23. Dezember 2024

Dennis Rohde über den Haushaltskompromiss: „Es kann nicht sein, dass die Schwächsten die Zeche zahlen“

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Dennis Rohde über den Haushaltskompromiss, das Sparen an den richtigen Stellen – und die Zukunft der Schuldenbremse.

„Dennis Rohde ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und war in dieser Rolle ganz nah dran an den Regierungsverhandlungen zum Haushalt 2024. Er ist zufrieden mit dem Ergebnis – weil der Sozialstaat nicht angetastet wird und der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft weiter vorangetrieben werden kann.

Fraktion intern: Weil das Bundesverfassungsgericht die Regeln für die Schuldenbremse im November präzisiert hat, musste der Haushalt 2024 nochmal neu geschnürt werden. Ganze elf Milliarden Euro wurden eingespart – die Regierung hat sich dazu in mehr als 200 Stunden Verhandlungen auf eine Lösung geeinigt. Die muss nun im Bundestag beschlossen werden. Wie zufrieden ist die SPD-Fraktion mit dem Ergebnis?

Dennis Rohde: Es waren zwei Dinge ganz herausragend wichtig und hinter beide können wir einen Haken machen. Der erste Punkt: Wir haben immer gesagt, es kann nicht sein, dass in so einer Haushaltskrise die Schwächsten in der Gesellschaft, die Ärmsten, die Ältesten, die Kinder, diejenigen sind, die die Zeche dafür zahlen müssen. Sozialkürzungen darf es nicht geben. Es gibt keine, da haben wir uns klar durchgesetzt. Und das Zweite war: Wir müssen als Staat auch unseren Teil dazu beitragen, dass die Wirtschaft klimaneutral umgebaut werden kann und dass die Arbeitsplätze hier gesichert bleiben, und dass bei uns auch Zukunftsindustrien entstehen. Für die Chip-Ansiedelungen in Dresden und Magdeburg zum Beispiel stehen die Fördergelder weiter zur Verfügung. Das ist uns super wichtig gewesen.

Fraktion intern: Ist wirklich jeder über seinen Schatten gesprungen?

Dennis Rohde: Ja, ich finde, jeder ist über seinen Schatten gesprungen. Bei der FDP gab es zum Beispiel zwei ganz knallharte rote Linien. Sie wollte die Aussetzung der Schuldenbremse vermeiden und neue Einnahmen. Und wir haben jetzt zumindest gemeinsam festgestellt, dass der Ukraine-Krieg geeignet ist, die Schuldenbremse in 2024 gegebenenfalls doch noch einmal auszusetzen. Außerdem haben wir uns auf die Streichung klimaschädlicher Subventionen geeinigt.

Fraktion intern: Medial ging ja sofort die Ausdeutung los: Wer ist Gewinner und Verlierer? Kann man Haushaltspolitik wirklich nach solchen Kriterien beurteilen?

Dennis Rohde: Nein, das passt nicht zum Finden nach Kompromissen einer Koalition. Am Ende gehört der Kompromiss zur Demokratie. Solange hier keiner eine absolute Mehrheit hat, müssen wir nun einmal Abstriche machen. Und dann ist es immer ein Geben und Nehmen, bis sich alle darin wiederfinden. Ich bin stolz auf Kompromisse.

Fraktion intern: Dass der Haushalt gerade so ein Riesenthema geworden ist, liegt ja an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November. Kannst du nochmal ganz kurz erklären, was entschieden wurde und was daraus folgte?

Dennis Rohde: Der Wesenskern des Urteils ist, dass wir Schulden in Krisenzeiten nicht mehr so buchen dürfen, wie wir es bisher gemacht haben. Wir gingen bisher davon aus, wenn wir etwa aufgrund einer Naturkatastrophe die Schuldenbremse aussetzen und 100 Milliarden Euro für den Wiederaufbau brauchen, dass wir die Schuldenbremse einmalig für diese Summe aussetzen und das Geld in den nächsten zehn bis 15 Jahren abfließt. Karlsruhe hat aber nun vorgeschrieben, dass wir jedes Jahr aufs Neue festlegen müssen, wie viel Geld für den Wiederaufbau benötigt wird, und dafür Jahr für Jahr die Schuldenbremse aufs Neue aussetzen müssen.

