Die hohen Energiepreise, die politisch noch mit Steuern und Abgaben belastet worden sind, haben bereits zahllose Betriebe ins Aus getrieben. Der Toilettenpapierhersteller Hakle und der Schuhverkäufer Görtz sind nur die jüngsten Beispiele. Statt etwas dagegen zu tun, sollen wir uns laut Bundeskanzler Scholz „unterhaken“ und so den Zumutungen trotzen.
Laut „Handelsblatt“ vom 7. September 2022 greifen die steigenden Preise für Energie und Rohstoffe die Substanz der deutschen Industrie an. Mehr als 90 Prozent der Industrieunternehmen würden darin eine “starke” (58 Prozent) oder “existenzielle” Herausforderung (34 Prozent) sehen. Das belege die Umfrage “Lagebild im industriellen Mittelstand” des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die dem Blatt vorliegt.
Tatsächlich liest sich die unvollständige Liste der Unternehmen, die bereits aufgegeben, oder ihre Produktion in Deutschland gedrosselt haben, wie eine Liste des Grauens. Erstellt wurde sie von der Akademie Bergstraße.
Deindustrialisierung Deutschlands und Europas
In Deutschland und teilweise in ganz Europa findet eine schleichende Deindustrialisierung statt. Die Ursachen sind vielfältig, können inzwischen aber nicht mehr einfach nur als „normaler Strukturwandel“ abgetan werden. Energiemangel durch eine falsche Energiepolitik mit ungerechtfertigt hohem Vertrauen in die wetterabhängigen Umgebungsenergien Wind und Sonne bei fehlenden Groß-Speichern sowie stark steigende Energiepreise inklusive CO2-Bepreisung sind wesentliche Ursachen. Weitere Gründe sind zunehmende Lieferketten- bzw. Beschaffungsprobleme, eine erdrückende EU-Regulierung und ausufernde nationale Bürokratie. Hinzu kommen die Lohnkostenentwicklung als Folge der ultraexpansiven, inflationstreibenden Geldpolitik der EZB und der explodierenden konsumtiven Ausgaben des Staatshaushalts, die international gesehen hohe Steuer- und Abgabenlast und der jahrelang ignorierte Fachkräftemangel. Die vielfach selektiv den Standort Deutschland betreffenden Auflagen für die Industrie und das Handwerk lassen sich nicht klimapolitisch begründen. Denn durch abnehmende Investitionsbereitschaft der Industrie innerhalb Deutschlands und zunehmende Produktionsverlagerungen in Länder mit weniger Restriktionen und Auflagen werden größere Umweltschäden billigend in Kauf genommen.
Die folgende, zwangsläufig lückenhafte Dokumentation zeigt exemplarisch das Ausmaß der beginnenden Deindustrialisierung.
Backs: Die Industrie schaltet schneller ab als vermutet
Neusser Aluminiumhersteller Speira halbiert Produktion am Standort Neuss
(09.09.2022) Der Neusser Aluminiumhersteller Speira halbiert seine Produktion am Standort Neuss. Stattdessen verkauft er überschüssigen Strom, wird somit zum „Stromdealer“, schreibt die Wirtschaftswoche am 9. September 2022 und wertet dies als „Alarmsignal“: „Die Industrie funkt SOS nach Berlin.“ Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben beschlossen, 50 Prozent seiner Produktion von Primäraluminium am Standort „Rheinwerk“ in Neuss bis auf Weiteres einzuschränken. Das verringert die Hüttenproduktion künftig auf 70.000 Tonnen Primärmetall pro Jahr. „Diese Entscheidung wurde aufgrund der steigenden Energiepreise in Deutschland getroffen“, schreibt das Unternehmen. „Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie viele andere europäische Aluminiumhütten. Die Energiepreise haben in den letzten Monaten ein zu hohes Niveau erreicht, und wir gehen nicht davon aus, dass diese in naher Zukunft sinken werden. Diese Entwicklung erfordert, dass wir 50 Prozent unserer Primärproduktion bis auf Weiteres drosseln, um Speiras Wertschöpfung zu erhalten“, sagte Einar Glomnes, CEO von Speira. Deshalb will Speira das Primäraluminium jetzt zur Hälfte importieren, etwa aus dem Nahen Osten oder aus Nordamerika. „Die Herstellung von Primäraluminium in Deutschland, aber auch in ganz Europa ist nicht mehr wirtschaftlich möglich“, sagte Geschäftsführer Volker Backs der Wirtschaftswoche, die zugleich die Frage aufwirft: „Ist das die befürchtete Zeitenwende für den Industriestandort Deutschland?