Der Buhmann bangt

Am 12. Juni ist es soweit: Der Iran wählt einen neuen Präsidenten. Nach dem heißersehnten Abtritt des unglückseligen George W. Bush könnte die Welt ein zweites Mal aufatmen, auch wenn dabei nicht mal annähernd ein ähnlicher Umschwung wie im Falle des messianisch angehauchten Barack Obama zu erwarten ist.
Es könnte nämlich eng werden für Mahmud Ahmadinedschad: Die globale Krise setzt dem durch Handelsembargos ohnehin gebeutelten Land weiter zu; lahmt die Weltwirtschaft, bleibt der Ölpreis weiterhin niedrig, was dazu führt, dass die Haupteinnahmequelle des Iran bedenklich schwächelt. Man darf also gespannt sein, ob die ohnehin nur durch staatliche Repression niedergehaltenen Stimmen der inneriranischen Opposition nicht am Ende so laut werden, dass sie das Lager des Präsidenten schlicht übertönen.
Dass dem Westen ein solcher Ausgang nicht eben ungelegen käme, steht spätestens seit Ahmadinedschads Auftritt auf der Genfer Anti-Rassismus-Konferenz Ende April außer Frage. Zahlreiche Delegierte der westlichen Welt verließen demonstrativ den Saal – Deutschland, die USA und Israel hatten erst gar nicht teilgenommen –, als der iranische Präsident seine Version des Themas Rassismus präsentierte. In seiner Sichtweise handelt Israel verbrecherisch, weil es sich als „Besatzerregime“ illegitim in Pälastina festgesetzt habe. Nach seiner Rückkehr in den Iran ist Ahmahdinedschad für seine markigen Worte im Parlament gefeiert worden.
Welcher Kreis von Vorstellungen steht hinter den Reden des kleinen Mannes, der in den Medien häufig verkürzt als „Holocaust-Leugner“ rubriziert wird? Historikerdispute hin, Übersetzungsprobleme her: Holocaust-Zweifler wäre richtiger. Offenbar hat Ahmahdinedschad einen anderen Ansatz, der zwei Ziele gleichzeitig verfolgt: Erstens greift er die Funktion an, die der Holocaust für das westliche Bewusstsein angenommen hat – die eines Dogmas nämlich, dass seiner eigenen, womöglich nihilistische Züge tragenden Zivilisation die fehlende Legitimität verleihen soll.
Zweitens akzeptiert er aber das Faktum des Holocaust – die Ermordung von sechs Millionen Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft –, um damit die Existenzberechtigung des jüdischen Staates in Frage zu stellen. Der Antisemitismus der Europäer und dann vor allem der Nazis habe die Juden ursächlich aus Europa vertrieben, darum müssten die Europäer jetzt auch dafür Sorge tragen, dass das Problem Israel gelöst werde – „to wipe it off the map“, wie Ahmadinedschad verschiedentlich zitiert wird. Diese geschichtsblinde und unter realpolitischem Gesichtspunkt völlig haltlose Interpretation dient dem Präsidenten des Iran nun seit einiger Zeit als Vorwand für sein aggressives Auftreten gegen Israel. Ob dieses wirklich darin gipfeln soll, nach erfolgreicher Herstellung einer Atombombe diese auch gegen den jüdischen Staat einzusetzen, ist zumindest fraglich – auch wenn manche amerikanische Beobachter schon einen dritten Weltkrieg heraufziehen sehen.
Vielleicht kommt alles aber auch ganz anders. Vielleicht geht die Ära Ahmadinedschad schon kommenden Freitag zu Ende. Und selbst wenn der kleine Mann sich noch einmal an der Macht halten kann, den Kampf gegen den Liberalismus, gegen die „Okzidentose“, wie man im revolutionären Islam die westliche Zivilisation nannte, kann er nicht gewinnen. Die schleichende Unterwanderung des Bewusstseins durch soft power, nämlich Handels- und Medienmacht, hält man nicht auf, indem man McDonalds-Filialen schließt und den Konsum westlicher Musik verbietet.
