Trotz Donald Trumps durchwachsener Zustimmungswerte bleiben mögliche Gegenkandidaten in der Deckung. Das ist eine paradoxe Situation, meint unser Autor Andreas T. Sturm, der die Gründe in Trumps unkonventionell-aggressivem Politikstil sieht, einen Blick auf das demokratische Bewerberfeld mit zwei Hoffnungsträgern wirft und ein Zwischenfazit zu dem unterschätzten Symbolpolitiker Trump zieht.
Der Normalfall: Beliebte Präsidenten als Kandidatenschreck
Ein Blick auf frühere Wahlen zeigt, dass beliebte US-Präsidenten erstklassige Gegenbewerber abschrecken. Kein Politiker möchte sich in einem kräftezehrenden, teuren und chancenlosen Wahlkampf verheizen lassen. Bei seiner Wiederwahl 1984 gewann der über die Parteigrenzen beliebte Ronald Reagan mit 525 zu 13 Wahlmännerstimmen und 49:2 der Bundesstaaten gegen Walter Mondale. Bill Clinton siegte ebenso mit einem komfortablen Abstand gegen Bob Dole im Jahr 1996.
Das Trump-Paradox: Umstritten und trotzdem Kandidatenschreck
Trump nimmt eine Sonderstellung ein, denn nach einem Jahr hat er die bisher geringste Zustimmungsrate aller US-Präsidenten (39%, Quelle: Gallup). Der Umkehrschluss müsste lauten, dass bei einem Präsidenten mit einer niedrigen Zustimmung aussichtsreiche Kandidaten Schlange stehen. Wieso haben sich trotzdem noch keine Gegenkandidaten hervorgetan?
Donald Trump ist unberechenbar, unkonventionell, aggressiv und äußerst unangenehm in der persönlichen Auseinandersetzung, ein echtes Enfant terrible. Ein Wahlkampf gegen The Donald ist die ultimative Schlammschlacht. Wenn eine Menge Schmutz geworfen wird, bleibt ganz sicher etwas hängen. Trumps Spitzname für seine Gegenkandidatin, »Crooked Hillary« (»die korrupte Hillary«), ist noch heute in den Köpfen der Amerikaner und wird auch nach knapp zwei Jahren häufig in der Presse zitiert. »Low Energy Jeb« (Jeb Bush), »Crazy Bernie« (Bernie Sanders) haben schmeichelhaftere Spottnamen als der ehemalige FBI-Chef »Slimeball« James Comey.
Trumps Strategie ist wirkungsvoll. Als Politik-Anfänger verschrien, unterschätzte man den Medien-Profi, denn niemand hat mehr Erfahrung im medialen Austeilen als der ehemalige Serienstar von »The Apprentice.« Wahlen werden selten durch gute Arbeit im Kongress gewonnen, sondern durch einen wirkungsvollen Wahlkampf.
Obamas Vizepräsident Joe Biden, ein potentieller Gegenkandidat für die Wahl im Jahr 2020, bekam vor einigen Tagen zu spüren, wie der Wahlkampf werden würde. Donald Trump sagte über seinen möglichen Kontrahenten bei einem CBS-Interview: »Ich träume von Joe Biden.« Dabei brachte er Bidens Ergebnisse bei den Vorwahlen der Demokraten ins Spiel: »Joe Biden trat dreimal an und bekam nie mehr als 1% der Stimmen«. Trump wäre nicht Trump, würde er seinem mutmaßlichen Gegner-in-spe nicht noch mit der verbalen Keule malträtieren: »Obama holte ihn aus dem Müll und jeder war geschockt, dass er es getan hat … Biden hat alleine noch nie etwas geschafft.« Ende der Durchsage. Empörung auf allen Kanälen. Nach einem halben Tag hatte dieses Interview eine weitaus größere Reichweite als der Sender CBS.
Das ist kein Vergleich zu dem ehrenhaftem Verhalten eines John McCain, der seinen Gegenkandidaten Barack Obama auf Wahlveranstaltungen 2008 gegen rassistische Anfeindungen in Schutz genommen hat und dafür Pfiffe seiner eigenen Anhänger kassierte.