“ Backs dringt auf eine Diskussion, die das größere Bild ins Auge fasst, die Frage nämlich, ob Europa es sich leisten kann, auf die Produktion wichtiger Grundstoffe zu verzichten – zugunsten etwa von China. Es gehe sehr fix. „Die Industrie schaltet schneller ab, als das manche wahrnehmen.“ Der „Abschaltprozess“ in Neuss wird Anfang Oktober beginnen und voraussichtlich im November abgeschlossen sein. „Aluminium wird per Elektrolyse hergestellt.“ Strom sei die entscheidende „Zutat“ bei diesem chemischen Prozess, erläutert die Wirtschaftswoche. Rund 2,4 Terawattstunden Strom pro Jahr benötige Speira allein am Standort Neuss, um in 318 Elektrolysezellen 140.000 Tonnen Aluminium herzustellen. „Das ist so viel Strom wie die Stadt Düsseldort verbraucht. Aber seit die Energiekosten explodiert sind, lohnt sich das nicht mehr.“ Speira ist ein globales Aluminiumwalz- und Recyclingunternehmen mit sieben Produktionsstätten sowie einem F&E-Zentrum. Dazu gehören unser Joint Venture Alunorf, das weltweit größte Aluminiumwalzwerk, und das Werk in Grevenbroich, das weltweit größte Werk zum Veredeln von 2 / 2 Aluminiumwalzprodukten, sowie mehrere internationale Vertriebsbüros. Speira beschäftigt rund 5.000 Mitarbeiter vor allem in Deutschland und Norwegen, 800 davon in Neuss. Das Unternehmen plant in dem Zusammenhang vorläufig keine betriebsbedingten Kündigungen. Die Aktivitäten von Speira gründen nach eigener Darstellung auf mehr als einem Jahrhundert Erfahrung im Walzen und Recycling von Aluminium und technischem Know-how für Aluminiumprodukte. Das Unternehmen beliefert einige der bekanntesten Unternehmen weltweit in den Industrien Automobil, Verpackungen, Druck, Bau, Maschinen- und Anlagenbau (Speira GmbH 07.09.2022, WiWo 09.09.2022).
Produktionseinschränkung, Gründe: · Energiepreise
Corona-Politik, Lieferengpässe, Rohstoff- und Energiepreise
Automobilzulieferer Dr. Schneider ist insolvent
(08.09.2022) Dr. Schneider, ein international tätiger Automobilzulieferer aus dem bayerischen Kronach-Neuses ist insolvent. Obwohl die Auftragslage gut sei, sind dem Unternehmen die finanziellen Mittel ausgegangen. Als Gründe für die finanzielle Schieflage nennt das Unternehmen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Lieferengpässe bei bestimmten Komponenten und die daraus resultierenden stark schwankenden Abrufe hätten zu deutlichen Umsatzeinbußen geführt (- 13 % von 2019 auf 2021), schreibt Automobil Industrie am 9. September 2022. Zudem drücken die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise die Margen. Die Produktion soll „in vollem Umfang“ aufrecht erhalten bleiben. Das Unternehmen hat sich auf Produkte für den Fahrzeuginnenraum spezialisiert. Darunter sind zum Beispiel Belüftungssysteme, Dekorblenden, Ablagesysteme und Mittelkonsolen. Von der Insolvenz sind in Deutschland etwa 2.000 Mitarbeiter betroffen, die nun für drei Monate Insolvenzgeld erhalten. Die eigenständigen Gesellschaften in China, Polen, Spanien und den USA seien nicht Teil des Insolvenzverfahrens, heißt es in einer Mitteilung. Insgesamt beschäftigt Dr. Schneider 4.000 Mitarbeiter. Das Unternehmen möchte jetzt verstärkt in den Regionen Nordamerika und China investieren. Dafür benötigt der Zulieferer nun einen Investor (Focus 07.09.2022, Automobil Industrie 09.09.2022).
