„Das Tristan-Vorspiel ist ein langsam anschwellender Orgasmus.“ (Christian Thielemann)

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Die Orgasmus-Hymne auf die Wagner-Oper „Tristan und Isolde“ stammt nicht von einem erotomanen Wagner-Fan, sondern von einem der derzeit renommiertesten Dirigenten Deutschlands. Christian Thielemann gilt als der versierteste Wagner-Dirigent der Gegenwart. Die Kunst des Dirigierens hat Christian Thielemann bei den berühmten Dirigenten Herbert von Karajan und Daniel Barenboim gelernt. Er ist der Dirigent, der die meisten Aufführungen von Wagner-Opern in Bayreuth zu allen Zeiten dirigiert hat. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ im Jahr 2019 nannte er 179 Aufführungen in Bayreuth. Ihm folgen Daniel Barenboim mit 161 Aufführungen und der amerikanische Dirigent James Levine mit fast 100 Aufführungen. Die Oper „Tristan und Isolde“, die im Juni 1865 am Münchner Nationaltheater uraufgeführt wurde, ist auch 150 Jahre danach noch eine der beliebtesten Opern. Sie gilt als die Oper über Liebe und Tod schlechthin. Wie Thielemann, so empfinden auch andere bekannte Autoren ein erotisches Erlebnis, wenn sie den Tristan-Klängen lauschen. Der zeitgenössische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoy Zizek schrieb: „In Wagners Tristan hören wir schon einen musikalischen Orgasmus …“ (Zizek 2002). Der bekannte österreichische Dirigent Kurt Pahlen (1907 – 2003) nannte „Tristan und Isolde“ die „Oper der Ekstasen“. Als die Oper im Jahr 2015 an der Bayerischen Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Philippe Jordan aufgeführt wurde, war im Programmheft zu lesen: „Die radikalste aller Wagner-Opern! Musikalische Hocherotik.“

„Eine der sublimsten Schöpfungen des Geistes“ (Guiseppe Verdi)

Ein weiterer Opernkomponist und Zeitgenosse Richard Wagners – Guiseppe Verdi – war voll des Lobes über seine Oper „Tristan und Isolde“. Er schrieb:

„Das Werk, das immer meine höchste Bewunderung erweckte, ist der „Tristan“. Vor diesem gigantischen Bau erfasst mich jedesmal ein schauderndes Staunen, und noch jetzt will es mir unglaublich erscheinen, wie ein Mensch es konzipieren und verwirklichen konnte. Ich halte den zweiten Akt für eine der sublimsten Schöpfungen des Geistes, die jemals geschaffen wurde. Dieser zweite Akt ist wunderbar, wunderbar, unsagbar wunderbar.“ (Verdi, zit. nach Schneider 2000).

„Die höchste Erfüllung der 2000-jährigen Entwicklung des Theaters“ (Richard Strauss)

Richard Strauss (1864 – 1949) galt mit seinen symphonischen Dichtungen und Musikdramen als ein bedeutender Nachfolger des Komponisten Richard Wagner. Er bezeichnete „Tristan und Isolde“ als „allerletzte Konklusion von Schiller und Goethe und die höchste Erfüllung der 2000-jährigen Entwicklung des Theaters“. Er sprach von Tristan auch als der „prachtvollsten Belcanto-Oper“. Sein Vater war erster Hornist im Münchner Hoforchester und ein leidenschaftlicher Gegner Richard Wagners. Insofern war die Wagner-Verehrung von Richard Strauss durchaus mit familiären Konflikten behaftet. Hans von Bülow, der erste Ehemann von Cosima Wagner, war der Mentor von Richard Strauss zu Beginn seiner Karriere. Von Hans von Bülow wird das Bonmot zitiert: „Richard I. ist Wagner, einen Richard II. gibt es nicht, also ist Strauss Richard III.“ Vom Jahr 1890 an dirigierte Richard Strauss zahlreiche Wagner-Opern und war an Weihnachten dieses Jahres bei der Familie Wagner eingeladen. Als Richard Strauss seine Oper „Salome“ komponierte, hagelte es jedoch abfällige und antisemitische Kommentare von Cosima Wagner und ihrer Familie. Dies führte zu einem deutlichen Bruch zwischen Richard Strauss und Cosima Wagner.

„Ertrinken, versinken – unbewusst, höchste Lust“

Diese Worte sind die Schlussverse der Wagner-Oper „Tristan und Isolde“. Die ganze Oper ist ein hochemotionales Werk über Liebesverlangen und Todessehnsucht. Tristan und Isolde sehnen sich beide nach Erlösung, können diese jedoch nicht finden. Sie können aber auch als Liebespaar nicht zueinander finden. Im ersten Akt verliebt sich Isolde in Tristan – eine gefährliche, verbotene und konfliktbeladene Liebe, denn sie erkennt Tristan als den Mörder ihres Verlobten. Statt Rache zu üben verliebt sie sich in Tristan. Dieser ist jedoch nicht reif oder bereit für diese Liebe. Deshalb fühlt sich Isolde verraten, ist zornig und wütend. Als Kompromiss erscheint der gemeinsame Tod, da Tristan aufgrund seiner schwierigen Herkunft und Kindheit sein ganzes Leben lang von einer tiefen Todessehnsucht geplagt ist. Doch auch der gemeinsame Tod ist Tristan und Isolde nicht vergönnt.