Kandidatencheck: Verunsicherte Demokraten und zwei Hoffnungsträger
Aus wahltaktischen Gründen ergibt es für potentielle Kandidaten Sinn, den Hut nicht zu früh in den Ring zu werfen. Mit dem Kongressabgeordneten John K. Delaney steht der erste demokratische Kandidat bereits seit Ende 2017 fest, doch noch nie war ein so früh gemeldeter Bewerber erfolgreich.
Allen wahltaktischen Überlegungen zum Trotz, jede politische Bewegung in den USA braucht eine Identifikationsfigur, die eine bestimmte Politik verkörpert. Die US-Politik ist traditionell stark an Gesichtern orientiert, doch momentan sind die Demokraten gesichtslos. Hillary Clintons Niederlage hat die Partei zutiefst verunsichert. Der sichergeglaubte Sieg endete mit einem traumatischen Erlebnis. Im Jahr 2018 zeigt sich die desolate Lage der Demokraten, die führenden Gesichter sind entweder überaltert oder unerfahren, unbekannt und wenig charismatisch. Der Senator aus Vermont und Sozialist Bernie Sanders, Hillary Clintons Schrecken bei den Vorwahlen 2016, wäre im Jahr 2020 79 Jahre alt. Obamas Vizepräsident Joe Biden ist 2016 wegen seines kürzlich zuvor gestorbenen Sohnes nicht angetreten, bei der nächsten Wahl wäre er auch 77 Jahre alt. Nie hatte eine Frau in den USA ein höheres politisches Amt inne als Nancy Pelosi, die Minderheitsführerin im Kongress und ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, doch sie wäre bei der Wahl 80 Jahre alt. Die Jura-Professorin und Senatorin aus Massachusetts Elizabeth Warren, die von Donald Trump abfällig »Pocahontas« genannt wurde, wäre 2020 zwar erst knackige 71, doch sie steht wohl politisch zu weit links, um die Mitte der Gesellschaft von sich zu überzeugen. Hillary Clintons »running mate« Senator Tim Kaine hat schon abgesagt, im Juni 2018 meldeten aber gleich mehrere Zeitungen, dass Clinton überlege, 2020 wieder anzutreten. Aus dem Kreise der Unterhaltungskünstler und Seiteneinsteiger hat auch die hochgehandelte Moderatorin Oprah Winfrey abgesagt. Überhaupt konzentrieren sich die Demokraten zu sehr auf Hollywood-Stars, doch die Traumfabrik produziert zwar eine Menge Filmstars, aber nur selten Politiker.
Es gibt eine Reihe bisher wenig bekannter Senatoren, beispielsweise Kirsten Gillibrand, die mit einem Rekordergebnis als New Yorker Senatorin gewählt wurde und stark an Hillary Clinton erinnert. Jeder mag für sich selbst entscheiden, ob das positiv oder negativ ist. Meine Favoriten sind der medienaffine Senator von New Jersey, Cory Booker (2020 erst 51 Jahre alt), und die Senatorin von Kalifornien und frühere kalifornische Generalstaatsanwältin Kamala D. Harris (2020 erst 55 Jahre alt). Beide haben die Fähigkeiten, das Charisma und die Gabe, die Massen zu begeistern und könnten Donald Trump gefährlich werden. Die Frage ist nur, ob das Trump-Paradox gilt, oder ob Harris und Booker sich dem Risiko aussetzen, ihren Ruf nachhaltig schädigen zu lassen, wenn sie doch bei der Wahl 2024 immer noch im besten Präsidentschaftsalter sind. Am Ende des Tages muss der Ruf der Pflicht größer sein als strategische Überlegungen.
Trump – unterschätzter aber wirkungsvoller Symbolpolitiker
Was haben Angela Merkel und Donald Trump gemeinsam? Abgesehen von dem öffentlichen Interesse an ihrer Frisur. Beide wurden vor der Wahl unterschätzt und zu Beginn ihrer Amtszeit hat ihnen kaum jemand zugetraut, die erste Legislaturperiode zu überstehen. Angela Merkel ist in ihrem vierzehnten Regierungsjahr und bei Donald Trump sehen selbst starke Kritiker gute Chancen auf eine Wiederwahl.