Insolvenz, Gründe: · Energiepreise · Lieferketten/Beschaffung/Preise · Sonstiges, Anz. betroffene Arbeitsplätze: 2.000
Energiekosten, Preisdruck, Elektromobilität
Autozulieferer Vitesco baut 800 Stellen ab
(08.09.2022) Die Vitesco Technologies Group AG, ein Autozulieferer mit Sitz in Regensburg, streicht bis 2026 am Produktionstandort Nürnberg 810 von 1160 Jobs. „70 Prozent aller Arbeitsplätze fallen dort weg“, schreibt Bild am 8. September 2022. Und das, obwohl laut Firmensprecherin Emerenz Magerl-Ziegler (42) „erfreulich hohe Auftragseingänge“ vorlägen. Begründet wird der Kahlschlag mit gestiegenen Energiepreisen und internationalem Preisdruck. Das so genannte „Kompetenzzentrum E-Mobilität“ in Nürnberg soll nach Angaben von Vitesco „konsolidiert, hochautomatisiert und effizient“ mit nur noch rund 350 Mitarbeitern „international wettbewerbsfähig“ aufgestellt werden. Somit werde die Produktion in Deutschland verbleiben. „Trotz aller Bemühungen lassen sich sehr schmerzhafte Einschnitte leider nicht vermeiden“. Ohne das nun gebilligte „Zukunftskonzept Elektromobilität“ wären die Konsequenzen aber mittel- und langfristig noch viel drastischer gewesen, so die Einschätzung des Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. Siegfried Wolf und seines Stellvertreters Ralf Schamel von der IG Metall. „Das muss allen Beteiligten bewusst sein.“ (Vitesco Technologies Group AG, n-tv 07.09.2022, Bild 08.09.2022).
Produktionsumstellung, Gründe: · Energiepreise · Sonstiges, Anz. betroffene Arbeitsplätze: 810
Kein AdBlue und Diesel – droht jetzt eine Versorgungskrise?
SKW Piesteritz legt Ammoniak-Anlagen still
(08.09.2022) Bei den Stickstoffwerken SKW Piesteritz in Sachsen-Anhalt steht die Ammoniak-Anlagen still. „Das ist deswegen dramatisch, weil aus diesen Anlagen neben Düngemittel auch der AdBlue-Zusatz für die Abgasnachbehandlung bei Dieselfahrzeugen kommen“, schreibt Tichys Einblick am 8. September 2022. SKW stelle etwa 40 Prozent des gesamten AdBlue-Bedarfs in Deutschland her, dabei handele es sich nach Berechnungen des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung um bis zu fünf Millionen Liter – pro Tag. „Grund für die Produktionseinstellung waren die Gaspreise, aber auch Entscheidungen der Politik wie etwa die Gasumlage, die eine deutsche Spezialität ist – in anderen Länder werden die Gaspreise stattdessen gedeckelt“, sagte der Sprecher von SKW, Christopher Profitlich, gegenüber Focus online. „Bisher schwankten die Gaspreise im Sommer zwischen 5 und 10 und im Winter zwischen 30 und 40 Euro pro Megawattstunde. Nun liegt der Preis zwischen 200 und 300 Euro und ist extremen Schwankungen unterworfen.“ Ammoniak wird aus Erdgas hergestellt, dabei fällt auch AdBlue an. Erdgas ist sowohl Rohstoff als auch gleichzeitig Energiequelle, die die Wärme für die Produktion liefert. Die exorbitant hohen Erdgaspreise, auf die noch Umlagen, Abgaben, Steuern für einen räuberischen Staat kommen, richten Unternehmen zugrunde. Allein 30 Millionen Euro Gasumlage müsste SKW abdrücken – zu viel. Daher lieber Produktion und letztlich irgendwann das Werk schließen. Fast alle moderneren LKW, Transporter oder Traktoren brauchen den gesetzlich vorgeschriebenen Zusatz AdBlue zur Reinigung von Dieselabgasen. Focus: „Stehen bald von 800.000 LKW, die täglich durch Deutschland fahren, viele still?“ Das könnte im schlimmsten Fall tatsächlich passieren, warnt Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Nur wenige Hersteller dominieren den Markt – „und haben jetzt wegen der extremen Gaspreise die AdBlue-Produktion eingestellt oder gedrosselt“. Auch andere Produkte des Chemieunternehmens fehlen jetzt. Mit erheblichen Konsequenzen, so Focus: „Wenn wir uns von russischem Gas lösen wollen, macht es wenig Sinn, wenn wir gleichzeitig Harnstoff aus Russland importieren, denn auch das ist letztlich ein Erdgas-Produkt. Indem wir unsere eigene Produktion, etwa von Düngemitteln, zurückfahren, machen wir uns umso mehr vom Ausland abhängig“, so Profitlich. (Focus 08.09.2022, Tichys Einblick 08.09.2022)
