Der Deutsche Bundestag berät am 8. September 2009 über die Aufhebung der Todesurteile gegen Deserteure der Wehrmacht
Als der schwarze Vorhang fällt, ist für Ludwig Baumann ein Jahrzehnte langer Traum Wirklichkeit geworden: Es gibt ein Denkmal für die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz. Dass der 87-Jährige jedoch diesen Moment tatsächlich erleben darf, ist alles andere als selbstverständlich. Schließlich war Baumann eigentlich schon tot, damals im Jahr 1942. Wegen „Fahnenflucht im Felde“ hatte ihn ein Marinegericht im französischen Bordeaux zum Tode verurteilt. Der damalige Marinegefreite Baumann hatte mit Hilfe französischer Freunde zusammen mit einem Kameraden versucht, in das von Nazi-Deutschland unbesetzte Frankreich zu fliehen. Kurz vor der Demarkationslinie waren die beiden aber von einer Zollstreife aufgegriffen worden. Nach seiner Verurteilung saß Baumann zehn Monate, immer an Händen und Füßen gefesselt, in der Todeszelle. Bei jedem Schritt der Wächter, bei jedem Drehen des Schlüssels im Schloss musste er davon ausgehen, zur Hinrichtung geholt zu werden. Dass seine Todesstrafe, nachdem er Konzentrationslager und ein Wehrmachtsgefängnis durchlitten hatte, in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt worden war, erfuhr er erst später, als er in ein Strafbataillon gesteckt wurde.
Juristisch gesehen ist Baumann immer noch ein zum Tode verurteilter Deserteur. Die etwa 30 000 Urteile der nationalsozialistischen Strafjustiz gegen Deserteure der Wehrmacht, von denen etwa 20 000 vollstreckt wurden, haben nach wie vor Bestand. Am 8. September 2009 könnte sich das ändern. Möglicherweise hebt der Deutsche Bundestag in seiner 233. Sitzung die in den Augen mancher Historiker als „letztes Tabu“ bezeichneten Urteile gegen die so genannten Kriegsverräter aus der Zeit des Nationalsozialismus auf. Hinter dem so nüchternen Tagesordnungspunkt über das „Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ verbergen sich nicht nur ein Stückweit deutscher Zeit- und Rechtsgeschichte, sondern darüber hinaus viele Emotionen und persönliche Schicksale – wie etwa das von Ludwig Baumann.
Der ist heute Vorsitzender der „Bundesvereinigung Opfer der NS-Justiz“ und setzt sich für deren Rehabilitierung ein. Die Vereinigung ist schließlich ein Zusammenschluss von Menschen, die wegen ihrer Desertierung als so genannte Wehrkraftzersetzer und Kriegsverräter galten und noch viele Jahre nach dem Krieg „kriminalisiert worden sind und von der Anerkennung als NS-Opfer ausgegrenzt wurden“, sagt Werner Jung, Direktor des NS-Dokumentationszentrums in Köln. Dieses Gebäude war von 1935 bis 1945 die Dienststelle und das Gefängnis der Gestapo. Schräg gegenüber wurde auf den Tag genau am 70. Jahrestag des Überfalls der Wehrmacht auf Polen das Denkmal für die ese Opfergruppe eingeweiht, ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn erstmals ist es eine Stadt, die sich durch die Auslobung eines prominent besetzten internationalen Kunstwettbewerbs für die würdige Erinnerung an diese Opfergruppe eingesetzt hat. Bislang waren es meist private Initiativen, die mit Erinnerungstafeln oder Mahnmalen an diese Personengruppe gedachte.
Nun steht in der Kölner Innenstadt ein Denkmal, das, so Jung, einen „Erinnerungsraum im Zentrum der Stadt eröffnet und nationale Bedeutung zukommt“. Das von dem international renommierten Grafikdesigner Ruedi Baur geschaffene Denkmal erinnert an eine Pergola, deren Dach eine Sequenz aus farbigen Aluminiumlettern bildet, die mit den Worten beginnt „Hommage den Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Menschen die sich weigerten zu foltern die Menschen die sich weigerten zu denunzieren…“. Eine „kleine Solidaritätskette von Gesten der Zivilcourage“ nennt Ruedi Baur die Sequenz. Die Stadt Köln stellte 120 000 Euro zur Verfügung, der Rat der Stadt fasste die entsprechenden Beschlüsse, und eine Bürgerinitiative stockte das Budget durch Spenden nochmals um 15 000 Euro auf.
Ob das Kölner Denkmal auch Einfluss auf die Parlamentsdebatte haben wird? Erst im Jahr 2002 hatte der Bundestag die Deserteure des Zweiten Weltkrieges rehabilitiert, dabei aber ausdrücklich so genannte Kriegsverräter ausgeschlossen, die nach Paragraf 91b des Reichsstrafgesetzbuchs wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt worden waren. Sie blieben ausgespart, weil befürchtet wurde, dass auf diese Weise auch Soldaten rehabilitiert werden könnten, die durch ihr Verhalten anderen Kameraden geschadet hätten. Doch ein vom Bundesjustizministerium beim ehemaligen Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein in Auftrag gegebenes Gutachten brachte eine neue Qualität in die Debatte, vor allem im Rechtsausschuss des Bundestags. Klein identifizierte den 1934 formulierten Kriegsverräter-Paragrafen als ein Instrument der NS-Justiz, mit dem es möglich wurde, fast jegliches missliebige Verhalten durch die Todesstrafe zu sanktionieren. Ferner bezeichnete der Ex-Verfassungsrichter den Paragraf als mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
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