Aus europäischer Perspektive ist das schwer zu verstehen, die Vielzahl von Trumps Entscheidungen sorgt für Unverständnis, doch The Donald begeistert seine Anhängerschaft. Dem »Make America Great Again« des Wahlkampfs folgte das seine bisherige Amtszeit prägende »America first.«
Mit dem präsidialen Erlass, sechs mehrheitlich muslimischen Ländern die Einreise zu erschweren, demonstrierte Trump, dass er zum Entsetzen seiner Gegner und zur Freude seiner Anhänger seine Wahlkampfversprechen bedingungslos umsetzt. Die Kündigungen des Pariser Klimaabkommens und des Atomdeals mit dem Iran schockten die Bündnispartner und versetzten Republikaner in freudige Erregung. Sowohl der Handelskrieg mit Europa und China, als auch die Strafzölle auf Stahl und Aluminium treffen den Geschmack seiner Anhänger, obwohl dies auf Dauer negative Auswirkungen auf die US-Wirtschaft haben wird. Mit der Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem setzte Trump sogar um, was der Kongress unter Bill Clinton im Jahr 1995 beschloss und seitdem von jedem Präsidenten um ein halbes Jahr verschoben wurde. Das Treffen mit Kim Jong-un überraschte selbst Gegner Trumps und ist nicht zuletzt auf seinen harten Kurs gegenüber Pjöngjang zurückzuführen. Richard Nixons »Madman Theory« lässt grüßen, Trump scheint sie gleich in mehreren Bereichen zu kultivieren. Die Inhaftierung des amerikanischen Pastors in der Türkei führte zur jüngsten Härtedemonstration Trumps, der seine kompromisslose Linie konsequent fortsetzt. Deutlich spürbar ist auch der Wirtschaftsboom in den USA, die Konjunktur erlebt einen Höhenflug und beschert den Unternehmen enorme Gewinne, auch die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit 17 Jahren. Der Preis dafür ist jedoch eine Rekordstaatsverschuldung.
Trumps Erfolg steht allerdings auf wackeligen Beinen, die republikanische Mehrheit im Senat beträgt nur eine Stimme Vorsprung und die Verhandlungspartner wie Nordkorea sind unberechenbar. Trumps Errungenschaften könnten schnell ins Gegenteil umschlagen. Ebenso gefährlich sind die Untersuchungen von Sonderermittler Robert Mueller zur russischen Einmischung in den Wahlkampf 2016. Eine gute Nachricht für Trump sind die steigenden Zustimmungsraten auf 42% und ein gigantischer Rückhalt der republikanischen Wählerklientel von 87%.
Der Blick auf die Wahl 2020
Trumps 87% Zustimmung bei den Republikanern stehen nur 9% bei den demokratischen Wählern gegenüber, diese Zahlen belegen die Polarisierung der amerikanischen Politik und die Spaltung des Landes. Der zukünftige demokratische Kandidat ist gewarnt. Ein Sprichwort besagt: »Hunde, die bellen, beißen nicht.« Donald Trump bellt und beißt. Wer mit den großen Hunden pinkeln will, muss das Bein heben können und aller Unterschätzung zum Trotz ist Trump ein absoluter Medienprofi, seine Tweets haben System, er kalkuliert weit mehr als man ihm zutrauen könnte. Selbst scharfe Kritiker Trumps wie Michael Moore, dessen Trump-Dokumentation »11/9« am 21. September in den USA in die Kinos kommen wird, haben erkannt, dass die linken Pressevertreter mit ihrer Berichterstattung einen Beitrag zu Trumps Wahlsieg geleistet haben. Die Journalisten müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das ihnen Präsident Trump hinhält.
Nun sind aber die Demokraten am Zug. Joe Biden wäre staatsmännisch genug, um ein gespaltenes Land zu einen. Mein heißer Tipp für die Wahl 2020 sind Kamala D. Harris und Cory Booker, sie hätten das Zeug dazu als Präsident/in und Vize anzutreten. Um den Proporz nach Region, Alter und Parteiflügel zu berücksichtigen, wären die Demokraten gut beraten aus dem Kandidatenfeld um Biden, Harris, Booker und Gillibrand ein schlagkräftiges Duo zusammenzustellen. Ob die Demokraten es schaffen sich aus ihrer Schockstarre zu befreien und die richtigen personellen Entscheidungen zu treffen, wird sich spätestens am 3. November 2020 zeigen.