Produktionseinschränkung, Gründe: · Energiemangel · Energiepreise
Weitere Meldung(en) zu „SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH“:
19.08.2022: Bei Düngemittelhersteller SKW steht Produktion still
Steigende Energiekosten waren „unkalkulierbares Risiko“
Autozulieferer BIA schließt Werk in Forst
(08.09.2022) Der Automobilzulieferer BIA (BIA Kunststoff- und Galvanotechnik GmbH & Co. KG, Au) gibt seinen Standort im baden-württembergischen Forst auf, schreiben die Badischen Neuesten Nachrichten am 8. September 2022. Das Forster Werk fertigt unter anderem Chromzierleisten für die Autobranche. Seit vielen Jahren befände es sich in der Krise, heißt es vonseiten der Geschäftsführung. 2020 seien knapp eine Million Euro in einen Umbau der Produktion investiert worden. Jedoch seien Aufträge ausgeblieben. Die steigenden Energiekosten hätten sich zudem zu einem „unkalkulierbaren Risiko“ entwickelt. Noch vor Ablauf des Winters werde die Produktion stillgelegt. 150 Mitarbeiter stehen damit bis Ende 2022 auf der Straße (BNN 08.09.2022).
Betriebsaufgabe, Gründe: · Energiepreise · Sonstiges, Anz. betroffene Arbeitsplätze: 150
Hohe Energiepreise bedrohen deutsche Firmen
Handelsblatt: „Einstieg in die Deindustrialisierung?“
(07.09.2022) „Die Aussichten der Industrie verdüstern sich: Es gibt wenig Hoffnung auf schnelle Hilfen gegen die hohen Energiepreise. Investitionen werden gestrichen, die Produktion gedrosselt“, schreibt das Handelsblatt am 7. September 2022. „Die steigenden Preise für Energie und Rohstoffe greifen die Substanz der deutschen Industrie an.“ Mehr als 90 Prozent der Industrieunternehmen würden darin eine „starke“ (58 Prozent) oder „existenzielle“ Herausforderung (34 Prozent) sehen. Das belege die Umfrage „Lagebild im industriellen Mittelstand“ des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die der Zeitung vorliege. „Die Politik muss jetzt aktiv werden, um Insolvenzen und weitere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen zu verhindern“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem Handelsblatt. Inzwischen zahle die deutsche Industrie im Großhandel für 2023 einen Gaspreis, der um den Faktor acht höher liege als in den USA. Die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM), Franziska Erdle sagte dem Handelsblatt: „Wir brauchen jetzt schnell Soforthilfen, sonst droht uns in Deutschland mit der Abwicklung der Grundstoffindustrie der Einstieg in die Deindustrialisierung.“ Die Entwicklung könnte die Wirtschaftsstruktur ändern. Laut BDI-Umfrage würden viele mittelständische Unternehmen „Investitionen in die ökologische Transformation zurückstellen. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) befürchtet einen sich daraus ergebenden Teufelskreis, da gleichzeitig die CO2-Preise stetig weiter steigen. Mittelfristig würden die CO2-Belastungen so enorm ansteigen (Handelsblatt 07.09.2022).
Risiko-Anzeige, Gründe: · Energiepreise · Klimapolitik/CO2-Preis
Inflation und steigende Energiepreise
Traditions-Schuhhändler Görtz ist insolvent
(07.09.2022) Traditions-Schuhhändler Görtz, der Schuhe teilweise auch selbst designt und produziert, ist zum Sanierungsfall geworden. Die Muttergesellschaft Ludwig Görtz GmbH hat ein Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung beantragt, teilte das Unternehmen 6. September 2022 mit. Der Ukraine-Krieg, die Inflation und steigende Energiepreise „führten zu enormer Kaufzurückhaltung in den Filialen und im Onlinegeschäft“. Der Geschäftsbetrieb läuft vorläufig weiter. Die Löhne und Gehälter der rund 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in den kommenden Monaten von der Bundesagentur für Arbeit übernommen (Ludwig Görtz GmbH 06.09.2022, Focus 07.09.2022).