Es ist ein bißchen wie mit der DDR: So sehr man auch versucht, den vermeintlichen Hort des Heils gegen die schädlichen Einflüsse der westlichen Kultur zu verteidigen, man bringt auf Dauer nur die eigene Bevölkerung gegen sich auf. In den reichen Oberschichten der großen Städte hatte Ahmadinedschad ohnehin nie einen Rückhalt. Diese westlich orientierten Iraner erleben den ‚lebendigen Islam‘ als bloße Farce, ihre hedonistisch-großbürgerlichen Partys finden im Verborgenen statt – die Frauen tragen in der Öffentlichkeit Schleier, privat aber Catsuit.
Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass in den westlichen Medien die Freiheit des Wahlkampfs und der Mut der Beteiligten – etwa der emanzipationswilligen Frauenbewegung – überhöht werden, so deutet doch vieles darauf hin, dass der Stern der islamischen Hardliner im Sinken begriffen ist. Viele in der Opposition, die die Islamische Republik reformieren wollen, sind es offenbar endgültig leid, in der Weltgemeinschaft als schwarzes Schaf dazustehen. Mit der von US-Präsident Obama im März gezeigten Bereitschaft einer Neudefinition der Beziehungen zwischen beiden Ländern hat dieser Wunsch noch mehr Nahrung bekommen.
Doch selbst wenn es am 12. Juni zu einer Abwahl Mahmud Ahmadinedschads kommt, so darf man bei aller Euphorie nicht vergessen, welche Resistenz gegenüber Reformversuchen in der politischen Organisation der Islamischen Republik steckt. Der vom „Revolutionsführer“ und Obersten Rechtsgelehrten Chamenei zur Hälfte ernannte Wächterrat verfügt über die Macht, alle vom Parlament beschlossenen Gesetze wegen ihrer Nonkonformität mit dem Islam zu revozieren. Dieses Vetorecht ist ein keineswegs zu unterschätzendes Mittel, von dem auch in der jüngsten Vergangenheit noch Gebrauch gemacht wurde, zuletzt während der Amtszeit des gemäßigten Reformers Chatami, der seine Kandidatur für die anstehende Wahl bereits im März zurückgezogen hatte, um Mussawi zu unterstützen.
Eine Wahlniederlage Ahmadinedschads bzw. ein Sieg Mussawis muss deshalb weder in zu rosigem noch zu fahlem Licht gesehen werden. Mussawi, der den Iran durch den verheerenden Ersten Golfkrieg (1980-1988) führte, gilt zwar gegenüber dem amtierenden Präsidenten als gemäßigter; ein überzeugter Anhänger der Revolution und Verteidiger des iranischen Atomprogramms ist er aber nicht weniger als Ahmadinedschad. Was sich ändern könnte, ist die Bereitschaft des Irans zu Dialog und Austausch mit der westlichen Welt, was wiederum über längere Zeit dazu führen könnte, dass die demokratischen Elemente gestärkt werden und die theokratischen allmählich ihren Sinn verlieren. Ein Wahlsieg Ahmadinedschads wäre dagegen ein Zeichen für die Fortsetzung des Konfrontations- und Isolationskurses, der dem Land im vergangenen Jahrzehnt große Probleme bescherte und der über kurz oder lang zu neuen, auch militärisch ausgetragenen Krisen im Nahen und Mittleren Osten führen könnte. Man darf also gespannt sein, welchem der beiden einzuschlagenden Wege die Iraner ihr Votum geben werden.

Über Lembke Robert 35 Artikel
Robert Lembke, geb. 1980, bis 2005 Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie. Von 2006 bis 2008 Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Jena. Seit 2008 freier Autor und Schriftsteller (Gedichtband „Stadien“, 2010). Veröffentlichte u.a. in „FUGE – Zeitschrift für Religion und Moderne“.

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