Das Ertrinken und Versinken in einer tragischen intensiven Gefühlswelt, deren Ursprünge und Motive die Beteiligten selbst lange verborgen bleiben, geht aus diesen letzten Worten der Wagner-Oper hervor. Die „höchste Lust“ berührt die tragische Ambivalenz von Liebe und Tod. Geradezu genial war von Richard Wagner die Einführung des Unbewussten – und dies Jahrzehnte bevor Sigmund Freud seine Lehre vom Unbewussten formulieren konnte.

Erotische Dreiecksbeziehungen: Tristan – Isolde – Marke und Richard Wagner zwischen Mathilde und Otto Wesendonck.

Richard Wagner begann mit seiner Oper im Jahr 1856. Er berichtete seinem späteren Schwiegervater Franz Liszt von seinem Gesamtentwurf der Oper und offenbarte schon sehr konkrete Vorstellungen. Die Partitur des ersten Aktes vollendete er in Zürich, den zweiten Akt in Venedig und den dritten Akt in Luzern. Zeitgleich mit der Komposition der Oper lebte Richard Wagner in Dreiecksbeziehungen. Im April 1857 zogen Richard Wagner und seine Ehefrau Mina in ein Gartenhaus, das dem Ehepaar Wesendonck in Zürich gehörte und neben deren Villa stand. Otto Wesendonck war ein sehr vermögender Geschäftsmann. Mit seiner Ehefrau Mathilde hatte Wagner eine heimliche Liebesbeziehung. Er lebte also in zwei sehr konfliktgeladenen Dreiecksbeziehungen: In beiden Fällen war er quasi der Betrüger oder Verräter, er war der begehrende Akteur. Betrogen wurden seine Ehefrau und der Ehemann von Mathilde, Otto Wesendonck. Mathilde Wesendonck hat Gedichte geschrieben und hatte über das Erotische hinaus einen intensiven geistigen Austausch mit Richard Wagner. Die beiden realen Beziehungsdreiecke waren also: Richard Wagner zwischen zwei Frauen, seiner Ehefrau Minna und seiner Geliebten Mathilde. Das andere Beziehungsdreieck war Richard Wagner zwischen dem Ehepaar Mathilde und Otto Wesendonck. Die berühmten, von Wagner komponierten Wesendonck-Lieder gehen ebenfalls auf diese konflikthafte Konstellation zurück.

Richard Wagner war ein geschickter Verführer, Manipulator und oft auch ein skrupelloser Lügner. Er verstand sich sehr gut auf das Metier von Tarnen und Täuschen. Sein ganzes Leben ist eine Verkettung von Dreiecksbeziehungen. In der Wagner-Literatur finden sich Angaben, dass Richard Wagner neben seinen zwei Ehefrauen noch enge Beziehungen zu fast zwanzig anderen Frauen hatte, die teilweise auch erotisch-sexueller Natur waren. Er war also sehr wohl ein geschickter Don Juan und Frauenverführer.

In der Oper „Tristan und Isolde“ wiederholt sich das Thema der Dreiecksbeziehungen. Hier ist in erotischer Hinsicht das Beziehungsdreieck Tristan, Isolde und Marke interessant. Tristan ist durch das Liebesverlangen von Isolde überfordert und flieht quasi aus der Beziehung, indem er zum Brautwerber bei seinem Onkel Marke wird. Statt selbst Isolde zu heiraten, führt er sie einem anderen Mann zu. In großer Ambivalenz verfällt er aber wieder Isolde und wird mit ihr inflagranti ertappt. Er wird also in doppelter Hinsicht zum Verräter und Betrüger, zuerst gegenüber Isolde und dann gegenüber seinem Onkel, dem König Marke.

In mehr als 150 Jahren Aufführungsgeschichte hat diese Oper „Tristan und Isolde“ immer wieder die Menschen bewegt. Die darin dargestellten Liebeskonflikte sind „wie im richtigen Leben“. Sowohl dieser lebensnahe Inhalt des Musikdramas als auch die hoch emotionale Musik Richard Wagners berühren eben die Menschen heute ebenso wie vor 150 Jahren.

Literatur:

Bermbach, Udo (2013), Mythos Wagner. Rowohlt, Berlin

Borchmeyer, Dieter (2013) Richard Wagner: Werk, Leben, Zeit. Reclam, Stuttgart

Geck, Martin (2015) Wagner: Biographie. Pantheon, München

Gregor-Dellin, Martin (1980) Richard Wagner – Sein Leben, sein Werk, sein Jahrhundert. Piper, München

Köhler, Joachim (2001) Der letzte der Titanen. Richard Wagners Leben und Werk. Claassen, München

Schneider, Rolf (2000) Wagner für Eilige. Aufbau Taschenbuchverlag Berlin

Thielemann, Christian (2019) „Auf dem Podium zu stehen ist eine Marter der Extraklasse“. Süddeutsche Zeitung vom 21. September 2019, Heft 38, S. 11-16

Thielemann, Christian (2012) Mein Leben mit Wagner. C.H. Beck, Verlag, München

Zizek, Slavoj (2003) Tristan und das reale Begehren. Der Mythos der Psychoanalyse spricht bei Zizek über den Mythos Wagners. Die Tageszeitung vom 6.3.2003

Zizek, Slavoj (2002) „Psychoanalyse als Todesstoß“. Interview mit Axel Brüggemann. In: Welt am Sonntag vom 8.12.2002

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef 

Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Zentrum für Innere Medizin

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Über Herbert Csef 153 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.