Insolvenz, Gründe: · Energiepreise · Sonstiges, Anz. betroffene Arbeitsplätze: 1.800
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
„Dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren“
(06.09.2022) Vor dem Hintergrund der Energiekrise und der Inflation wurde Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 6. September 2022 in der ARD-Sendung „Maischberger“ gefragt, ob er den Mittelstand im Stich lasse. Ein energieintensiver Bäckereibetrieb zum Beispiel bleibe von Entlassungsmaßnahmen nahezu komplett auf der Strecke. „Energiepreisdämpfungsprogramme“ sollten ja auch für den Mittelstand geöffnet werden, antwortete Habeck. Das müsste noch genau ausgearbeitet werden. Betriebe, wie Bäckereien hätten nun hohe Energiekosten, aber auch der Weizenpreis sei enorm gestiegen. Die aktuelle Situation sei der Tropfen, der das Fass in vielen Branchen zum Überlaufen bringe. Es müsste geschaut werden, wer wirklich Hilfe brauche. Ferner wurde der Wirtschaftsminister gefragt, ob er mit einer Insolvenzwelle im Winter rechne. Dies verneinte Habeck, und ergänzte: „Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren.“ Läden wie Blumenläden, Bioläden, Bäckereien würden Probleme haben, weil es eine Kaufzurückhaltung gebe, so Habeck und fuhr fort: „Dann sind die Betriebe nicht insolvent, automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“ Auf eine weitere Nachfrage, sagte der Minister, es werde nicht automatisch eine Insolvenzwelle geben. „Aber es kann sein, dass Bäckereien oder Handwerksbetriebe dieses Jahr die wirtschaftliche Betätigung einstellen müssen.“ Nach weiterem Wortwechsel: „Genau, dann geht der Bäcker pleite. Wenn er die Brötchen backt, aber nicht verkaufen würde.“ Schließlich betonte Habeck noch: „Wir arbeiten mit Hochdruck an der richtigen Lösung, wie beim Stresstest …“ (ARD/Maischberger 06.09.2022)
Risiko-Anzeige, Gründe: · Energiepreise
Papierindustrie durch Energie- und Rohstoffpreise belastet
Traditionsunternehmen Hakle meldet Insolvenzverfahren an
(05.09.2022) „Hakle ist einer der traditionsreichsten Anbieter von Toilettenpapier“, schreibt die Welt am 5. September 2022. „Jetzt kämpft der fast 100 Jahre alte Mittelständler ums Überleben. Grund sind die hohen Energie- und Rohstoffpreise. Und die Situation betreffe den ganzen Sektor, warnt der Branchenverband.“ Die energieintensive Papierindustrie unterliegt seit dem Beginn der Corona-Pandemie 2020 starken Verwerfungen im global agierenden Rohstoff-, Logistik- und Energiemarkt, so Hakle. Die Unternehmen kämpfen seit nunmehr drei Jahren mit stark gestiegenen Herausforderungen – vor allem im Gas- und Stromsektor. Das Familienunternehmen aus Düsseldorf spricht von „einer als historisch zu bezeichnenden Energiekrise“. Die massiv gestiegenen Kosten für Material- und Energiebeschaffung sowie der Transporte konnten bislang nicht im zeitlich und/oder wirtschaftlich hinreichenden Umfang an die Kunden im Lebensmitteleinzelhandel und dem Drogeriesektor weitergegeben werden. Der Hygienepapierhersteller mit den traditionsreichen Marken wie Hakle, Hakle Feucht und Servus hat ein „Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung“ angemeldet. Löhne und Gehälter müssen in den kommenden Monaten durch das Insolvenzausfallgeld der Bundesagentur für Arbeit und somit von der Allgemeinheit aufgebracht werden (Hakle 02.09.2022, Welt 05.09.2022).
