Was ist schon klar an dieser Geschichte, die ein wenig wie eine Parodie der aufgeregten Stasi-Diskussionen im Herbst 1991 und im Frühjahr 1992 in Deutschland wirkt. Jetzt geht es um die Securitate-Akten von Oskar Pastior, der als einer der ersten rumänisch-deutschen Autoren schon in den 60er-Jahren in die Bundesrepublik floh und sich im Literaturbetrieb als einer der ersten aus dieser lange Zeit ziemlich unbekannten deutschsprachigen Literatur etablierte. Durch den Nobelpreis an Hertha Müller segelte die deutsch-rumänische Literatur in der weltweiten Aufmerksamkeit sogar an jener der DDR vorbei, von deren Autoren sich keiner zu einem Nobelpreis emporschreiben konnte.
Unangenehme Pastior-Berichte
Und gerade dieser Oskar Pastior lieferte mit seiner sowjetischen Hafterfahrung die Erlebnis-Grundierung für jenen Roman von Hertha Müller, nach dessen Erscheinen sie den Nobelpreis bekam. Da waren die ersten Erkenntnisse zu seiner Geheimdienst-Mitarbeit schon ein Schock. Bei Pastior geht es auch um eine Stiftung mit seinem Namen. Und erst verteidigt der Schriftsteller-Kollege Dieter Schlesak Oskar Pastior und beschuldigt die jungen Kollegen, sie wüssten gar nicht, was im Rumänien der 60er-Jahre los war. Dann bekommt Schlesak selbst Akteneinsicht, blättert – wie gerade in einem Zeit-Online–Gespräch beschrieben – drei Tage in seiner 2.500-Seiten-Opfer-Akte, findet zwei unangenehme Pastior-Berichte und beschuldigt ihn heftig. Unter anderem auch als verantwortlich am Tod eines anderen Schriftsteller-Kollegen – dazu kommt noch eine opulente Geschichte von einem Zeugen, der etwas gehört hat.
Sachlich und nüchtern an die Dinge herangehen
Ernest Wichner, Autor und Leiter des Berliner Literaturhauses, mahnt da zur einzig richtigen Haltung: sachlich und nüchtern an die Dinge herangehen. Er stellt ein paar Mutmaßungen durch Fragenlogik in Zweifel. Ganz abgesehen davon, dürfte es sehr, sehr selten vorkommen, das man einen IM direkt für den Selbstmord eines anderen verantwortlich machen kann – das wären dann immer noch zuerst seine Auftraggeber.
Aber Dieter Schlesak berichtet auch vorbeugend gleich von seiner 69-seitigen Täter-Akte, die eine offenbar von der Securitate vorverfasste Mitarbeitserklärung enthielt (das machten sie ja gern) – mit Unterschrift. Schlesak meint, ganz offensichtlich nicht von ihm, das könne jeder seiner Freunde bezeugen. Mit Verlaub, kann er nicht. Und wenn er es bei Veröffentlichung tun würde, sagt das wenig, ob es eine Fälschung war oder der Unterschriebene selbst seine Unterschrift zur Unkenntlichkeit verzerren wollte. Als ob hier jemand Pastior leidenschaftlich aufrichtig beschuldigt oder er damit vorbeugend von der Beschäftigung mit der eigenen Akte ablenken will.
Mischung aus Aufklärungsversuch und Desinformationseifer
Da wünschte man sich schon deutsche Verhältnisse und Sachgutachten einer halbwegs verlässlich arbeitenden Behörde. Und wir ahnen erst einmal, wie richtig der deutsche Weg war, die Akteneinsicht nicht in dieser Art der Privatisierung versacken zu lassen. Wie lange hält die Öffentlichkeit diese Mischung aus Aufklärungsversuch und Desinformationseifer durch? Wäre der Vergleich Rumänien-DDR nicht etwas für die Osteuropa-Forschung, die mit der Perspektive der Diktaturprävention mehr als Vergangenheitsaufarbeitung betreiben könnte? Am besten wäre die Gründung eines Instituts, die diese doppelte Aktenführung auswertet, vergleicht und durch sachgemäße Zeitzeugenbefragungen ergänzt. Ansonsten bleibt nur eine Mutmaßung – alle sind irgendwie schuldig. Das wäre genauso schade wie falsch.
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