Fraktion intern: Wieso ließ sich denn das Jahr 2023, das ja von dem Urteil genauso betroffen war wie 2024, so viel leichter reparieren?

Dennis Rohde: Das Jahr 2023 war ja zur Zeit des Urteils schon fast zu Ende. Wir haben ganz vielen Menschen mit den Strom- und Gaspreisbremsen geholfen und damit die Schuldenbremse nach den neuen Regeln überschritten. Wir konnten im Dezember nicht irgendwo noch schnell 50 Milliarden im Haushalt einsparen, um das anders hinzubekommen. Deshalb war allen Beteiligten klar, dass wir für 2023 die Schuldenbremse aussetzen müssen – und das haben wir dann so beschlossen im Parlament.

Fraktion intern: Es fehlten ja für 2024 infolge dieses Urteils elf Milliarden Euro im Haushalt. Wie wird diese Lücke nun geschlossen und wer muss dafür zahlen?

Dennis Rohde: Erst einmal wird die Lücke dadurch geschlossen, dass alle etwas einsparen müssen in ihren Ministerien. Zudem sollen klimaschädliche Subventionen abgebaut werden. Wir verbessern also die Einnahmesituation – auch durch die Erhöhung des CO2-Preises. Es gibt jetzt nicht die eine große Maßnahme, sondern das sind ganz, ganz viele kleine Stellen, wo wir sparen.

Fraktion intern: Lagen denn auch Ideen auch auf dem Tisch, wie man das über eine ganz große Maßnahme lösen kann?

Dennis Rohde: Ja, es hätte die Möglichkeit gegeben, auch für das Jahr 2024 die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen, weil der Ukraine-Krieg den Staatshaushalt zu sehr belastet. Wir müssen alles darauf setzen, dass der Krieg beendet wird. Dafür müssen wir Geld in die Hand nehmen. Diejenigen, die sagen, dass man für die Ukraine die Schuldenbremse nicht aussetzen kann, die sagen quasi, dass die Ukraine der Normalzustand ist. Und für mich ist ein Krieg in Europa kein Normalzustand. Das wäre für mich eine ehrliche und auch die präferierte Lösung gewesen. Aber wir sind uns in der Ampel einig, dass das im Laufe des Jahres noch zur Option werden kann. Ich möchte nicht, dass wir die äußere gegen die innere und soziale Sicherheit ausspielen. Und deswegen werden wir uns, was die Ukraine angeht, die Schuldenbremse wirklich Woche für Woche angucken. Und im Zweifel sind wir bereit, das Instrument auch zu ergreifen.

Fraktion intern: Die Union wirft der Ampel Trickserei vor – weil sie sich ja nun vorbehält, diese Option noch einmal zu ziehen in den kommenden Monaten.

Dennis Rohde: Was mir auffällt in dieser ganzen Debatte um den Haushalt: Es geht nur noch um Superlative. Alles ist schlecht, alles ist verfassungswidrig, alles ist nur noch Trickserei. Das hat mit seriöser Oppositionspolitik gar nichts mehr zu tun. Ich würde mir wünschen, dass die Union Vorschläge macht, was sie anders machen würde. Sie hat ja bisher keinen einzigen Antrag gestellt, in dem sie aufzeigt, wo sie einsparen würde, so dass man sachlich miteinander diskutieren kann.

Fraktion intern: Der Klima- und Transformationsfonds muss ja jetzt mit knapp 13 Milliarden Euro weniger für 2024 auskommen. Reicht das denn noch für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft, inklusive der sozialen Abfederung?

Dennis Rohde: Wir konzentrieren uns auf die Programme, die funktionieren und die wirklich wichtig sind für den Umbau unserer Wirtschaft, wir setzen Prioritäten. Alles das, was für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen und auch den sozialen Zusammenhalt wichtig ist, das wird künftig daraus finanziert. Und auch die großzügige Förderung der Anschaffung klimafreundlicher Heizungen bleibt erhalten.