Insolvenz, Gründe: · Energiepreise · Lieferketten/Beschaffung/Preise · Sonstiges
Strompreis, Gasumlage und „anhaltend hohe CO2-Kosten“
ArcelorMittal reduziert Stahlproduktion in Deutschland
(02.09.2022) ArcelorMittal, einer der weltweit führenden multinationalen Konzerne, ist der zweitgrößte Stahlproduzent der Welt. 2020 produzierte er 78 Millionen Tonnen Rohstahl. Jetzt stellt das Unternehmen an mehreren deutschen Standorten teilweise den Betrieb ein. „ArcelorMittal zieht in Deutschland die Konsequenzen, da nicht mehr alle Anlagen wirtschaftlich betrieben werden können“, heißt es in einer Mitteilung des Konzerns mit Sitz in Luxemburg. „Die exorbitant gestiegenen Energiepreise beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlherstellung massiv. Hinzu kommen eine schwache Marktnachfrage, ein negativer Wirtschaftsausblick sowie anhaltend hohe CO2-Kosten in der Stahlproduktion, wodurch die EU-Handelsschutzmaßnahmen an Wirkung verlieren“, heißt es in einer Mitteilung des Luxemburger Konzerns vom 2. September 2022. Ab Ende September wird das Unternehmen bis auf weiteres einen der beiden Hochöfen am Flachstahlstandort Bremen stilllegen. Im Hamburger Langstahlwerk, in dem ArcelorMittal Qualitätswalzdraht produziert, wird ebenfalls ab dem vierten Quartal 2022 die Direktreduktionsanlage auf Grund der aktuellen Situation und der negativen Aussichten außer Betrieb genommen werden. In beiden Werken gibt es bereits jetzt Kurzarbeit, die durch die anstehenden Maßnahmen ausgeweitet werden muss. Auch an den Produktionsstandorten in Duisburg und Eisenhüttenstadt wird auf Grund der angespannten Lage bereits Kurzarbeit angewandt. „Die hohen Kosten für Gas und Strom belasten unsere Wettbewerbsfähigkeit stark. Dazu kommt ab Oktober die geplante Gasumlage der Bundesregierung, die uns weiter belasten wird“, so Reiner Blaschek, CEO von ArcelorMittal Germany. „Als energieintensive Industrie sind wir davon extrem betroffen. Mit einer Verzehnfachung der Gas- und Strompreise, die wir innerhalb weniger Monate hinzunehmen hatten, sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig in einem Markt, der zu 25 Prozent aus Importen versorgt wird“, so Blaschek. Das Unternehmen hat den Verbrauch von Gas bereits sehr stark reduziert. Unter anderem habe man das Vorprodukt Eisenschwamm extern aus Amerika zugekauft, wofür sonst vor Ort Erdgas genutzt worden wäre. „Die Anlage hat den Betrieb bereits um rund 80 Prozent reduziert. Der extreme Preisanstieg bei Gas und Strom macht es uns unmöglich, weiter profitabel zu arbeiten – weshalb wir Eisenschwamm nun mit höherem CO2-Fußabdruck komplett importieren müssen, um zumindest weiter produzieren zu können“, so Dr. Uwe Braun, CEO von ArcelorMittal Hamburg. Der Stahlkonzern sieht „dringenden politischen Handlungsbedarf, um die Energiepreise umgehend in den Griff zu bekommen“. Das Unternehmen fordert unter anderem einen „europäischen Industriestrompreis“. Ein erster Schritt müsse sein, das Strommarktdesign anzupassen, damit nicht der Erdgaspreis allein ausschlaggebend für die Strompreisbildung ist. Die geplante Gasumlage dürfe „außerdem nicht noch zusätzlich auf die bereits sehr hohen Spotmarktpreise angewandt werden“ (ArcelorMittal 02.09.2022).
Europa, Produktionseinschränkung, Gründe: · Energiepreise · Klimapolitik/CO2-Preis · Sonstiges
Branche droht „ein kompletter Exodus“
Porzellan-Hersteller Eschenbach stellt seine Produktion wegen Energiepreisen ein
(02.09.2022) Der Porzellan-Hersteller Eschenbach in Triptis (Neue Porzellanfabrik Triptis GmbH) stellt seine Produktion zum Jahresende ein. Als Grund gab das Unternehmen die gestiegenen Energiepreise an. Geschäftsführer Rolf H. Frowein sagte dem MDR, Eschenbach müsste für das benötigte Gas ab Januar gegenüber dem aktuellen Vertrag den sechsfachen Preis bezahlen. Ein wirtschaftlicher Betrieb des Unternehmens über das Jahresende hinaus sei daher nicht möglich, ohne die Verkaufspreise zu verdoppeln, hieß es. Von der Betriebsschließung sind nach Angaben des Unternehmens 99 Mitarbeiter betroffen. Das 130 Jahre alte Traditionsunternehmen beliefert insbesondere Hotels und Gaststätten. Laut Geschäftsführer hat Eschenbach Porzellan volle Auftragsbücher, so der MDR. Mit dem Ende der Produktion zum Jahresende müssen nach seinen Worten etwa 1,5 Millionen Porzellanartikel aus dem Lager abverkauft werden. Der Geschäftsführer eines anderen Unternehmens der Branche teilte der Akademie Bergstraße mit, dass der Keramikindustrie „ein kompletter Exodus droht“ (MDR 02.09.2022, Anonyme Quelle).
