hatte bislang Glück – dank Merkel

Deutschland wurde bislang verschont, warum? Das sicherste Friedensschild für Deutschland heißt derzeit noch Angela Merkel. Die Kanzlerin der freien Welt, die Friedenskanzlerin, hat nicht für die Schließung der Grenzen plädiert. Sie hat weder die Balkanroute geschlossen noch ist sie von ihrer Flüchtlings- und Willkommensromantik deutlich abgerückt. Sie gilt in den Krisengebieten als die Retterin. Ihr Konterfei ziert Plakate und Schriftzüge im griechischen Flüchtlingsauffanglager Idomenie. Man setzt nach wie vor auf Merkel, sie ist das personalisierte Prinzip Hoffnung. Während viele Europa-Politiker mit ihrer Kritik an Merkel auch den Flüchtlingen wie häßliche Fratzen vorkommen, die sich dem Prinzip der Menschenliebe verweigern und nur ihre egoistischen Interessen von der Trutzburg und Festung Europa verteidigen, ist Merkel die warme Machtpolitikerin geblieben, die man zu einem Kurswechsel genötigt hat, die aber im Herzen davon nicht überzeugt ist. Die Kanzlerin, die das Wort Deutschland nicht so gern mehr in den Mund nimmt, spricht lieber davon, dass wir uns „in einer alles andere als einfachen Zeit“ befinden, in der sich die Welt in großer Unordnung zeigt.

Merkel hat sich nach wie vor die Vision einer universalen Heilsgeschichte auf die Agenda geschrieben. Das „Seid umschlungen Millionen“ wie es in Friedrich Schillers Gedicht „An die Freude“ heißt, bleibt ihr Credo. Und sie selbst begreift sich als die Tochter aus Elysium: In Schillers „Freude“ steht: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium, Wir betreten feuertrunkenHimmlische, dein Heiligthum. Deine Zauber binden wieder, was der Mode Schwerd getheilt;Bettler werden Fürstenbrüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Angela Merkel sieht sich zumindest als diese Himmelsboten, als „Himmlische“. Sie selbst hat damit die Politik zugunsten des Glaubens getauscht und beschwört wie eine hohe Priesterin die Weltgemeinschaft für ihre universale Religion – grenzenlosen Frieden inklusive.

Doch wenn Europa ernst macht und zur Festung wird, wird die Romantik und Rhetorik der Kanzlerin dem „Islamischen Staat“ ziemlich egal sein. Bis dahin aber bleibt ihr grenzenloser Idealismus und Optimismus, trotz Realitätsverweigerung, das Geheimnis des Friedens in Deutschland.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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