„Für mich ist Krieg in Europa kein Normalzustand.“

Fraktion intern: Diese Einigung kommt jetzt ins Parlament, in den Haushaltsausschuss. Will die SPD-Fraktion noch etwas daran verändern?

Dennis Rohde: Es ist das Recht des Parlaments zu sagen, wofür Geld ausgegeben wird. Und natürlich werden wir uns in den nächsten Wochen das, was an Vorschlägen aus dem Kanzleramt, dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium kommt, genau angucken – und im Zweifel wieder Dinge verändern und nachjustieren.

Fraktion intern: Wie sieht der Zeitplan jetzt genau aus?

Dennis Rohde: Am 11. Januar findet eine Sachverständigenanhörung statt, da werden wir uns dann von Expert:innen ein paar rechtliche Einordnungen geben lassen zu dem, was vorgeschlagen ist. Dann werden wir mit dem Wissen am 18. Januar die Bereinigungssitzung machen, in der etwaige Änderungen beschlossen werden. Und dann wird am 2. Februar der Bundeshaushalt im Bundestag verabschiedet und hoffentlich auch im Bundesrat.

Fraktion intern: Der Haushalt 2025 steht ja auch bald an. Muss es da wieder große Sparanstrengungen geben, damit wir all unsere Ziele erreichen können, oder müssen wir nicht vielleicht doch die Schuldenbremse ganz grundsätzlich reformieren, weil es ja auch schwierig ist, immer wieder eine Notlage zu definieren. Letztendlich kostet die Energiewende einfach viel Geld.

Dennis Rohde: Wir müssen eine Debatte darüber führen, ob die Schuldenbremse, so wie sie einmal konzipiert wurde, vielleicht einfach Denkfehler hat, wo wir nach fast 15 Jahren sagen können, an der ein oder anderen Stelle funktioniert etwas nicht. Ein Punkt ist: Die Schuldenbremse unterscheidet bei den unterschiedlichen Ausgaben nicht. Sie unterscheidet nicht zwischen Personalkosten und Investitionen. Und was ist denn generationgerecht daran, wenn ich zwar ein ausgeglichenes Konto habe, aber alle Schulgebäude in Deutschland verfallen? Was ist generationengerecht daran, wenn ich ein ausgeglichenes Konto habe, aber unsere gesamte Verkehrsinfrastruktur ist kaputt ist?

„Die CDU muss jetzt klären, was ihre Prioritäten sind: Politik für die Menschen machen – oder Populismus.“

Fraktion intern: Nun hat die CDU aber einen Vorsitzenden, der kategorisch gegen eine Reform der Schuldenbremse ist. Wie realistisch ist denn eine Grundgesetzänderung, für die man ja die Union bräuchte, absehbar durchzubekommen?

Dennis Rohde: Ich sehe da einen Riesenstreit in der CDU zwischen denjenigen, die Verantwortung tragen, denjenigen, die tagtäglich ihren Laden am Laufen halten müssen, also die Ministerpräsidenten, die in der Landesregierung sind auf der einen Seite und auf der anderen Seite die anderen, von denen ich gerade schon mal gesprochen habe, die hier nur noch in Superlativen versuchen, Dreck auf die Regierung zu schmeißen und sich in ihrem eigenen Populismus verfangen. Und ich habe die große Hoffnung, dass die vernünftigen Kräfte in der Union sich in dieser Frage durchsetzen.

Fraktion intern: Du siehst also eine realistische Chance, dass man die Schuldenbremse reformieren kann.

Dennis Rohde: Die CDU muss jetzt klären, was ihre Prioritäten sind: Politik für die Menschen machen oder Populismus. Und wenn sich die Vernünftigen durchsetzen, sehe ich wirklich eine realistische Chance für eine Reform der Schuldenbremse, weil es einfach Webfehler gibt.“

Quelle: SPD-Fraktion im Bundestag

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