Betriebsaufgabe, Gründe: · Energiepreise, Anz. betroffene Arbeitsplätze: 99
Folgen einer Verknappung und Verteuerung von Energie
Nelskamp liefert keine Dachziegel mehr
(02.09.2022) Die Dachziegelwerke Nelskamp stellten die energieintensive Produktion von Tondachziegeln am 1. September 2022 vorläufig ein. Als Grund dafür nannte das Unternehmen laut B_I MEDIEN „die enormen Preissteigerungen bei Gas und Strom. Im Zweijahresvergleich hätten sich zuletzt die Einkaufspreise für Gas um den Faktor 16 und die für Strom um den Faktor 15,5 verteuert. Hinzu kämen die Energiepreisumlage sowie weitere Umlagen ab Oktober.“ Die Lage auf dem Energiemarkt sei so unsicher, dass die künftigen Kosten nicht verlässlich kalkuliert werden könnten, hieß es von Nelskamp. Nelskamp stellte dazu nach Angaben des Baufachmagazins Baulinks ausdrücklich fest: „Das sind die Folgen der Energiepolitik, die Gas und Strom künstlich verknappt und damit die gegenwärtig untragbare Preisexplosion herbeigeführt hat.“ Betroffen sind zwei Werke in Groß Ammensleben bei Magdeburg und im unterfränkischen Unsleben mit gut 300 Mitarbeitern, teilte Nelskamp mit. Da die Lager nicht gefüllt seien, könne das Unternehmen derzeit keine Dachziegel liefern. (Baulinks 30.8.2022, B_I MEDIEN 01.09.2022).
Produktionseinschränkung, Gründe: · Energiemangel · Energiepreise, Anz. betroffene Arbeitsplätze: 300
Aus für drei deutsche Standorte wegen Straßensperrungen
Autozulieferer Kostal verlagert Produktion nach Ungarn
(24.08.2022) Kostal, ein wichtiger E-Automobilzulieferer, will drei Produktionsstandorte im Märkischen Kreis in Deutschland schließen. Es handelt sich um die Standorte Lüdenscheid, Meinerzhagen und Halver. Nach Angaben des Bürgermeisters handelt es sich um den größten und wichtigsten Arbeitgeber in Lüdenscheid. Getriebeplatten, Lenksäulenmodule, Sitzverstellschalter und vieles mehr wird das Unternehmen aus dem Märkischen Kreis damit künftig vermehrt im Ausland produzieren“, schrieb die Wirtschaftswoche am 20. August 2022. Nur so könne Schaden von der gesamten Kostal-Gruppe abgewendet und der Fortbestand als unabhängiges Familienunternehmen gewährleistet werden. Hunderte Mitarbeiter stehen vor dem Aus. Die Produktion soll offenbar nach Ungarn verlagert werden. Kostal gilt als wichtiger Zulieferer für die Automobilbranche in der „Transformation hin zur Elektromobilität“. Die Gruppe hat ihren Hauptsitz in Lüdenscheid, im westlichen Teil des Sauerlands, der nach Einschätzung des Unternehmens nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Wegen der Vollsperrung der Autobahn A45 und weiteren drohenden Sperrungen wegen Brückenschäden sei die Logistik nicht mehr zuverlässig genug, und das auf viele Jahre hinaus. Die ungarischen Verkehrswege „würden ausgebaut, nicht wegen wegen Baufälligkeit gesperrt“, schrieb Tichys Einblick am 24. August 2022. Bereits im Juni 2022 hatte sich der Bürgermeister der Stadt Lüdenscheid zu Wort gemeldet: Die Entscheidung von Kostal habe nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf gute Arbeitsplätze vor Ort, sondern gegebenenfalls auch auf die Produktion anderer Automobilzulieferer in der Region (Stadt Lüdenscheid 22.06.2022, Wirtschaftswoche 20.08.2022, Tichys Einblick 24.08.2022).
Produktionsverlagerung, Gründe: · Sonstiges
Mer dazu und eine fast komplette Liste finden Sie unter: Deindustrialisierung Deutschlands und Europas